Pim Fortuyns Hausrat unterm Hammer: Pantoffeln aus dem Palazzo
Bei der Versteigerung des Nachlasses von Rechtspopulist Pim Fortuyn schwelgen die Bieter in Erinnerungen. Derweil fällt der Hammer für Aschenbecher und Sitzmöbel. Ein Ortstermin.
"220, 240, 260. Wer bietet mehr als 260?" Auktionator Richard Hessink schaut hoch konzentriert in den Saal. Flink wandern seine Augen von Bieter zu Bieter. "Letztes Angebot. Jemand mehr als 260 Euro?" Zack! Da ist der Hammerschlag, und eine ältere Dame lächelt. Pim Fortuyns rote Brille wechselt in ihren Besitz. Zwei Stunden bereits schnurrt der Auktionator routiniert seine Versteigerungssätze ins Mikrofon, und Hessink hat es eilig, er hat noch viel vor an diesem Samstag in der niederländischen Stadt Nijmegen. 887 Objekte, das ist fast der gesamte Inhalt der Villa Fortuyn, kommen unter den Hammer. Und um einen Gegenstand aus dem Nachlass von "Pim" zu ergattern, sind gut 350 Menschen an diesem Morgen ins Auktionshaus gekommen. Der ermordete Politiker Fortuyn war sehr umstritten in den Niederlanden. Mit seinen Gedanken zur "Islamisierung der eigenen Kultur" löste er hitzige Debatten aus.
Nummer 42 aus der "Kollektion Pim Fortuyn" ist dran. Es sind die bekannten Holzsessel mit dem lilafarbenen Bezug, die in Fortuyns Wohnzimmer standen und in denen der Politiker so viele Interviews gegeben hat. Mit 2.000 Euro steigt der Auktionator ein, bei 4.600 Euro klackt etwa 90 Sekunden später der Hammer. Wieder geht der Zuschlag an die blonde junge Frau mit dem iPhone am Ohr, die vorhin eine Standuhr aus Mahagoni für 2.300 Euro eingekauft hat. "Ich will von Pim Andenken bewahren in unserem großen Haus", sagt sie und möchte anonym bleiben. "Ich habe ihn als Politiker sehr geschätzt. Mein Mann hat Pim gut gekannt", erzählt sie. "Wir wollen seine Möbel in unserer Haus integrieren und darin wohnen." Sie hat noch weitere Gegenstände aus dem Nachlass auf ihrer Wunschliste. Welche Objekte das sind, will sie lieber nicht verraten.
In dem Saal, in dem jetzt die potenziellen Käufer auf langen Stuhlreihen sitzen, hat das Versteigerungshaus bis vor zwei Tagen die Kollektion Pim Fortuyn präsentiert. Auktionator Hessink hatte das Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer sowie den Empfangs- und Studienraum der Villa Fortuyn originalgetreu nachbauen lassen und 13 Tage lang zur Besichtigung eingeladen. "Um Pim die letzte Ehre zu erweisen", sagte Hessink in einem Gespräch bei einem Besuch dieser Ausstellung. "Ich will den Menschen noch einmal Gelegenheit geben zu sehen, wie Pim gelebt hat." Dieses Bedürfnis jedoch hatten in der Vergangenheit offenbar wenige. Die Rotterdamer Villa, in der der Soziologieprofessor Wilhelmus Simon Petrus Fortuyn von 1998 bis zu seinem gewaltsamen Tod 2002 gelebt hat - Fortuyn nannte sie Palazzo di Pietro -, fungierte bis vor kurzem als "Museum". Weil aber die Besucher ausblieben und den beiden privaten Eigentümern der Unterhalt zu teuer wurde, wird das Erbe Fortuyns jetzt versteigert.
Fortuyns Villa war nach dessen Mord sieben Jahre genauso geblieben, wie der charismatische Politiker sie am 6. Mai 2002 verlassen hatte. An jenem Tag wurde er von dem Tierschutzaktivisten Volkert van der Graaf auf dem Parkplatz eines Radiostudios in Hilversum erschossen. Es waren noch neun Tage bis zu den Parlamentswahlen. Fortuyn rechnete sich aufgrund der Prognosen Chancen aus, niederländischer Ministerpräsident zu werden. Der Attentäter sah in ihm eine Gefahr für die Schwachen in der Gemeinschaft. Der rhetorisch außerordentlich versierte, flamboyant gekleidete, kahlköpfige homosexuelle Rotterdamer war als Politiker aufgestiegen wie ein Komet.
Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. 620 Euro für eine der vielen Zigarrenkisten. Sie ist aus Nussholz gearbeitet, Fortuyn hatte ein Faible für geschmackvolle Dinge. 1.100 Euro für die eingerahmte Kolumnenseite mit dem Titel "Ich komme gleich" aus der Zeitschrift Elsevier. 425 Euro für die alte Adler-Reiseschreibmaschine, Modell Gabrielle 25, auf der er sie schrieb.
Es sind emotional beladene Summen, für die die Menschen hier mit Leichtigkeit ihre Hand heben. Auktionator Hessink wird inzwischen von seiner Arbeit ganz rosig im Gesicht, er findet den Gang der Versteigerung "glänzend", er spricht sein Lob ins Publikum. Gerade hat das silberne Feuerzeug mit den Initialen P. F., das Fortuyn in seiner Todesstunde bei sich trug, für 9.100 Euro den Besitzer gewechselt. "Das ist das teuerste Feuerzeug, das ich jemals versteigert habe", sagt der Auktionator zufrieden ins Mikrofon. Mit dieser Versteigerung sind übrigens nicht alle einverstanden. Die Stiftung "Bild von Pim" wollte sie am Freitag noch in letzter Minute verhindern, ist aber mit dem Anliegen in einem Schnellverfahren gescheitert.
Eine Sitzbank Fortuyns würde Klaus Goudwaard, er ist aus Den Haag angereist und Jahrgang 1943, gerne in sein Wohnzimmer stellen und möchte zusammen mit seiner Frau darauf bieten. Fortuyn hat ihn begeistert, und jetzt setzt er auf Geert Wilders, weil er in dem Rechtspopulisten Fortuyns politischen Erben sieht. Goudwaard kommt sofort auf die "Islamisierung der Niederlande" zu sprechen. "Das ist das größte Problem unseres Landes", ist er überzeugt. Die vielen Fremdarbeiter seien doch nur gekommen, weil die Niederländer für die geringen Löhne nicht arbeiten könnten, glaubt er. Auch beschäftigt ihn die Frage, warum "Menschen eigentlich nicht zurückgehen, wenn die Kriege in den Regionen, aus denen sie kommen, zu Ende sind". Das sei doch eigentlich normal, die Niederlande seien ein kleines Land.
Die Zeiger von Fortuyns vielen Uhren zeigen alle 18.07 Uhr. Das ist der Zeitpunkt, zu dem er auf dem Parkplatz in Hilversum starb. In einer Vitrine stehen seine verschlissenen Pantoffeln mit dem Löwenemblem. "Ach", seufzt eine Besucherin, während sie einen kleinen Aschenbecher mit einem Zigarettenstummel betrachtet, "nun kommt mir das alles wieder hoch." Es ist die letzte Zigarette, die Fortuyn im Palazzo di Pietro geraucht hat. Die Gegenstände, die Pim in seiner Todesstunde bei sich hatte, sind den Menschen hier viel Geld wert. Der Hammer klackt bei 550 Euro für das Handy, der Füller bringt 1.600 Euro in die Versteigerungskasse.
Hessink, er ist ein energischer Mann, hatte anlässlich des Ausstellungsbesuchs zwei Stühle an die Ballustrade gerückt, die den Saal umrunden, und sich die Zeit genommen, auch dieser Besucherin seine Sicht auf Fortuyn zu erklären. Hessink hatte viel Besuch von Journalisten. Dass er Pim durch die Versteigerung noch einmal auf die Agenda setzten kann, freut ihn. Geert Wilders habe nicht das Format, in Fortuyns Fußstapfen zu treten, dessen ist Hessink sich sicher. Wir schauen auf den großen Nussbaumschreibtisch, an dem Fortuyn seine politische Arbeit erledigt hat, und Hessink wünscht sich, dass Fortuyn später vielleicht einmal in den Geschichtsbüchern noch die Anerkennung und den Respekt erhält, die diesem Mann seiner Ansicht nach gebühren. Er rückt Fortuyn mühelos in eine Linie mit den Kennedys und Martin Luther King.
Pim Fortuyn hat ein Tabu gebrochen und Schwierigkeiten verbalisiert, die es seiner Ansicht nach im Zusammenleben in der multikulturellen Gesellschaft in den damals als tolerant geltenden Niederlanden gab. Fortuyn geißelte unter anderem den Islam als rückständig, er hielt die niederländische Ausländerpolitik für verfehlt. Fortuyn provozierte, seine Kritik löste viel Widerspruch aus, seine Standpunkte waren sehr umstritten, er wurde von manchen mit Haider und Le Pen verglichen. Nach dem Mord an Fortuyn erhielt seine Partei, die Liste Pim Fortuyn, bei den Wahlen 17 Prozent der Stimmen. Die Liste Fortuyn hat sich wegen permanenter Streitigkeiten wieder aufgelöst.
Ein Bild mit Hunden
39.000, 40.000, 41.000. "Wer bietet mehr als 41.000?", fragt Auktionator Hessink die Anwesenden. "Bietet jemand mehr als 41.000 Euro?" Der Hammer klackt. Das Publikum klatscht. Die blonde Frau, die hier Andenken sammelt, kann ein Gemälde, das Fortuyn mit seinen beiden Schoßhunden Carla und Kenneth zeigt, ihr Eigen nennen. Sie sieht glücklich aus und spricht leise in ihr Telefon. Vorher hatte sie noch ein Bild von Fortuyn des Fotografen Paul Huf für 6.200 Euro in ihren Besitz übernommen.
Elf Stunden dauert der Arbeitsmarathon für den Auktionator Richard Hessink. 492.000 Euro hat er dann eingenommen. 2.100 Euro haben allein Fortuyns Hausschuhe gebracht, und das letzte Objekt der Versteigerung, seine letzte Zigarette, war einem Bieter 850 Euro wert.
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