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Pilotfunktion des Nordens

■ IG Metall Küste: Streikvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Mit neuen Konzepten gegen die Aussperrungen

Der Tarifkonflikt in der Metallindustrie geht im Norden langsam in die heiße Phase: Heute und morgen schwappt in Schleswig-Holstein und Hamburg die in diesem Jahr bereits zweite Warnstreikwelle in die Betriebe. Sie soll die weitere Runde im Tarifpoker begleiten, die morgen in Hamburg stattfindet. Ohne ein neues Unternehmer-Angebot könnte dies bereits die letzte Möglichkeit einer Verhandlungslösung sein. „Wir wollen durch die Warnstreiks ein akzeptables Ergebnis am Verhandlungstisch erreichen“, sagte IG Metall-Boss Klaus Zwickel am Samstag vor 1200 haupt- und ehrenamtlichen Streikleitungs-Funktionären im Hamburger Curio-Haus, „notfalls aber müssen wir das von uns angestrebte Ergebnis in den Betrieben erkämpfen.“

Dabei kommt dem Norden – wie die taz hamburg am Rande der Konferenz aus Insiderkreisen erfahren hat – bundesweit eine Schlüsselfunktion zu. So ist nach den bisherigen Planungen der Bereich Küste als Pilotbezirk auserkoren worden. Aus guten Gründen: Denn in dem Tarifpoker geht es nicht allein um die Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt – wie fälschlicherweise oft in der Öffentlichkeit dargestellt – sondern zugleich auch um ein neues „Entgeltrahmenabkommen“ (ERA). Mit ERA will die IG Metall bekanntlich eine neue Ära im Lohnsystem einläuten und die Aufhebung der Spaltung zwischen Arbeiter und Angestellten durchsetzen, um den modernen Produktionsformen in der Metallbranche mit Computertechnik, Teamarbeit und Leistungsvorgaben gerecht zu werden.

Zwei Jahre haben IG Metall Küste und die Unternehmer im Nordverbund bereits darüber verhandelt. In keinem anderen Bezirk sind die Verhandlungen über ERA so weit gediehen, wie an der Küste. Und ein entsprechendes Vertragswerk ist eigentlich ausverhandelt, da in den zentralen Punkten (Eingruppierungsmerkmale, Leis-tungsentgelt) Einigkeit besteht. Doch nun übt der überregionale Unternehmerverband „Gesamtmetall“ Druck auf die Norddeutschen aus, er möchte die „flächendeckende“ ERA-Umsetzung nun gerne bis aufs Jahr 2012 aussetzen.

Dass der Norden mit ERA weiter ist als der Süden, liegt auch daran, dass im Norden bisher Lohnsysteme in Kraft waren, die sich leichter in ERA übertragen lassen . Aber auch andere Tarifbezirke wie Niedersachen und Nordrhein-Westfalen hinken bei ERA hinterher: „Die können nur bei uns abschreiben“, so ein Insider. Der kampfstarke Bezirk Baden-Württemberg steckt ERA betrefffend sogar noch in der Friedenspflicht.

„Warum sollen die Kollegen hier im Norden auf ERA bis 2012 warten, wenn sie schon heute in Teamarbeit mit Zielvorgaben und Akk-ord dasselbe machen, nur die Angestellten dafür 200 Euro mehr bekommen“, so ein IG Metall-Funktionär. Und auch Zwickel macht deutlich, dass es keinen Tarifabschluss geben wird, in dem nicht ERA-Kernelemente berücksichtigt sind.

Daher bereitet sich der Bezirk Küste – der als einziger West-Bezirk mit Mecklenburg-Vorpommern zudem auch gleichzeitig ein Ost-Bundesland vertritt — nun auf einen massiven Arbeitskampf vor, wenn es morgen beim Lohn-Angebot von zwei Prozent minus X für ERA bleibt. Bereits Ende April könnte von der Metall-Zentrale für Urabstimmung und Streiks grünes Licht gegeben werden.

Für diesen Fall richtet sich die IG Metall nach dem Vorbild der IG Medien erstmals mit dem „Kombi-Streikkonzept“ auf flexible Ar-beitskampfformen ein. Neben der Strategie der „Nadelstiche“ – gezielte, aber zeitlich begrenzte Arbeitskampfmaßnahmen – wird es Schwerpunktstreiks über längere Zeiträume geben. Mit diesem flexiblen Konzept sollen die Unternehmer-Waffen der unterschiedlichen Aussperrungen stumpf gemacht werden. Kai von Appen

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