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Philosophin über KI-Bilder und Ethik„KI-Bilder sind für den Populismus extrem nützlich“

Die Philosophin Dorothea Winter spricht über Kitsch und Kunst, warum Social-Media-Plattformen die KI so lieben und eine Ethik der falschen Bilder.

Das wäre dann wohl Kitsch: „The Next Rembrandt“ (2016), mit KI erstelltes Gemälde nach Barockmaler Rembrandt Harmenszoon van Rijn Foto: ING Group
Interview von Marc Tawadrous

taz: Frau Winter, welches KI-Bild haben Sie zum ersten Mal bewusst als solches wahrgenommen und was dachten Sie dabei?

Dorothea Winter: „The Next Rembrandt“. Das war 2016, also in der KI-Welt gefühlt im Mittelalter. Bei dem Projekt wurde eine KI mit hunderten Rem­brandt-Gemälden gefüttert und hat basierend darauf einen neuen Rembrandt erschaffen. Sogar einige Ex­per­t*in­nen haben gesagt, das sehe aus wie ein echter Rembrandt. Da war zunächst diese diffuse Angst, die wohl die meisten Leute haben, wenn sie zum ersten Mal sehen, wie gut diese KI-generierten Werke sind. Dann dachte ich: Was heißt das jetzt für die Kunstwelt und für den Anspruch an Wahrheit, wenn es um Bilder geht?

Bild: Charlot van Heeswijk
Im Interview: Dorothea Winter

Dorothea Winter (*1995) pro­moviert in Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humanistischen Hochschule Berlin. Sie forscht zu Künstlicher Intelligenz, Demokratietheorie und Ethik.

taz: Welches Ereignis war für Sie ein KI-Meilenstein?

Winter: Der Moment im Sommer 2022, als die damalige Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey 15 Minuten lang auf einen KI-Klon vom Kyjiwer Bürgermeister Vitali Klitschko reingefallen ist. Wenn schon Profis und Po­li­ti­ke­r*in­nen das nicht mehr erkennen, dachte ich, wie soll das denn für den Otto Normalverbraucher sein? Und welche Auswirkungen hat das auf unsere Demokratie?

taz: Welche Auswirkungen haben KI-generierte Videos und Bilder denn auf die Demokratie?

Winter: Ich habe den Eindruck, dass Diskurse durch KI-generierte Bilder noch emotio­naler geführt werden. Positiv gedacht können sie Debatten anregen. In der Praxis werden sie aber oft zur Manipulation und Mobilisierung benutzt. Bilder sind für den Populismus einfach extrem nützlich, die AfD hat das in ihren Wahlkämpfen auch schon vereinzelt benutzt, hat etwa Darstellungen von Flüchtlingswellen mit KI generiert, bei denen man sich echt fragt, ob das verfassungsrechtlich noch gedeckt ist.

taz: Jetzt kann je­de*r KI-Bilder erstellen. Ist das ein Problem?

Winter: Das Problem ist die Menge. Früher musste man noch Fotograf*innen, Gra­fi­ke­r*in­nen und Bild­be­ar­bei­te­r*in­nen engagieren, heute kann das jeder rechte Troll am Laptop in Sekunden produzieren und veröffentlichen. Diese Quantität war vorher undenkbar. Hinzu kommt der ganze Möglichkeitsraum durch Deepfakes. Videos von Po­li­ti­ke­r*in­nen lassen sich inzwischen so gut fälschen, dass man kaum noch erkennen kann, ob sie echt sind.

taz: Wie hängen Fake News oder selbstgemachte KI-Inhalte mit Social Media zusammen?

Winter: Wenn diese Bilder nur existieren würden, wäre das Problem theoretisch lösbar. Man könnte sie einfach erkennen und löschen. Praktisch zeigen Meta, Tiktok & Co. aber, dass sie das nicht wollen: Polarisierende Inhalte generieren mehr Verweildauer und Engagement, und das liegt im Interesse der Plattformen. Sie wollen also, dass radikale Inhalte sichtbar bleiben.

taz: In vielen Feeds sehen wir perfekte, hochstilisierte KI-Bilder. Was macht das mit uns?

Winter: KI-generierte Bilder in bestimmten Kontexten, wie im Journalismus, können unproblematisch sein, wenn sie mit Disclaimern eingesetzt werden. Komplexer wird es bei Bildern, die Menschen darstellen. Die sind inzwischen so gut, dass man sie kaum von echten Fotos unterscheiden kann. Es gibt KI-Influencerinnen, bei denen viele Fol­lo­wer*­in­nen nicht merken, dass sie nicht echt sind. Der erste Impuls aus der Ethik war: „Super, dann brauchen wir keine echten Models mehr, die sich runterhungern müssen.“ Man könnte das an die KI outsourcen und bei echten Menschen gesündere Ideale etablieren. Aber so einfach ist das nicht. Schönheitsideale wirken auch dann, wenn wir wissen, dass die dargestellten Models nicht echt sind. Das haben wir schon bei Photoshop gesehen: Selbst wenn klar ist, dass ein Bild bearbeitet ist, kann es Druck oder Unzufriedenheit auslösen. KI ändert nur die Produktionsweise, nicht unbedingt die Wirkung auf uns.

taz: Wie sollten wir denn dann am besten mit KI-Bildern umgehen?

Winter: Das Erste wäre eine Transparenzpflicht, sodass jede Art von KI ein Siegel bekommt, auch wenn da manche aus der Privatwirtschaft aufschreien. Außerdem fände ich Quoten wichtig. So würden wir einerseits Menschen, die nicht mit KI arbeiten, ermöglichen, ihre Stellung zu sichern, und gleichzeitig die KI-Werke sichtbar hervorheben.

taz: Was meinen Sie genau mit Quoten?

Winter: Dass man festlegt, wie viel KI auf Social Media oder in einem Medium sein darf. Das klingt ein wenig utopisch, ist es aber nicht. Einige Redaktionen machen das schon.

taz: Wer trägt die Verantwortung für den richtigen Umgang mit KI?

Winter: Die größte Verantwortung liegt klar bei der Politik. Sie muss die Rahmenbedingungen festlegen, also entscheiden, was erlaubt ist und was nicht. Die Situation ist gar nicht so rechtsfrei, wie oft behauptet wird. Das Problem ist eher, dass Regeln nicht ausreichend umgesetzt werden. Und an die politischen Vorgaben müssen sich dann die Unternehmen halten. Das muss durchgesetzt werden. Die End­nut­ze­r*in­nen sehe ich dagegen nicht in der Verantwortung – die Prozesse sind einfach zu komplex. Stattdessen müssen wir die Menschen aufklären. Nicht nur vor die Geräte platzieren, sondern erklären, wie Bilder eine eigene Wahrheit herstellen oder manipulieren können.

taz: Sie nennen KI-Bilder oft „Kitsch“, warum?

Winter: Ich benutze „Kitsch“ vor allem, um KI-Bilder von Kunst abzugrenzen. Wenn ich mich vor Midjourney setze und sage: „Mach mir ein Bild im Stil von Kandinsky, mit Rot, Blau, Grün“, dann ist das kein Kunstwerk – im besten Fall ist das Kitsch. Kitsch hat für mich drei Kriterien: Erstens, er ist sehr leicht reproduzierbar. Zweitens, er stützt sich oft auf Stereotype und Klischees. Wenn du „romantisch“ eingibst, bekommst du Sonnenuntergang und rote Rosen. Drittens, Kitsch hat keinen Interpretationsspielraum, keine Metaebene. Er erfüllt meist nur den Zweck, hübsch auszusehen und ins Farbschema eines Raumes zu passen. Bei vielen KI-Werken trifft das zu.

taz: Wenn dieser Kitsch immer mehr wird, verändert das unsere Erwartungen an Realität und Ästhetik?

Winter: Ja. Ein interessantes Phänomen ist die Art „Globalisierung“ von Stilrichtungen durch KI: Früher war Kunst stark eurozentrisch, jetzt fließen Daten aus aller Welt ein. Das klingt nach Diversität, führt aber oft nicht zu mehr Nuance, sondern zu einem kitschigen Einheitsbrei. Die Nuancen gehen verloren. Bei KI-Werken ist das Problem, dass sie nicht verstören oder zum Nachdenken zwingen – sie sind nett, kurz konsumierbar. Man bleibt 30 Sekunden bei einem süßen Hasen-Video, denkt „witzig“ und weiter. Ob uns das guttut, ist eine bildungspolitische Frage, die kaum gestellt wird.

taz: Gibt es gute KI-Kunst?

Winter: An sich mag ich KI-Werke oft dann besonders, wenn sie vieles Verschiedenes zusammenbringen. Ich finde, Johanna Reich macht unglaublich interessante Projekte mit KI. Reich denkt nicht in Schubladen wie „klassisches Bild“ oder „Soundarbeit“, sondern baut hybride Räume, in denen visuelle, auditive und semantische Ebenen verschmelzen. Dadurch entstehen Werke, die nicht nur ein Medium repräsentieren, sondern selbst den Übergang, die Reibung zwischen Medien erfahrbar machen. In einer Zeit, in der KI oft monomedial eingesetzt wird – etwa als reine Bildmaschine – finde ich diesen intermedialen Zugriff besonders stark, weil er die Komplexität der Technologie ernst nimmt und künstlerisch fruchtbar macht.

taz: Online gibt es schon Gegenbewegungen gegen KI-generierte Inhalte. Wird das auch in Zukunft von Gewicht sein?

Winter: Da bin ich mir sicher. Immer wenn Technologie neu ist, sind die Menschen daran interessiert und nutzen sie viel. Aber auch KI-generierte Bilder werden irgendwann langweilig. Das sieht man auch jetzt schon. Vor einigen Jahren wurde bei Christie’s das erste KI-Bild für mehrere Hunderttausend Euro verkauft und es gab ein riesiges Spektakel. Heute ist dieses Bild nur noch einen Bruchteil wert und würde bei Christie’s nie angeboten werden.

taz: Wie wird unser Feed in zwei Jahren aussehen?

Winter: Das wird wahrscheinlich der Höhepunkt von KI-generierten Werken sein. In 10 Jahren hoffe ich, dass es dann nur noch Mittel zum Zweck ist. Das ist meine optimistische Prognose.

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