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Pflichten des Kapitäns der "Costa Concordia"Kein echter Held

Der 52-jährige Kapitän der "Costa Concordia" verließ das Schiff, lange bevor sich die letzten Passagiere retteten. Was sagt uns das über den schiffbrüchigen Seemann?

Kein wahrer Held: Francesco Schettino verließ das Schiff lange vor den letzten Passagieren. Bild: imago/ Milestone Media

Es gibt diese Redensart: "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff." Universal anwendbar für Leute, die sich um etwas drücken. Die Oberratte dieser Tage ist Francesco Schettino, der Kommandant des havarierten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia". Telefonmitschnitte auf der Blackbox belegen nun, was Passagiere zuvor schon berichtet hatten: Der 52-jährige Kapitän hat das Schiff verlassen, lange bevor es vollständig evakuiert war.

Elf Tote wurden bislang gefunden, dutzende Menschen werden noch vermisst. Der Kapitän sitzt in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen fahrlässiger Tötung, Verursachung eines Schiffbruchs und wegen des Verlassens des Schiffs vor anderen. Die Reederei macht ihn allein verantwortlich. Die Medien, schnell dabei beim Erschaffen von Helden wie von Monstern, haben einen Täter und einen Feigling.

Aber kann man das erwarten? Dass einer dort bleibt, auf einem längst schrägliegenden, mit Wasser volllaufenden Schiff? Dass der Kapitän den Helden spielt, als wäre es die "Titanic"? In der Frage liegt schon das Problem. Irgendwann einmal war es selbstverständlich, dass man sich opferte. Dass der König voran in die Schlacht ritt. Dass man etwas tat aus Berufsehre, Glauben, Moral. Dass man Verantwortung übernahm. Ein In-den-Kampf-Ziehen für die eigenen Überzeugungen ist selten geworden.

Die archaische Sehnsucht nach Helden ist aber offenbar geblieben. Man ist schnell dabei, Menschen zu Helden zu küren, Sportler, Lebensretter. Es gibt sie - und die Feiglinge. Die Welt gebastelt aus Extremen. Weil auch eine individualisierte Gesellschaft Fixpunkte braucht. Zwischen Held und seinem Gegenteil lebt dann: der Mensch. Die Entschuldigung für alles.

"XY ist auch nur ein Mensch" - der Bundespräsident, der Ehebrecher, der Schiffbruchkapitän - eine Ausrede für alle. Doch was heißt hier "nur"? Wer keinen Drachen tötet, kein Leben rettet, der kann sich gleich bequem zurücklehnen in seinem von Natur aus fehlerhaften Menschsein? Gerade "der Mensch" kann über sich hinauswachsen - und andere können an seinem Vorbild wachsen. DAZ

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9 Kommentare

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  • S
    SigridJVS

    Richtig: Es geht nicht um die Erwartung an "Heldentum", sondern um Pflichterfüllung. Es ist schlicht die Aufgabe eines Kapitäns, Teil seiner Arbeitsplatzbeschreibung, eine Havarie von der Brücke aus zu managen, die Evakuierung zu koordinieren und den Funkkontakt zur Küstenwache zu halten.

    Ein Feuerwehrhauptmann kann auch nicht nach Hause gehen, wenn ihm zu warm wird, eine Pilotin nicht zum ersten Fallschirm greifen. Das ist Berufsrisiko und Berufsanforderung und somit eine grobe Pflichtverletzung. Dass der fragliche Kapitän einen emotionalen Zusammenbruch gehabt haben mag, steht auf einem anderen Blatt...

  • S
    sigibold

    Frei nach Ronja Räubertochter setzt sich dieser Käpten über alle Vorschriften hinweg. Wie soll man wirklich wissen, ob die Abstandregeln wirklich sinnvoll sind, wenn man es nicht austestet. Mein Eindruck: Eine Flachpfeife sondergleichen. Mehr ist nicht dazu zu sagen. Aber warum soll ein Land, dass einen Berlusconi erträgt auch höhere Ansprüche bei Kapitänen haben.

     

    sigibold

  • B
    Branko

    Liebe taz,

     

    es geht nicht um Heldentum und Ehre, sondern um ein sehr großes und komplexes Verkehrssystem, von welchem sich derjenige vorzeitig verpisst hat, der nicht nur den Gesamtüberblick über den Kasten und seine technische und personelle Situation hatte, sondern vor allem auch die oberste Organisationsgewalt inne hatte, an der Spitze der Kommunikationshierarchie stand und die Evakuierungs- und Rettungsmaßnahmen zu koordinieren hatte.

     

    Es verlangt heute niemand mehr von einem Kapitän, mit seinem Schiff unterzugehen.

    Aber sich vorzeitig zu verpissen ist schlimmer als Fahrerflucht und unterlassene Hilfeleistung in viertausendfachem Fall.

     

    Ich bitte darum dieses auch derart aufs schärfste anzukreiden.

    Denn daß Kapitäne ihre sinkenden Pötte verlassen, die sie selbst an die Wand gekarrt haben, und ihre Mannschaft dann einfach absaufen lassen, erleben wir in Wirtschafts- und Politkerkreisen tagtäglich.

    Und das bedarf sicher keinerlei Schönfärberei, sondern da gehört mit aller Gewalt draufgehauen, damit das keine Schule macht!

     

    "Wir kriegen soviel Geld, weil wir die Verantwortung tragen."

    Jaja.

  • LW
    lars willen

    und was haben die medien und schmierfinken geleistet?habt ihr nicht alles tool geschrieben und das alles erlaubt ist.

    "ihr seht den splitter im auge des anderen,aber den balken in euren eigenen auge seht ihr nicht"jesus.

    wäre das schiff nicht gesunken wenn der kapitän an bord bleibt?nein es wäre trotzdem gesunken.

    wäre der kapitän an bord geblieben wenn ihr zeitungen mal öfter über helden schreibt,auch wenn die männlich,verheiratet,mit kinder und nicht reich sind?ja das wäre er.

    ihr habt die männer schlecht gemacht! jetzt lebt mit ihnen und haltet eure schnauze

  • MM
    Michael Marx

    Leider hat der Autor hier etwas verwechselt - was allerdings auch ausser Mode gekommene Begriffe sind; Pflicht und Heldentum.

     

    Es gibt Berufe (und dafür braucht es nicht einmal Berufung)die haben ein gewisses Berufsrisiko, das sich im Regelfall auch in der Bezahlung wiederspiegelt. Berufsrisiko eines Bodyguard ist es etwa im schlimmsten Fall eine Kugel abzubekommen die seinem Klienten galt.

     

    Das mag ein Extrembeispiel sein, aber es verdeutlicht die Ambivalenz vieler hochbezahlter Berufe - es gibt einen Punkt, an dem man ein persönliches Risiko einzugehen hat als Teil seines Berufes. Wer dazu nicht bereit ist sollte diesen Beruf nicht ergreifen. Der Vorteil solcher Berufe ist aber eben, das eben der Regelfall anders aussieht -

     

    Im Regelfall des Berufalltages steht der Kapitän (Gottseidank) genausowenig vor der Entscheidung die Evakuierung seines Schiffes bis zum Ende zu leiten wie der Bodyguard vor der Entscheidung steht die Kugel zu fangen....

     

    Bei der Einstellung in einem solchem Beruf gehe ich eine also offensichtlich eine Verpflichtung ein - diese nicht zu erfüllen ist Pflichtverletzung (oder im Grunde Betrug, da der Kapitän das Honorar das er bisher bekommen hat u.a. deshalb bekommen hat weil er bereit war als letzter das sinkende Schiff zu verlassen .)

     

    Während das Verhalten des Kapitäns also einen Fall von Pflichtverletzung darstellt wäre das ausharren auf seinem Posten bis zuletzt nur Pflichterfüllung -aber kein Heldentum.

     

    Wenn Pflichterfüllung bedeutet, auch dann zu tun, wofür man bezahlt wird, bzw was zu tun man zugesichert hat und was andere von einem erwarten (können), wenn die Situation für einen selbst unangenehm oder gefährlich wird dann ist Heldentum sicher mehr!

     

    Eine treffende Formulierung für Heldentum wird singemäss benutzt bei der Verleihung des höchsten millitärischen Ordens der USA ; "auffallende Tapferkeit und Furchtlosigkeit bei Lebensgefahr weit über die Pflichterfüllung hinaus" (zitiert laut Wikipedia)

     

    In meiner Vorstellung wäre ein Kapitän dann ein Held, wenn er bei einem Zusammenstoss zweier Schiffe nicht nur die Ihm anvertrauten Passagiere retten würde, was seine Aufgabe ist, und wofür er bezahlt wird, sondern auch noch die Passagiere des anderen Schiffes unter persönlichem Einsatz retten würde.

  • Y
    yepp

    Genau so nichtssagend wie die furiose Kommentarecke in unserer intellektuellen Rhein-Neckar-Zeitung

    ;P

  • B
    Bremer

    Ein Kapitän trägt nun einmal die Verantwortung für sein Schiff, die Mannschaft und die Passagiere.

     

    Er ist sowohl für die schöne Fahrt verantwortlich als auch im Unglücksfall für die Evakuierung.

     

    Eine Evakuierung eines Schiffes kann man jedoch nur vom Schiff aus Koordinieren, nicht vom Rettungsboot oder aus dem Hafen.

     

    Insofern brauchen wir gar nicht mit dem Heldenmythos zu arbeiten, es reicht schlicht und ergreifend der "normale" Verantwortungsbegriff...

  • A
    Ali

    Wann genau soll der Koenig als erster voran in die Schlacht geritten sein?

  • G
    Gerald

    "Dass man etwas tat aus Berufsehre, Glauben, Moral. Dass man Verantwortung übernahm. Ein In-den-Kampf-Ziehen für die eigenen Überzeugungen ist selten geworden. "

     

    Vom Kapitaen wird kein in-den-Kampf ziehen erwartet, sondern dass er seine Pflicht tut, von seinen Leuten dass sie ihm Gehorsam leisten, auch bzw gerade unter Lebensgefahr. Alles Sekundaertugenden mit denen man auch ein KZ leiten kann, wie irgendein Trottel mal geschrieben hat. Allerdings anscheinend unverzichtbar wenns richtig schwierig wird.