Pfizer-Umzug: Dicke Potenzpille für Berlin
Dass der Pharmariese Pfizer seine Deutschlandzentrale nach Berlin verlegt, verbucht der rot-rote Senat als seinen Erfolg - nicht ganz zu Unrecht.
Pfizer wirbt ausnahmsweise mal nicht für durchblutungsfördernde Pillen. Die aktuelle Kampagne des Pharmakonzerns malt ein anderes Produkt in leuchtenden Farben: Berlin. Auf internen Infoveranstaltungen erfahren die Mitarbeiter, was Mitte von Zehlendorf unterscheidet und wie Kitas und Schulen in der Hauptstadt funktionieren. Wem die Theorie nicht reicht, der kann auf Konzernkosten zwei Tage an die Spree reisen, Hotel und Stadtrundfahrt inklusive. "Unser Ziel ist, möglichst jeden für den Umzug gewinnen", erklärt Konzernsprecher Martin Fensch die ungewöhnliche Charmeoffensive.
Was umzieht: Die Deutschlandzentrale zieht im Frühsommer 2008 aus Karlsruhe nach Berlin. 500 Mitarbeiter sollen mitkommen, hofft die Geschäftsführung. Betroffen sind die Bereiche Human-Arzneimittel und das Tiergesundheitsgeschäft.
Was schon da ist: Berlin ist für Unternehmen der Gesundheitsbranche sehr attraktiv. Im Standort-Ranking 2007 des Instituts für Sozialökonomische Strukuranalysen (Söstra) liegt die Hauptstadt auf Platz eins - vor Rheinland-Pfalz. Auch in der Forschung ist Berlin mit Charité und Institutionen wie dem Deutschen Herzzentrum führend.
Von Karlsruhe aus betrachtet ist Berlin eben schrecklich weit weg. Zwei Monate ist es her, dass der Weltkonzern den Umzug seiner Deutschlandzentrale nach Berlin ankündigte, 500 Mitarbeiter will die Geschäftsführung locken. Pfizer stellt nicht nur die berühmt-berüchtigte blaue Viagra-Tablette her, sondern produziert ein breites Sortiment in der Human- und Tiermedizin - vom Schmerz- bis zum Herz-Kreislauf-Medikament. Die Aussicht auf eine solch dicke Potenzpille für die hiesige Wirtschaft versetzte Klaus Wowereit (SPD) in freudige Erregung, und instinktsicher verbuchte der Regierende Bürgermeister die Botschaft aus Baden als Erfolg - für sich selbst: "Die jahrelang betriebene Politik des Ausbaus unserer Stadt als Gesundheitsstandort trägt jetzt nachhaltige Früchte."
Tatsächlich ist der Pfizer-Coup ein Lehrstück, dass Landespolitik im globalen Spiel der Firmen nicht so machtlos ist, wie ihr oft unterstellt wird. "In der Branche wird durchaus wahrgenommen, dass wir uns besonders engagieren - auch wenn man unseren Einfluss nicht überbewerten darf", freut sich der zuständige Staatssekretär in der Wirtschaftsverwaltung, Volkmar Strauch (SPD). Auch wenn er schon weniger euphorisch klingt als sein Boss: Ist Pfizer das Musterbeispiel dafür, dass Sozis und Sozialisten Wirtschaftspolitik besser können?
Der rot-rote Senat setzt seit 2005 auf die Gesundheitswirtschaft. Ein damals erstellter Masterplan versucht die Branche mit einem Bündel von Ideen zu stärken, setzt etwa auf die Bildung von Netzwerken oder die Förderung von Leuchtturmprojekten. Die Zahlen sprechen für diese Strategie: Von 2000 bis 2006 stieg die Zahl der Beschäftigten in Berlin im Jahresschnitt um 0,5 Prozent - bundesweit waren es nur 0,4 Prozent. Andere Großstädte verzeichneten gar ein leichtes Minus. "Besonders wichtig ist, dass wir vor den wichtigsten Konkurrenten München, Frankfurt, Köln und Hamburg liegen", sagt Strauch. Was in Frankfurt die Banken, in Hamburg die Verlage sind, könnte im Berlin der Zukunft die Gesundheitsbranche sein - ein Alleinstellungsmerkmal.
Am Anfang des Pfizer-Deals stand eine kleine Geste, von der Karolin Clement berichten kann. Sie leitet das Life-Science-Team der Wirtschaftsförderung Berlin-Partner. Im Juni 2006 fiel ihr eine Meldung im Observer auf: Pfizer plane, seine Europazentrale nach Deutschland zu verlegen, schrieb das Blatt. Clement gab der Senatskanzlei den Tipp, woraufhin Wowereit persönlich beim Vorstand von Pfizer Deutschland anrief.
Die Meldung entpuppte sich als Ente: Pfizer hat gar keine Europa-Zentrale. "Dann war erst mal Sendepause", erzählt Clement. Bis der Deutschland-Chef von Pfizer, Andreas Penk, Wowereit den Umzug ankündigte - gerade mal zwei Tage vor der offiziellen Presseerklärung Anfang Juli 2007. Für Clement und ihre Kollegen geht die Arbeit jetzt erst richtig los: Sie organisieren die Orientierungswochenenden für die Karlsruher mit und helfen bei der Jobsuche von Lebenspartnern der Angestellten.
Dabei ist der Service nur ein kleiner Halm im kuschligen Nest, das sich der Konzern in Berlin erhofft. "Es geht vor allem um eine strategische Entscheidung", heißt es hinter den Kulissen in Karlsruhe. Penk umschreibt das so: "Wichtige Partner und Verantwortliche aus Wissenschaft, Verbänden und Unternehmen der Gesundheitsbranche haben ihren Sitz in der Stadt oder kommen dorthin. Dem müssen wir Rechnung tragen." Wie in anderen Beziehungen gilt: Wer ähnliche Interessen hat, zieht sich magisch an. US-Wissenschaftler haben untersucht, nach welchen Kriterien Firmen ihre Zentrale verlegen. "Entscheidend sind Agglomerationseffekte", sagt Sebastian Kessing, Finanzexperte am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). "Wenn sich viele Unternehmen einer Branche an einem Standort konzentrieren, ziehen weitere nach, um Synergien und Netzwerke zu nutzen."
Vorstandschefs verhalten sich also wie Dominosteine: Kippt einer, kippen die anderen auch. "Der Nachzugseffekt lässt sich bei Firmenzentralen verschiedener Branchen beobachten", so Kessing. Schließlich benötigten diese ähnliche Dienstleistungen, etwa beim Marketing oder den Finanzen.
Das wichtigste Kriterium aber hat Pfizer-Chef Penk in seiner Hymne auf Berlin nicht erwähnt: die Nähe zur Politik. Das ist kein Zufall. Wer gibt schon offen zu, dass er effizientere Lobbyarbeit betreiben will? Aber gerade deshalb ist die Hauptstadt für die Gesundheitsbranche attraktiv. Ihr Geschäftsfeld wird stark vom Staat kontrolliert, sei es in Krankenkassen oder Krankenhäusern. Entsprechend ist der direkte Draht zu Entscheidern in Parlament und Verbänden entscheidend. "In diesem Fall spielt die Funktion Hauptstadt natürlich eine wichtige Rolle", sagt Staatssekretär Strauch.
Seine Verwaltung kann Entscheidungen dieser Größenordnung nicht drehen. Sie gibt kleine Anreize. Dabei geht es in der Behörde manchmal zu wie in einem James-Bond-Film. Manche Firmen bestehen auf "non-disclosure agreements", in denen sich beide Partner zur Geheimhaltung verpflichten. "Wir hätten schon Deals verloren, wenn sie zur Unzeit öffentlich geworden wären", erzählt Strauch. Innerhalb der Verwaltung wissen dann nur Staatssekretäre und Abteilungsleiter Bescheid, in Vermerken steht ein Codewort statt des Firmennamens.
Bei Pfizer war Geheimhaltung nicht nötig, der Konzern hielt seine Karten bis zur letzten Minute oben. Das tun nicht alle. "Andere Unternehmen veranstalten eine richtige Roadshow: Die Vorstände gehen auf Reisen, und die Städte müssen vorsingen", sagt der Sprecher von Berlin-Partner, Christoph Lang. Als die Deutsche Bahn 2005 drohte, nach Hamburg zu ziehen, erinnerte das an ein Pokerspiel - bei dem Bahn-Chef Hartmut Mehdorn Vorteile herauszuschlagen suchte. Es änderte sich nichts, nach einem Machtwort des Bundeskabinetts blieb die Bahn in Berlin. In anderen Fällen kann die begehrte Neuansiedlung für den Gewinner zum Nullsummenspiel werden: "Wenn das Unternehmen geschickt agiert, kann es den Großteil der sozialen Gewinne, die sich aus der Investition ergeben, selbst abschöpfen", sagt Sebastian Kessing.
Was Pfizer an öffentlichen Geldspritzen herausgehandelt hat, ist laut Staatssekretär Strauch noch nicht klar. "Über Subventionen ist nichts entschieden. Sie hängen auch davon ab, wie viel Pfizer investiert." Wobei das Land das Lockmittel Fördergeld nur begrenzt einsetzen kann. Subventionen bewegten sich innerhalb gesetzlicher Vorgaben, erklärt Wirtschaftsförderfrau Clement. "So viel hat man beim Pokerspiel gar nicht in der Hand." Was den Wert eines Wowereitschen Händedrucks wieder beträchtlich steigen lässt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!