schwarze taz: Petros Markaris erfindet den wahren europäischen Helden
DER MENSCHLICHE DRECKSACK
Die internationale Kriminalliteratur ist um einen Helden reicher. Aber irgendwie passt dieser Mann nicht ins Zeitalter des Hochglanz-Optimismus. Er ist ein Nörgler. Er hasst das Fernsehen. Er hat Angst um seinen Job. Er buckelt vor dem Chef und macht Schwächere zur Schnecke. Er quasselt ohne Ende. Sein Name ist Kostas Charitos, Kommissar der Athener Mordkommission. Ihn Kommissar Charitos zu nennen, würde falsche Assoziationen in Richtung Kommissar Maigret oder ähnliche Figuren wecken. So viel Respekt hat Charitos nicht verdient. Dazu schwitzt er zu sehr, tobt zu viel, hat allzu oft Unrecht. Ein Mann wie Charitos, der alle Untergebenen für Wichser hält und den Chef abwechselnd für dämlich oder genial, je nach eigener Verfassung, ein solcher Mann ist der wahre europäische Held unserer Tage.
Der Mord, den er aufklären soll, wurde ausgerechnet an einer von ihm wenig geliebten Person verübt: Die TV-Journalistin Janna Karajorgi war eine Karrieristin, die ihm mit ihrer Besserwisserei auf die Nerven ging. Charitos stochert zunächt lustlos im Dreck herum, dann beißt er sich fest und gerät zwischen alle Fronten. Sein Chef bekommt Druck vom Minister, der Druck aus dem Sender bekommt, der Druck von der Konkurrenz bekommt. Mühsam sind die Recherchen. Athens Straßen sind immer verstopft, Fahrten zu Zeugen oder Verdächtigen dauern mitunter Stunden. Ein von den Medien zum Psychokiller hochgepushter angeblicher Kinderschänder wird zum Tatverdächtigen Nummer eins und taucht unter. Der Chef der Ermordeten könnte Drohbriefe geschrieben haben. Und was soll das alles mit dem gemeuchelten albanischen Paar zu tun haben, über das Janna Karajorgi mehr wusste, als sie sagte?
Während Charitos sich mit seiner Frau abwechselnd streitet, versöhnt, anschweigt und anbrüllt, seinen Chef für immer genialer und abgefeimter hält und von gelegentlich aufblitzender Intelligenz bei seinen Assistenten überrascht wird, wird's immer komplizierter. Notgedrungen entwickelt sich Charitos vom nörgelnden Phlegmatiker zum gewieften Taktiker. Nichts und niemand ist so, wie er zu sein scheint.
Der Niedergang der Zivilisation gebiert den cholerischen Melancholiker, der es sich aus guten Gründen nicht leisten kann, über seine Mitmenschen abschließend zu urteilen: „Ein Polizist, der das Prügeln aufgegeben hat, ist wie ein Raucher, der das Rauchen aufgegeben hat. Auch wenn man sich vernünftigerweise sagt: Wie gut, dass man aufgehört hat, innerlich wünscht man sich nichts sehnlicher, als Prügel auszuteilen, wie auch der ehemalige Raucher alles für einen Lungenzug geben würde.“
Charitos ist ein vielfach gebrochener Charakter. Zur Zeit der Junta war er Gefängniswärter und eine Weile in der Athener Folterzentrale beschäftigt. Er hat nicht protestiert, nicht gekündigt, sondern blieb. Aber er hat gelegentlich einem Häftling die Torturen erleichtert. Nicht heldenhaft, sondern heimlich und feige. Viel ist das nicht. Für einen Designer-Protagonisten im globalamerikanischen Stil bestimmt nicht genug. Wohl aber für einen glaubwürdigen Bullen aus dem Moloch Athen, der uns herausfordert, nach der verschütteten Menschlichkeit im Drecksack zu suchen.
„Hellas Channel“-Autor Petros Markaros ist Dramatiker, Drehbuchschreiber, Essayist und Übersetzer von deutschen Kollegen wie Brecht, Kroetz, Thomas Bernhard und diversen Klassikern. Er beherrscht die hohe Kunst des alltagsgeschwätzigen Dialogs perfekt. Zügig treibt er die Geschichte voran. Keine von den 460 Seiten dieses Romans ist langweilig.
Und obwohl Markaris sich nicht mit detailgetreuen Orts- und Milieubeschreibungen aufhält, erfahren wir hier auch, warum sich die Athener so fremd in ihrer eigenen Stadt fühlen.
ROBERT BRACK
Petros Markaris: „Hellas Channel“. Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Diogenes, 464 Seiten, 44,90 DM
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