Petition für gleiche Gehälter: „Ich mache doch nur den Piks“
Marie Kerkloh arbeitet als Ärztin in einem Impfzentrum und verdient dabei sehr viel mehr als Kolleg*innen. Das findet sie unfair.
taz: Frau Kerkloh, Sie haben als Impfärztin eine Petition dafür gestartet, dass Ihr Gehalt gesenkt wird und dafür andere Gehälter steigen. Warum?
Marie Kerkloh: Ich verdiene als Ärztin im Berliner Impfzentrum 120 Euro die Stunde brutto. Ein*e medizinisch technische*r Assistent*in dagegen verdient 60 Euro die Stunde und ein*e pharmazeutisch technische*r Assistent*in 40 Euro. Noch viel weniger verdienen zum Beispiel die Reinigungskräfte oder die Menschen in der Registrierung – die sind teils auf 450-Euro-Basis eingestellt.
Und das finden Sie ungerecht?
Mein Ziel ist, dass alle, die im Impfzentrum arbeiten, das gleiche Gehalt bekommen. Wir Mitarbeitenden wollen alle was Gutes tun; wir arbeiten alle für den gleichen Zweck und dieser Gemeinschaftsgedanke geht durch die Spaltung in der Entlohnung total verloren.
Wie sehen das die anderen Mitarbeiter*innen?
Als ich mit einer Angestellten im Impfzentrum über die Lohnunterschiede sprechen wollte, sagte sie: „Ich kann mich nicht beschweren, denn ich kriege ja mehr als Mindestlohn und außerdem will ich meinen Job nicht verlieren.“ Da ist mir klar geworden, dass ich als Ärztin viel eher in der Position bin, den Mund aufzumachen, und fand es wichtig, dieses Privileg auch zu nutzen.
In diesem Fall mit dem Start der Petition.
Ich bin in keiner Partei und bisher auch kein Gewerkschaftsmitglied; politische Fragen beschäftigen mich erst seit Kurzem mehr und da dachte ich: Was habe ich denn für Mittel, um was zu ändern? So kam mir die Petition in den Sinn.
Wie kommt es denn zu den großen Gehaltsunterschieden in den Impfzentren?
Seit April verabreicht die 33-jährige Ärztin Corona-Schutzimpfungen in einem Berliner Impfzentrum, zuvor hat sie zweieinhalb Jahre als Assistenzärztin in einem Krankenhaus gearbeitet.
Die Gehälter der Ärzt*innen hat die kassenärztliche Vereinigung mit der Landesregierung ausgehandelt. Da wurde dann argumentiert, dass die Ärzt*innen viel Geld verdienen müssen, weil sie für die Arbeit im Impfzentrum ihre Praxis schließen müssen. Man wollte wohl sicherstellen, dass es genug Personal gibt, aber eigentlich gab es immer genug interessierte Ärzt*innen, auch schon bevor öffentlich wurde, welches Gehalt wir bekommen.
Und die anderen Angestellten im Impfzentrum?
Die werden durch andere Dienstleistungsunternehmen wie zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz nach anderen Tarifen entlohnt und deren Gehalt ist dann deutlich niedriger.
Ärzt*innen sollen auch deswegen besser bezahlt werden, weil sie mehr Verantwortung tragen und eine lange Berufsausbildung mit Studium vorzuweisen haben. Finden Sie das nicht gerechtfertigt?
Ich sehe diese beiden Argumente nicht. Im Impfzentrum tragen alle Leute die Verantwortung, dass die Impfung möglich ist. Ob es nun die Menschen beim Empfang sind oder in der Einweisung. Ich mache nur das Aufklärungsgespräch und setze den „Piks“. Und zur Ausbildung: Allein, dass ich Medizin studieren konnte, war ein Privileg. Die Chance hat nicht jede*r. Durch das abgeschlossene Studium habe ich jetzt außerdem beste Berufschancen. In so einem Rahmen zu sagen, dass ich wegen meiner Ausbildung höher entlohnt werde als die Leute, die ihren Job in der Gastronomie verloren haben und jetzt auf 450-Euro-Basis im Impfzentrum arbeiten, das ist doch verkehrt.
Was bedeutet es fürs Betriebsklima, wenn Menschen so unterschiedlich bezahlt werden?
Die Petition Die von Marie Kerkloh gestartete Petition „Gleiches Gehalt für Impf-Ärzt*innen und -Helfer*innen!“ ist auf dem Portal change.org zu finden. Sie richtet sich an den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sowie Vertreter*innen der Kassenärztlichen Vereinigung.
Ich fühle mich unwohl, weil ich weiß, ich kriege zu viel Geld. Ich mache den gleichen Job wie die anderen, was den Stresspegel angeht. Wenn ich dann in der Pause rausgehe und da hocken alle anderen, fühl ich mich schon ein bisschen separiert. Es sind zwar alle super freundlich zu mir, aber gleichzeitig fühlt es sich auch so an, als ob alle vor einem so ein bisschen kuschen, weil man ja die Ärztin ist; so ähnlich kenne ich das auch aus dem Krankenhaus. Wir grüßen uns, aber ansonsten ist es schwierig, mehr Kontakt aufzubauen. Das liegt auch daran, dass es einen riesigen Pool von Mitarbeiter*innen gibt, sodass eigentlich immer andere Kolleg*innen vor Ort sind.
Das Gehalt ist kein Thema?
Es ist ja allgemein so eine Art Tabu, über das Gehalt zu sprechen. Das ist vielen unangenehm. Dass man nicht drüber redet, sorgt dann auch mit dafür, dass so ein ungerechtes System aufrechterhalten wird.
Haben Sie mit dem Start der Petition Reaktionen von anderen Ärzt*innen erhalten?
Ja, ich habe einigen Kolleg*innen davon erzählt. Eine Bekannte sagte mir, dass sie es „eh von Anfang an ungerecht fand“ und auch sonst habe ich ausdrücklich Zustimmung von Ärzt*innen-Kolleg*innen erhalten und auch viele Ärzt*innen haben die Petition unterschrieben.
Wie läuft es denn bisher mit der Petition? Ist sie gut gestartet?
Ja. Mehr als 20.000 Menschen haben schon unterschrieben, damit hätte ich niemals gerechnet. Ich dachte, ich teile das mit ein paar Freund*innen und schreibe ein paar E-Mails und das war’s – ich habe noch nicht mal einen Account in den sozialen Medien, mit dem ich die Petition publik machen könnte.
Was erhoffen Sie sich von der Petition?
Am Anfang habe ich gehofft, dass sich mit der Petition tatsächlich die Gehälter ändern könnten. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto unrealistischer scheint mir das. Aber trotzdem finde ich die Aktion wichtig, um Awareness zu schaffen und Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland