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Peter Weissenburger Der WochenendkrimiEin Krimi wie ein Tag bei 35 Grad und mit vielen falschen Fährten

Krimifans haben einen bemerkenswerten Charakterzug: Wir lieben das Gefühl, uns geirrt zu haben. Wie soll man sonst erklären, dass fast jeder Krimiplot sich der „falschen Fährte“ als Kunstgriff bedient, uns meistens erfolgreich an der Nase herumführt, geradezu für blöd verkauft, und wir gleich den nächsten einschalten – um wieder wohlig danebenzuliegen?

Eine mögliche Erklärung wäre: Im Gegensatz zu Besserwissenden, Neunmalklugen und Splai­ne­r*in­nen jedweden Geschlechts scheint das Krimivolk gradezu versessen danach, in die Schranken der eigenen Schläue gewiesen zu werden. Noch dazu vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk! Chapeau.

In einem ganzen Knäuel falscher Fähren verhaken sich diese Woche die „Polizeiruf“-Ermittler:innen Ross (André Kaczmarczyk) und Luschke (Gisa Flake). Eine Frau mit deutscher Staatsbürgerschaft wird ermordet, in Kostrzyn. Sie ist Leiterin des dortigen Gerüstbau-Unternehmens und gleichzeitig Präsidentin des Jugend-Fußballklubs nebenan, den auch ihr 13-jähriger Sohn besucht.

Sogleich haben die Kom­mis­sa­r:in­nen Schwierigkeiten, die Tat kriminologisch einzuordnen. Denn die scheint einerseits kühl und säuberlich geplant, während andererseits die Verletzungen des Opfers aussehen als wäre jemand spontan ausgerastet. Die große Frage also: Was für einen Typ Tä­te­r*in suchen wir? Berechnend oder doch eher aufbrausend? Beides gleichzeitig geht schließlich nicht. Oder?

Das Team Ross-Luschke ermittelt traditionell an der deutsch-polnischen Grenze. Deshalb sind die Außenaufnahmen der Mordkommission hier auch nicht irgendein x-ter Fernsehkrimi-Behördenbau, sondern der ikonische Grenzübergang Świecko. Deshalb liest man hier zum Teil Untertitel, oder wird eine Polnischvokabel zum Ermittlungsgegenstand, deshalb wohnen die Figuren mal hüben und arbeiten drüben und mal andersrum, und deshalb wird diese Grenze pro Krimi meistens ein dutzend mal ungezwungen plaudernd durchfahren.

Krimifans haben einen bemerkens­werten Charakter­zug: Wir lieben das Gefühl, uns geirrt zu haben

Fast so, als würde diese Grenze nicht seit Jahren ganz allmählich dichtgemacht.

Wirkt also fast schon nostalgisch-utopisch, dass im ganzen Film niemand zum Pässchen-Hochhalten Schlange stehen muss.

Aber wir wollten ja über falsche Fährten sprechen. Davon gibt es hier genug – wenn nicht viel zu viele. Denn das Opfer hat sich hüben wie drüben genug Feinde gemacht, im Büro, im Verein, als Liebhaberin, Mutter, und ganz allgemein als Person, die die Frechheit besaß, eine Frau zu sein und Macht zu haben. Luschke und Ross stehen also knietief in einer trüben Suppe aus Widersprüchen und Verdächtigen. Die will sich selbst nach einer Stunde Film immer noch nicht lichten.

Das zieht sich wie ein schwüler Tag bei 35 Grad – bis sich dann, allerhand spät, ein unerhörter Verdacht herauskristallisiert. Dieser Verdacht, der kann hier noch nicht verraten werden. Und der ist vom Konzept her spannend. Denn er stellt sämtliche kriminologischen Hypothesen vom Anfang auf den Kopf – und wir lieben es ja schließlich, uns zu irren. (Neunmalklug, wer’s hat kommen sehen).

Leider ist für genau diesen unerhört spannenden Verdacht dann fast kaum noch Film übrig. Irgendwie haben wir uns ein bisschen arg lang in den falschen Fähren festgefressen und für den großen Twist bleiben nur wenige Minuten. Ob die zu einer Runde Sache reichen? Das müssen Sie selber sehen.

Świecko-„Polizeiruf“: „Spiel gegen den Ball“, Sonntag, 22. Juni, 20.15 Uhr, ARD

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