Peter Plate mit Soloalbum: Musik für das Gemeinwohl
Er war mit „Rosenstolz“ sehr erfolgreich, dann konnte Peter Plate nicht mehr. In seinem neuen Album wird das durchschnittliche Leben zum Traum.
Wohlfühlen. Das ist es. Darum geht es. Im Leben, bei der Arbeit, mit der Musik. Sich wohlzufühlen. Darum geht es jedenfalls Peter Plate. Darum geht es seinen Fans. Darum geht es, zugegeben, den allermeisten Menschen. Allerdings haben es nur wenige geschafft, aus diesem weit verbreiteten Hang zum Wohlfühlen auch eine Karriere zu bauen. Direktoren von Wellnesshotels ist das gelungen, Herstellern von Reflexzonensocken und eben Peter Plate.
Das Problem war: dass sich Plate, während er als eine Hälfte von Rosenstolz dafür sorgte, dass sich ziemlich viele Menschen wohler fühlten, selbst irgendwann gar nicht mehr wohlfühlte. Dass ihn auf der Bühne die Angst einholte und die Panik ihn nicht mehr schlafen ließ. In der Presse nannten sie es Burnout. Peter Plate will es nicht so nennen. „Es ist egal, was der Arzt auf den gelben Zettel schreibt“, sagt er, „man ist in einer Krise.“
Rosenstolz gibt es nicht mehr, aber Plate wagt sich nun wieder in die Öffentlichkeit. Ein erstes Album unter eigenem Namen und mit dem Titel „Schüchtern ist mein Glück“ erscheint am Freitag, Plate ist im Frühstücksfernsehen, bei Carmen Nebel und auch schon wieder in der Boulevardpresse, die freudig berichtet, dass der gefallene Star einen neuen Freund hat. Sogar Konzerte will Plate wieder geben, etwas tun, was er mit Rosenstolz seit 2009, seit seinem Zusammenbruch, seit den abgebrochenen und abgesagten Tourneen nicht mehr getan hat.
Einen ersten Test absolvierte er Anfang März im Roadrunner’s Club, einem der wenigen verbliebenen Orte im durchgentrifizierten Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, in dem noch Livemusik möglich ist. Ab und an dreht hier noch eine bärtige kanadische Rockband die Verstärker auf oder eine einheimische Nu-Metal-Kapelle darf neue Gitarrenwände einbauen.
Aus der schwulen Subkultur
So gesehen war der Wohlfühlmusiker Peter Plate falsch im Roadrunner’s. Aber vor einem handverlesenen, überschaubaren Publikum aus ungefähr 250 Fans und Freunden durfte er ausprobieren, wie sich das anfühlt: wieder auf der Bühne zu stehen. Und feststellen: „Das Kribbeln war wieder da.“
Ein wohliges. Ungefähr das Gefühl, das Plate bei seinem Publikum erzeugt. Über 5 Millionen Platten haben Anna Rosenbaum alias AnNa R., die Stimme, und Plate, der Songschreiber und musikalische Kopf, in gut zwei Jahrzehnten als Rosenstolz verkauft – und wurden so zum erfolgreichsten deutschen Pop-Duo aller Zeiten. Dabei waren die beiden Berliner, obwohl aus der schwulen Subkultur kommend, im Osten ebenso erfolgreich wie im Westen – und das lange bevor Silbermond oder Kraftklub endgültig die musikalische Wiedervereinigung gelang.
Aber nicht nur der Erfolg war groß, auch die Häme. Zuerst wurden Rosenstolz von den Mainstreammedien jahrelang ignoriert, dann diagnostizierte die FAZ „Westentaschenoperette“. Was ebenso wenig falsch war wie der Vorwurf, Rosenstolz spielten bloß Schlager für Menschen, die sich nicht eingestehen wollen, dass sie Schlager gut finden.
So wurde das Duo, wie Plate es nennt, „ein Phänomen unserer Zeit“. Ein unheimlicher Erfolg, der nie so recht zu erklären war. Auch nicht durch den Urheber. „Wir haben einfach so lange weitergemacht, bis der Erfolg kam“, sagt Plate heute. So lange machten Rosenstolz einfach weiter, bis sie nicht mehr ignoriert werden konnten und Plate sich zwar immer noch nicht wie ein Popstar fühlte, aber von der Zeit eingeladen wurde, zu erzählen, wovon er so träumt.
Entschleunigen, um sich wohlzufühlen
„Statt endlose Tourneen zu machen, möchte ich lieber einige wenige, kleinere Konzerte geben“, gab Plate damals zu Protokoll. Heute setzt er das um, hat sein Leben entschleunigt, um sich wieder wohlzufühlen. Zum Downsizing gehört, dass Plate nur noch dienstags bis donnerstags arbeitet und den Rest der Woche keine E-Mails öffnet. Demnächst will er mit seinem Büro aus der Fabriketage in Kreuzberg, in der das Interview stattfindet, nach Charlottenburg umziehen, wo er „bürgerlich, klein und zurückgezogen“ lebt, um es nicht mehr so weit zur Arbeit zu haben.
Zum Wohlfühlprojekt gehörte auch, dass die neue Platte mit dem alten Team aufgenommen wurde. Eine „Familienproduktion“ nennt Plate sein Album, Produzent ist sein Exmann Ulf Sommer, geschrieben wurden die Lieder auf Mallorca. „Ein guter Song“, sagt Plate, „muss eine schöne Melodie haben und einen guten Text.“
So viel Harmonie ist nicht zu überhören. Auf „Schüchtern ist mein Glück“ umarmen die Streicher den Zuhörer wie einen guten Freund, das Schlagzeug schlägt im Rhythmus der Herzen, und das Klavier baut ein Bett aus Wohlklang. Selbst „Elektrisch“, der einzige Dance-Track, wippt vor allem entspannt mit dem Fuß.
Dazu erzählt Plate, der selbst sagt, dass er weniger Sänger als Geschichtenerzähler ist, wie er gerade aufwacht und aus dem Fenster schaut, er berichtet, wie in London nach drei Tagen Regen die Sonne aufgeht oder wie er aufs Dach klettert, um die Welt unter sich zu lassen. In diesen privaten Kokon bricht dann meist die Liebe ein, manchmal auch etwas Tragik, aber nichts, was sich nicht reparieren ließe.
Dieses Leben sei etwas besonderes
„Mein Doktor sagt, es geht mir sehr gut / Mein Therapeut macht mir viel Mut“, singt Plate in „Schöner war’s mit dir“. Im Interview sagt er: „Es gibt eine große Sehnsucht bei den Menschen nach Liedern, die aus dem Leben erzählen.“ Der Trick ist: Plate tut so, als sei sein Leben nicht anders als das Leben aller, die ihm zuhören beim Singen über das Leben, aber als sei dieses Leben trotzdem etwas Besonderes.
Das gelingt ihm, weil er seine simpel erzählten Geschichten in alltäglichen Situationen platziert, die jeder kennt, aber die Gefühle, die dort entstehen, in dramatische Höhen emporhebt. „Das ist für den einen Kitsch, aber den Nächsten berührt das“, sagt er. „Die Leute spüren, ob du es ehrlich meinst. Dann ist es auch egal, ob man sich zum Löffel macht.“
Man könnte auch sagen: Der Fan hört in den Liedern, dass derjenige, der die Lieder geschrieben hat, genauso ist wie er selbst. Er hört, dass der Star mal glücklich ist und mal schlecht drauf. Er hört, dass der Star gar kein Star sein will, sondern ganz normal. Er hört: Sein langweiliges Durchschnittsleben ist solch ein Traum, es ist sogar wert, besungen zu werden. Dann fühlt sich der Fan besser.
Es ist das alte Erfolgsgeheimnis von Rosenstolz, das Plate da noch einmal adaptiert. „Als Komponist und Texter hat man halt eine Handschrift“, sagt er. Und wer bei sich bleibt, so denkt er, dem geht es gut. Deshalb sagt Peter Plate, wenn man ihm zum Abschied Erfolg wünscht mit dem alten Rezept und der neuen Platte, auch nicht einfach „vielen Dank“. Er sagt dann: „Wünsch mir lieber Spaß.“
Peter Plate – „Schüchtern ist mein Glück“ (Island/Universal), erscheint am 5. April
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid