Pestizide in Obst und Gemüse: Zweitklassig reicht den Deutschen
Nur die Hälfte des Obstes und Gemüses, das in Deutschland erhältlich ist, ist unbehandelt. Discounter stehen besser da als teurere Läden.
"Obst ist gesund", wusste schon die Großmutter. Doch wenn man der Umweltschutzorganisation Greenpeace glaubt, gilt diese Weisheit längst nicht mehr uneingeschränkt. "Die Obstproben, bei denen zu viele Ackergifte nachgewiesen wurden, haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen", sagte Manfred Krautter, der Chemieexperte von Greenpeace am Donnerstag bei der Vorstellung der "Schwarzen Liste der Pestizide".
Greenpeace zufolge sind heute nur noch gut die Hälfte aller Obst- oder Gemüseproben in Deutschland frei von chemischen Spuren. Das Erstaunliche: Besonders selten würden Spritzmittel bei Billigketten wie Lidl oder Aldi gefunden, häufig dagegen in teureren Läden von Kaisers, Edeka oder Rewe.
1.134 Spritzmittel hatten Chemiker sieben Monate lang im Greenpeace-Auftrag auf Risiken untersucht. Das Ergebnis: 327 der getesteten Chemikalien seien so stark giftig, "dass sie weltweit verboten gehören", meint Krautter. Und von mehr als 550 Substanzen sei so wenig bekannt, dass ihr Gefährdungspotenzial gar nicht ermittelt werden könne. "Sie sind von der chemischen Industrie irgendwann in der Umwelt freigesetzt worden, ohne ihre Wirkung begleitend zu analysieren", kritisiert Krautter. Oft sei es unmöglich, solche Stoffe in den Lebensmitteln überhaupt nachzuweisen. Das Problem betrifft die hiesige Landwirtschaft weniger als den Handel. So ist in Deutschland die Herstellung und Verwendung des krebserzeugende Insektizids verboten. In China aber wird es hergestellt und wurde in deutschen Supermärkten gefunden. In Paprika aus Spanien nämlich. Solche Beispiele gibt es viele.
Gut 150 Kilogramm frisches Obst und Gemüse isst jeder Bundesbürger im Jahr. Tomaten, Paprika oder Auberginen werden unabhängig von der Saison verzehrt. "Mehr als 80 Prozent des in Deutschland verkauften Obstes und 60 Prozent des Gemüses werden importiert", sagt Andreas Brügger vom Deutschen Fruchthandelsverband. Die meisten Gärten für deutsche Kunden liegen an der spanischen Küste oder in gut beheizten Gewächshäusern in den Niederlanden. Die Ernte wird kaum gelagert. Die Laster der großen Importeure wie der Cobana Fruchtring in Hamburg oder der Atlanta AG in Bremen rollen Tag und Nacht. Sie bringen Ware. Allerdings oft Ware zweiter Klasse.
Andernorts spielt die Qualität eine größere Rolle. Etwa in Großbritannien sind die Kunden wählerisch. "Den Deutschen geht es vor allem um den Preis", sagt Fruchthändler Brügger.
"Die Bauern argumentieren, sie könnten sich wegen des Preisdrucks der Discounter keinen Ausfall leisten", sagt Umweltschützer Manfred Krautter. Damit keine Frucht verfaule, würden die Plantagen von der Blüte bis zur Ernte viele Male besprüht. Äpfel würden mit bis zu zwölf verschiedenen Chemikalien behandelt, Paprika mit bis zu zwanzig. Die Schale sähe dann makellos aus.
Aber woher resultieren dann die Unterschiede zwischen den Supermärkten, und wie kommt es, dass es bei Tengelmann oder Edeka "am meisten Gift fürs Geld" gibt?, wie es Krautter formuliert. Lidl-Sprecherin Petra Trabert sagt dazu: "Wir haben seit 2006 ein Qualitätsprogramm für Früchte." Die Lieferanten seien angewiesen worden, die chemischen Belastungen der Ware auf maximal ein Drittel der gesetzlichen Höchstmengen zu mindern. Die Kette zieht häufiger Proben. Bei Aldi ist das ähnlich. Die Lieferanten unterschreiben ein 13-seitiges Papier, in dem sie sich dazu verpflichten, für weniger Chemie im Gemüse zu sorgen: "Mehr als fünf Gifte sind nicht mehr erlaubt", erzählte ein Fruchthändler kürzlich der taz.
Nun will Edeka nachziehen. Am Donnerstag kündigte das Unternehmen an, in diesem Jahr eine Ausschlussliste für Gifte vorzulegen. "Wer seine Ernte ins Edeka-Regal bringen will, muss dann auf die gefährlichsten Wirkstoffe verzichten", sagt Edeka-Sprecher Alexander Lüders. Im Zweifelsfall werde man künftig eine Sperre androhen. Weitere Sanktionen seien noch nicht festgelegt.
Die neue Wachsamkeit zeigt bereits Auswirkungen. Mancher Obst- und Gemüsebauer etwa auf der iberischen Halbinsel bekämpft lästige Insekten jetzt auf eine neue Art: "Viele setzen natürliche Feinde auf den Plantagen aus", berichtet Miguel Merino, der Sprecher Regionalverwaltung der spanischen Provinz Murcia. Er verweist auf den Einsatz von Schlupfwespen, die ihre Eier in Blattläusen ablegen. Die aus dem Ei geschlüpfte Larve frisst die Blattlaus von innen auf. "Saubere Landwirtschaft" heiße das neue Programm, das die Paprika besser mache.
Noch ist das große Fressen auf dem Acker allerdings selten. In der Nachbarregion Andalusien hilft die Regierung den Plantagenbesitzern auch finanziell, erzählt Merino. Die Bauern bekommen die Hälfte des Geldes, dass sie beim Einkauf der Nützlinge zahlen müssen. Wird Obst so teurer? "Langfristig ist die tierische Keule billiger als die chemische", ist Umweltschützer Krautter überzeugt.
Den Einsatz von Chemie zu verringern, forderte am Donnerstag auch Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU). Neue Regeln kündigte er aber nicht an.
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