Personalnotstand in Niedersachsen: Celler Polizei kann nicht mehr
Nach Großeinsätzen klagen die Polizeigewerkschaften gern über Personalnöte. Aber im niedersächsischen Celle scheint die Lage wirklich übel.
Aus allen Inspektionen der PD Lüneburg gebe es Berichte, die die aktuelle Personalsituation „als prekär beschreiben“, erklärten die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die Deutsche Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund (DPolG) und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Die Schichtstärken seien auf „ein Minimum heruntergefahren“, die Beamten führen allein zu Einsätzen, reguläre Streifenfahrten fänden nicht mehr statt.
Weil keine Zeit für Ermittlungen sei, würden Strafsachen nur noch verwaltet. „Wir sind erschöpft. Es gibt keine Erholungsphasen mehr!“, heißt es in der Erklärung. Besonders dramatisch sei die Situation nach Gewerkschaftsangaben im Bereich der PI Celle.
Dort seien in den vergangenen fünf Jahren 50 Stellen eingespart, die Zahl der Beamten somit von 320 auf 270 reduziert worden. In diesem Jahr sollen weitere Stellen gestrichen werden. Der Personalabbau habe „jedes vertretbare Maß überschritten“. Das verbliebene Personal sei überaltert: „In Celle ist ein Polizeibeamter im Durchschnitt knapp 48 Jahre alt, in einigen wesentlichen Bereichen deutlich darüber.“
Vergleichszahlen werden zwar nicht genannt, doch wegen des hohen Altersschnitts und der hohen Belastung seien immer mehr Beamte nur eingeschränkt dienstfähig. „Die Krankenquote des Personalkörpers liegt in Celle bei mehr als elf Prozent“, so die Polizeigewerkschaften. Auch das sei im Vergleich zu anderen Dienststellen des Landes ein „überproportionaler“ Wert.
Andere Polizistinnen und Polizisten schleppten sich trotz Krankheit pflichtschuldig zum Dienst, gab die Hannoversche Allgemeine Zeitung am Donnerstag die Aussage eines Abteilungsleiters wieder: „Wenn das so weitergeht, bricht hier bald alles zusammen.“ Und Celles Oberbürgermeister Jörg Nigge (CDU) wird von dem Blatt mit den Worten zitiert: „Die Polizeibeamten gehen mitunter auf dem Zahnfleisch.“
Sie sind aber offenbar dennoch arbeitsfähig, wie aus der kürzlich vorgestellten Kriminalstatistik 2016 der PI Celle hervorgeht. Demnach sank die Zahl der erfassten Straftaten deutlich. „Das Leben in Stadt und Landkreis Celle ist weiterhin sicher“, sagte PI-Chef Eckart Pfeiffer. Gleichwohl forderten die Polizeigewerkschaften in Celle die politisch Verantwortlichen und den Lüneburger Polizeipräsidenten Robert Kruse zum Handeln auf.
Die sehen dafür aber keinen dringenden Bedarf. Eine Überprüfung verschiedener Belastungsfaktoren habe bislang keine Hinweise auf eine besondere Belastung der PI Celle oder eine Benachteiligung gegenüber anderen Polizeiinspektionen des Bezirks ergeben, so die PD.
Zwar sei in Celle „unbestreitbar ein Personalrückgang zu verzeichnen“, es seien dort aber auch Aufgaben weggefallen – etwa der Objektschutz für den früheren Celler Generalstaatsanwalt und Generalbundesanwalt Harald Range. Neuerdings würden auch alle Notrufe der Polizeiinspektion Celle in einer Leitstelle Lüneburg entgegengenommen, bearbeitet und die daraus folgenden Einsätze disponiert. „Mit der Aufgabenverschiebung von Celle nach Lüneburg ist die Verschiebung der zugehörigen Dienstposten folgerichtig“, argumentiert die PD.
Das ebenfalls angesprochene Innenministerium in Hannover zeigte sich „einigermaßen überrascht von der recht massiv vorgetragenen Kritik“. Und verwies darauf, dass die rot-grüne Landesregierung zahlreiche neue Stellen bei der Polizei geschaffen habe: Es gebe „so viele Polizisten wie noch nie im Land Niedersachsen und dies, obwohl noch eine Einsparrunde der Vorgängerregierung abgearbeitet werden musste“. Der Personalstand der Polizei in Niedersachsen sei auf einem historischen „Hoch“.
Gleichzeitig kündigte das Ministerium Gespräche mit den Polizeigewerkschaften an. Innenminister Boris Pistorius (SPD) will bereits heute auf seiner Sommerreise in Celle vorbeischauen.
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