: Per Anhalter durch Berlin
■ Eine Danksagung an alle AutofahrerInnen, die meinen Daumen erblickten/ Absage ans Fahrrad im Gestank
Die Berliner Highways. Meine Freunde bedauern mich. »Du hast kein Fahrrad, kein Auto? Was machst du denn jetzt nur?« Sie denken wohl, daß ich in der hintersten Ecke von Charlottenburg festsitzen bleibe und höchstens noch den Weg zum Bäcker schaffe. Dabei geht es mit blendend. »Ich trampe!« sage ich mit stoischer Gelassenheit und genieße den Triumph meiner mobilen Überlegenheit.
Trotzdem sind die Blicke der anderen voller Mitleid: »Das habe ich auch versucht. Zwei Stunden habe ich gestanden.« Und jetzt kommt der Moment meiner Rache: »Du vielleicht, ich nicht!«
Obwohl ich noch nicht einmal Miniröcke trage, stand ich niemals mehr als zwei Minuten an einem Ort. AutofahrerInnen halten — und zwar nicht, um sofort wieder loszufahren und mich stehenzulassen. Sie halten und nehmen mich mit, meistens direkt dorthin, wohin ich will.
Nur bei äußerst ungewöhnlichen Strecken muß ich vielleicht umsteigen. Eher treffe ich auf einen Mann, der gerade versetzt worden ist und seinen Frust beim Autofahren quer durch Berlin abreagieren will. So fuhr er nicht dreimal die Avus rauf und runter, sondern mich von Kreuzberg zum Theodor-Heuss-Platz.
Manchmal erinnere ich auch jemanden, der eigentlich von Charlottenburg nach Schöneberg fahren wollte, daran, daß er doch einen wichtigen Termin am Anhalter Bahnhof hat.
Meistens erfinden sie aber nicht einmal eine abstruse Geschichte, um ihre »Verdienste« abzuschwächen, sondern fahren mich aus reiner Gutmütigkeit durch Berlin.
Nach drei Tagen bin ich Meisterin der leichten Konversation geworden, meine Menschenkenntnis wurde um das Wissen über die seelischen Notlagen 55jähriger Tankstellenbesitzer erweitert oder über die ehelichen Streitigkeiten Dahlemer Damenboutique-Besitzer. Alle Sorgen und Nöte höre ich mir an und verteile mitleidige Blicke an RadfahrerInnen, die sich im Gestank der Abgase abrackern, und an AutofahrerInnen, die noch einen Parkplatz suchen müssen. lada
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen