■ Penthouse, Mieterkrach, Geld von VW, Hochzeit und Reise gesponsert: Gerhard Glogowski (SPD) ist als Ministerpräsident von Niedersachsen zurückgetreten: Von Schlagzeilen erschlagen!
Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD) ist dem öffentlichen und schließlich parteiinternen Druck gewichen und wegen der Vorwürfe finanzieller Begünstigungen zurückgetreten.
Der 56-Jährige war als Nachfolger von Gerhard Schröder seit 13 Monaten Ministerpräsident. Zuvor war er seit 1990 niedersächsischer Innenminister und lange Jahre Oberbürgermeister von Braunschweig.
Seit einer Woche musste sich Glogowski gegen heftige Vorwürfe zur Wehr setzen. Er hatte eingeräumt, dass er sich seine Hochzeitsfeier zum Teil von Unternehmen hat sponsern lassen. Gestern tauchten neue Ungereimtheiten um seine Wohnungen in Braunschweig und Hannover auf. Darüberhinaus wurde bekannt, dass Glogowski seine VW-Aufsichtsratsbezüge nicht anteilig an das Land abgeführt haben soll. Mitarbeiter der Staatskanzlei berichteten, in den vergangenen Tagen seien Akten im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den Ministerpräsidenten von engen Mitarbeiten gezielt gesichtet worden.
Glogowski begründete seinen Rücktritt damit, dass die Vorwürfe gegen ihn in den vergangenen Tagen immer heftiger geworden seien. Der Ministerpräsident wörtlich: „Da offenbar in dieser aufgeheizten Atmosphäre für Viele das Urteil schon gesprochen ist, werden die Belastungen immer größer. Das ist der Grund, warum ich nun handeln muss, um mein Land, meine Familie, meine Freunde und meine Partei zu schützen.“
Eine für alle anderen Bürger geltende Unschuldsvermutung und die Möglichkeit, sich in einem geordneten Verfahren auch verteidigen zu können, „scheint für Politiker in meinem Amt nicht mehr vorgesehen zu sein“, sagte der SPD-Politiker.
Justizminister Wolf Weber (SPD) kündigte an, dass heute zunächst das Kabinett, dann der SPD-Landesvorstand und anschließend die SPD-Landtagsfraktion in Hannover tagen sollen. Dabei solle auch über die Nachfolge Glogowskis beraten werden. Der CDU-Landesvorsitzende Christian Wulff hat nach dem Rücktritt Neuwahlen gefordert.
Die grüne Fraktionsvorsitzende in Niedersachsen, Rebecca Harms, erklärte gestern nach dem Rücktritt, Glogowski habe sich offensichtlich „im Dschungel von Ämtern und Positionen nicht mehr zurechtgefunden.“ Sein Rücktritt sei zu spät gekommen, wohl auch deshalb, weil die SPD ein Nachfolgeproblem habe. Der Ministerpräsident habe keinerlei Unrechtsbewusstsein gezeigt. Wenn er sich an dem, ironischerweise von ihm selbst entwickelten Katalog zur Korruptionsbekämpfung im öffentlichen Dienst orientiert hätte, wäre sein Abgang schon vor einer Woche fällig gewesen.
Die Bundesbildungsministerin und SPD-Landesvorsitzende Niedersachsens, Edelgard Bulmahn, lobte indessen, Glogowski habe „seine Person hinter das Amt zurückgestellt, in das er gewählt worden ist“. Dafür gebühre im Dank. Auf Nachfrage erklärte sie, der niedersächsische SPD-Umweltminister Wolfgang Jüttner und der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Sigmar Gabriel, seien „sicher geeignete Kandidaten“ für eine Nachfolge Glogowskis. In SPD-Kreisen gilt Gabriel als Favorit. Der ausgebildete Lehrer ist erst vor anderthalb Jahren zum SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. Der 40-Jährige gilt als Pragmatiker. Mit seinen wortgewaltigen und instinktsicheren Reden hielt er Glogowski bislang im Parlament den Rücken frei.
Gabriel hatte sich gestern bereits in Berlin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu einem vertraulichen Gespräch getroffen. Dabei sei es auch um die aktuelle Situation in Niedersachsen gegangen, hatte es am Nachmittag in Kreisen der SPD geheißen. Die Grünen im Landtag hatten zuvor erklärt, sie würden einen Misstrauensantrag gegen Glogowski stellen. BD/lkw/roga
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