Pendlerpauschale vor Gericht: Auf der Kippe

Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich am Mittwoch kritisch zur Abschaffung der Pendlerpauschale. Die Grundsatzentscheidung kommt erst in den nächsten Monaten.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht. Bild: dpa

KARLSRUHE taz Der Bundesregierung droht im Streit um die Pendlerpauschale eine Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Richter äußerten sich gestern überwiegend kritisch zu der Neuregelung, die 2007 in Kraft getreten ist. Allerdings werden die Kläger nur dann Erfolg haben, wenn fünf von acht Richtern die Reform für verfassungswidrig halten. Da ein Teil der Richter gestern stumm blieb, ist der Ausgang des Verfahrens offen.

Früher konnten Pendler die Kosten des Arbeitsweges ab dem ersten Kilometer von ihrem Einkommen abziehen und so Steuern sparen. Als Pendlerpauschale wurden dabei 30 Cent pro Kilometer berücksichtigt. Seit Januar 2007 fallen Fahrstrecken unter 20 Kilometer bei der Steuer unter den Tisch. Erst ab dem 21. Kilometer kann die Entfernungspauschale von 30 Cent geltend gemacht werden. Der Staat spart so 2,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Drei Finanzgerichte erachteten die Reform für verfassungswidrig, darunter der Münchner Bundesfinanzhof, das höchste deutsche Finanzgericht. Sie legten den Fall in Karlsruhe vor. Gestern fand am Bundesverfassungsgericht die mündliche Verhandlung statt. Im Kern ging es um die Frage, ob die Bürger einen Anspruch darauf haben, dass die Kosten des Arbeitsweges stets vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden.

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) warnte gestern vor Gericht, den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu sehr einzuengen. "Man sollte nicht steuerliche Detailfragen als Verfassungsrecht zementieren", es gebe kein "Grundrecht auf eine Entfernungspauschale". Die Fahrt vom privat gewählten Wohnort zur Arbeit sei nun mal eine "gemischte Aufwendung", die der Gesetzgeber als beruflich oder als privat veranlasst einstufen könne.

Steinbrück verteidigte dabei das 2007 eingeführte Werkstorprinzip, wonach die Fahrt zur Arbeit der Privatsphäre zuzurechnen ist und deshalb bei der Steuer im Prinzip unbeachtet bleibt. Nur für Fernpendler (rund ein Viertel der Arbeitnehmer) gebe es aus sozialen Gründen eine Härtefallregelung, aber erst ab dem 21. Kilometer.

Die Anwälte der Kläger beriefen sich dagegen auf den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Artikel 3), der auch eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit garantiert. Vom steuerpflichtigen Einkommen müssten deshalb alle beruflich veranlassten Kosten abgezogen werden. "Wenn der Pendler morgens im Stau steht, ist das ja wohl kein Privatvergnügen", betonte Anwalt Gerhard Geckle. "Es dürfte kaum möglich sein, dass in Wolfsburg alle VW-Arbeiter am Werkstor wohnen", sagte sein Kollege Ralf Thesing. "Wenn Mann und Frau in verschiedenen Städten arbeiten, können sie ja nicht an beide Werkstore gleichzeitig ziehen", so Norbert Hölscheidt.

Die Einführung des Werkstorprinzips begründete Finanzminister Steinbrück gestern mit Sparzwängen: "Wir hatten mehrfach Haushalte mit verfassungswidrig hohen Schulden vorgelegt. Da mussten wir gegensteuern." Doch der federführenden Richterin Lerke Osterloh schien das als Begründung nicht zu genügen. Mehrfach fragten sie und der neue Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, nach weiteren Gründen für die Reform. Doch der Rechtsvertreter der Bundesregierung, Rainer Wernsmann, musste passen. Auf eine umweltpolitische Begründung habe man ausdrücklich verzichtet. "Wenn bei der Steuer nur noch lange Anfahrtswege berücksichtigt werden, hätte man uns eine ökologische Begründung nicht abgenommen."

Das Urteil wird gegen Ende des Jahres erwartet. Wenn die Reform gekippt wird, tritt nicht automatisch die alte Entfernungspauschale wieder in Kraft. Vielmehr könnte der Gesetzgeber auch eine neue niedrigere Pauschale beschließen, zum Beispiel mit 20 Cent ab dem ersten Kilometer.

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