: Peanuts gegen rechts
Der Aufstand der Anständigen ist gescheitert. Aber daran sind nicht die Projekte gegen rechts schuld, sondern es mangelt an Unterstützung durch Politik und Zivilgesellschaft
Zu Zeiten von Irakkrieg und Sparmaßnahmen ist Zivilcourage gegen rechts kein Thema mehr. Das gilt sowohl für die Politik als auch für die viel beschworene Zivilgesellschaft. Dabei geben die Statistiken keinerlei Entwarnung. Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten hat sich in Ost und West auf hohem Niveau stabilisiert; rechtsextreme Propagandadelikte haben gar zugenommen; und diejenigen, die noch vor drei Jahren mit Lichterketten gegen rechts auf die Straße gingen, reagieren oft mit Schulterzucken, wenn NPD oder Freie Kameradschaften auf Friedensdemonstrationen mitlaufen.
Niemand widerspricht mehr Projekten und Initiativen, die seit geraumer Zeit mahnen, der von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Sommer 2000 medienwirksam beschworene „Aufstand der Anständigen“ sei gescheitert; zum Beispiel am Desinteresse von Politikern, die sich weigern, die bekannten Ursachen für rechtsextreme und rassistische Einstellungen ernsthaft anzugehen: nämlich den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft, der sich aus „Zuwanderungsbegrenzungsdebatten“ und „Flüchtlingsverhinderungsdiskursen“ nährt; und an der Unfähigkeit des Innenministeriums, wenigstens eine lauthals propagierte Säule im Kampf gegen rechts – das NPD-Verbot – professionell vorzubereiten.
Stattdessen greifen die Behörden in die Trickkiste, wenn es darum geht, das Rechtsextremismusproblem unter den Tisch zu kehren. Es wird verharmlost, bis auch die letzte rechte Gewalttat nicht mehr als „extremistisch“ gewertet wird. Und folglich nicht mehr in den Statistiken auftaucht. Gestört wird die Grabesruhe vor dem nächsten Angriff auf einen Flüchtling, einen Obdachlosen, einen Behinderten oder einen Punk lediglich von autonomen Antifagruppen und denen, die sich seit knapp eineinhalb Jahren mit staatlicher Finanzierung vor Ort engagieren.
Zum Beispiel die Mobilen Beratungsteams gegen rechts, die in den fünf neuen Ländern und in Berlin Kommunalpolitikern, Pädagogen und sozialen Einrichtungen zur Seite stehen, wenn das „Glatzenproblem“ das Image einer Kommune zu schädigen droht. Dass diese Projekte trotz – oder gerade wegen – der Bundesfinanzierung durch Programme wie „Civitas“ und „Entimon“ vor Ort immer noch und wieder als „Nestbeschmutzer“ wahrgenommen werden, belegt ihren Erfolg.
So verweigerte etwa die Erfurter Landesregierung kürzlich dem Mobilen Beratungsteam in Thüringen (Mobit) eine vom Bund geforderte Kofinanzierung ab 2004 – weil das Team „polarisiere“, statt zu integrieren. Die Mitarbeiter sind darüber nicht verwundert: Schließlich nehmen sie kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, die Zusammenhänge zwischen Angriffen auf Flüchtlinge, „Ausländer raus“-dominierten Gemeindeversammlungen und ausgrenzenden Gesetzen zu benennen.
Der Erfolg von Programmen gegen Rechtsextremismus lässt sich weder in Statistiken über rechte Gewalt noch in Eurobeträgen messen, wie es der Bundesrechnungshof und der Haushaltsausschuss des Bundestages gerne sähen. Sondern daran, dass bislang noch kein Flüchtlingsheim zum Ziel pogromartiger Bürgermobaufläufe à la Rostock-Lichtenhagen wurde. Weil die aus Bundesprogrammen bezahlten Opfer- und Kommunalberater vor Ort waren und sind. Trotz des Gegenwinds, der ihnen überall entgegenbläst.
Etwa von führenden CDU-Politikern wie Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), die via rechte Medien wie die Junge Freiheit eine Schmutzkampagne in Gang setzten, um die Union als eigentliches Opfer des „Kampfs gegen rechts“ zu inszenieren. Oder aus dem zuständigen Ministerium für Familie, Senioren und Jugend (BMFSJ), das um jeden Preis verhindern will, dass die unter den Projekten durchaus intensiv geführte Debatte um Sinn oder Unsinn einzelner Maßnahmen an die Öffentlichkeit dringt. Zu diesem mangelnden Demokratieverständnis passt, dass ein erster Zwischenbericht der vom Ministerium in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Begleitung der Projekte seit Ende 2002 unter Verschluss gehalten wird. Und dass mit der Amadeu-Antonio-Stiftung diejenigen aus dem Civitas-Programm gedrängt wurden, die sich am vehementesten gegen in der Tat unsinnige „Trommeln gegen rechts“-Projekte gewehrt hatten.
Wer wie Burkhard Schröder (taz vom 1. April) so tut, als würden die Projekte gegen rechts im Geld schwimmen, betreibt Schaumschlägerei. Tatsächlich führt derzeit eine dreimonatigen Finanzierungsunterbrechung für viele Civitas-Projekte dazu, dass die Mitarbeiter ehrenamtlich weitermachen und für die Porto-, Telefon- und Fahrtkosten sowie zur Sicherung der eigenen Existenz auf dem Bau arbeiten gehen. Wer zudem behauptet, die Projekte gegen Rechtsextremismus würden die Auseinandersetzung mit Rassismus und institutionellem Rassismus außer Acht lassen, ist einfach uninformiert. Es sind die Civitas-finanzierten Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt, die seit Monaten – und mit durchaus prominenter Unterstützung – ein Bleiberecht für Flüchtlinge fordern, die in Deutschland Opfer rassistischer Gewalttaten wurden.
Dass Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) diese Forderung ebenso ignoriert wie die Fraktion der Bündnisgrünen, kann den Initiativen nicht angelastet werden. Gefragt ist tatsächlich die Zivilgesellschaft – und ist die Politik. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hatte unmittelbar nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens und nach der öffentlichen Schelte des Bundesrechungshofs für die Programme gegen rechts erklärt: „Die NPD ist nicht ungefährlicher geworden, und der Rechtsextremismus in der Bevölkerung ist nicht verschwunden. Auch in der Finanzkrise müssen dem Staat die demokratischen Freiheiten das Geld wert sein.“ Eine Meinung, der sich auch der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer angeschlossen hat. Dessen Kritik, die Programme dürften nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgehen, die Projekte müssten langfristig gefördert und mit qualifiziertem Personal arbeiten, legt den Schluss nahe, dass es eine staatliche Verpflichtung zur Weiterfinanzierung gibt und dass bei den Geburtsfehlern der Programme – etwa bei der mangelnden Mitarbeiterweiterbildung – nachgebessert werden muss.
Von den bislang geförderten Projekten wird diese Wunschliste voll und ganz unterschrieben. Denn dass das Pflaster in Form von NPD-Verbot, Appellen und Programmen wie Civitas, mit dem die Politik im Sommer 2000 die über zehn Jahre lang offen schwärende Wunde rechtsextremer Gewalt und Organisierung zukleben wollte, nicht halten würde, war niemandem klarer als ihnen. Schließlich bewegen sich die Projektmitarbeiter ständig ohne Bodyguards in „No-go-Areas“ für alle, die nicht ins rechte Weltbild passen. Wer dieses Pflaster jetzt ganz abreißt, der spielt der ohnehin triumphierenden Rechten in die Hände. Und muss sich darauf einstellen, bald wieder Brandanschläge und Schwerstverletzte zu zählen.
HEIKE KLEFFNER