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Pazifistisches Bündnis kämpft für DenkmalKein Ort für Deserteure

In Hamburg hat ein pazifistisches Bündnis ein Kriegerdenkmal mit Folien verhüllt. Es fordert einen Gedenkort für Deserteure im Zweiten Weltkrieg. Doch nicht alle finden das gut: Die Folien wurden schon zwei Mal heruntergerissen.

Nicht alle sind mit der Verhüllungsaktion einverstanden: Ein älterer Herr studiert das Lied vom "Guten Kameraden". Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Der alte Herr liest das Schild und blickt auf den Muschelkalk-Quader, dessen obere Hälfte mit schwarzer Folie verhüllt ist. Er spricht die zwei Männer an, die neben dem Denkmal stehen. "Krieg findet immer statt", sagt er zu ihnen. Das sei unvermeidbar. Sie versuchen ihm zu antworten. Doch er geht nicht darauf ein. Seit fast 80 Jahren stehe nun das Denkmal hier, sagt er. "Hört auf mit dem Scheiß." Noch einige Sätze dieser Art sagt er, dann verschwindet er.

Die beiden Männer sind René Senenko und Detlef Mielke, sie stehen vor dem 76er-Kriegerdenkmal auf dem Hamburger Stephansplatz, häufig Kriegsklotz genannt. Unverhüllt soll der hohle Quader vor ihnen die verstorbenen Soldaten des 76. Infanterie-Regiments ehren - für den Einsatz im Ersten Weltkrieg. Der Bildhauer Richard Kuöhl hat das Werk 1936 gefertigt.

Um Senenko und Mielke herum eilen die Menschen zu ihrem Zug oder machen ihre Mittagspause, der Park Planten un Blomen und der Bahnhof Dammtor sind in der Nähe. Die Aktivisten gehören zu einem Bündnis aus 15 Vereinen, das den gesamten Quader mit 1,5 Kilometern schwarzer Verpackungsfolie verhüllt hat. Ein kleines Schild ist vor dem Denkmal in den Boden gesteckt, es klärt über die Motive auf: Die Aktion soll für ein Deserteursdenkmal in der Stadt werben. In Hamburg gibt es keinen Ort, der an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs erinnert.

Jemand hat die Hälfte der Folie heruntergerissen, sie liegt zusammengeknüllt im Gras vor dem Denkmal. An das Schild wurden zwei eingeschweißte Papierseiten geklebt: Auf ihnen steht der Text des Lieds vom "Guten Kameraden", ein militärisches Trauerlied.

Es ist bereits der zweite Anlauf des Pazifisten-Bündnisses für ein neues Denkmal. Das erste Mal wickelten sie den Quader am 8. Mai bei einem Friedensfest ein. Dabei sollte es eigentlich zwei Wochen bleiben - so hatte es auch die zuständige städtische Behörde genehmigt. Doch schon am 11. Mai wurde die Folie vollständig heruntergerissen. Zwei Unbekannte in orangefarbenen Signalwesten hätten das getan, schreibt Senenko am selben Tag in einer Pressemitteilung. Es folgt der zweite Versuch am vergangenen Sonnabend. Am Mittwoch fehlt die Hälfte der Folie. Auch das Schild verschwindet immer wieder - im Rasen steckt das dritte seit Beginn der Aktion.

Zu sehen ist jetzt nur ein Relief, das marschierende Soldaten zeigt. Detlef Mielke blickt auf die schwarze Folie und sagt: "Wenigstens ist noch der Spruch verhüllt." Senenko sagt: "Die hatten wohl keine Leiter mit, sind logistisch fehlgeschlagen." Der Spruch ist der Hauptgrund, warum das Werk seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so umstritten ist. "Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen", ist dort eigentlich zu lesen. Für Pazifisten ist das eine kriegslüsterne, patriotische Durchhalteparole und permanente Drohung. Die Hamburger Punkband Slime drehte den Satz um: "Deutschland muss sterben, damit wir leben können", lautete der Vers eines ihrer bekannteren Songs. Das Lied läuft auf vielen Demos.

In Hamburg gab es eine lange Debatte, wie mit dem Denkmal umgegangen werden soll. Die britische Besatzungsmacht wollte es abreißen und sprengen, doch die Politik in der Stadt entschied sich zu einem Gegendenkmal, Alfred Hrdlicka erhielt 1982 den Auftrag. Er wollte ein vierteiliges Ensemble aufbauen, das ein zerbrochenes Hakenkreuz darstellen sollte. Ein paar Meter entfernt vom 76er-Denkmal stehen heute allerdings nur zwei Plastiken: "Der Hamburger Feuersturm" und der "Untergang von KZ-Häftlingen".

Auch das 76er-Denkmal ist ein Gegenentwurf - gegen das verhältnismäßig nüchterne, weniger martialische Denkmal für die verstorbenen Soldaten des Ersten Weltkriegs an der Rathausschleuse. Die Stele mit dem Relief einer trauernden Mutter, inzwischen den Opfern beider Weltkriege gewidmet, wurde von Ernst Barlach erschaffen. "40.000 Söhne der Stadt ließen ihr Leben für Euch", steht darauf schlicht.

In den wenigen Tagen, in denen es ganz schwarz eingehüllt war, sah das 76er-Denkmal ein bisschen aus wie eine kleine Ausgabe der Kaaba, des muslimischen Heiligtums in Mekka. Eine Pilgerstätte ist der Ort zwar für wenige in Hamburg, doch immer noch ist es Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden, den Umgang mit dem Militär, lebenden und gefallenen Soldaten. An Volkstrauertagen treffen sich hier Kriegsveteranen und Hinterbliebene, 2001 legten dort Neonazis Kränze nieder.

Der Klotz wurde immer wieder beworfen und besprüht - nicht nur aus Abneigung gegen das Denkmal: Es gab auch Graffitis, die seine Botschaft unterstützten. Sehr oft starteten von hier die Demos der Hamburger Friedensbewegung, zum Beispiel die Ostermärsche. Als sich Deutschland unter der Bundesregierung von SPD und Grünen am Kosovo-Krieg beteiligte, färbten Kriegsgegner die Helme der Soldaten im Relief des Kriegsklotzes rot und grün.

Das inzwischen nur noch halb verhüllte Kriegsdenkmal löst unterschiedliche Reaktionen aus. Viele bleiben stehen, lesen und gehen weiter, was sie denken, sieht man nicht. Der wutentbrannte ältere Herr ist als einziger offen aufgebracht während dieser Nachmittagsstunde. Ein Mittdreißiger ruft im Vorbeigehen Senenko und Mielke zu, dass es gut sei, "dass der Klotz jetzt endlich verhüllt ist". Sie bedanken sich. Ein anderer lobt die Aktion "gerade in diesem Kontext".

Senenko schneidet das Papier mit dem Text des soldatischen Trauerlieds vom Schild, Mielke trägt die Folie in seinen Bus. Sie wollen weitermachen. Wann genau, wissen sie noch nicht. Ein bisschen Organisationsvorlauf werden sie brauchen, beim Festmachen der Folien helfen auch Baumkletterer - die Finanzierung muss geklärt, eine neue Genehmigung muss beantragt werden. "Wir werden nicht klein beigeben", sagt Mielke. Es sei wichtig, sich nicht verbittern zu lassen, damit man den Militaristen mit einem Lachen entgegentreten könne.

Das Bündnis für ein Deserteursdenkmal in Hamburg gibt es seit dem Sommer vergangenen Jahres. Angestoßen wurde es durch die Tochter eines in Hamburg erschossenen Deserteurs, die Recherchen zu ihrem Vater anstellte. Senenko, der sich in der Geschichtswerkstatt Willi-Bredel-Gesellschaft engagiert, half ihr dabei. Er begann auf dem Ohlsdorfer Friedhof nach Gräbern von Deserteuren zu suchen und fand 68.

In der wissenschaftlichen Literatur sind für ganz Hamburg 366 Fälle dokumentiert. Die Gruppe geht von 1.000 Fällen aus, weil die Quellenlage lückenhaft ist. Die Deserteure wurden vor allem am damaligen Truppenschießplatz am Höltigbaum in Rahlstedt erschossen oder im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis.

Es sind diese Opfer der NS-Militärjustiz, für die das Bündnis einen Ort des Andenkens in Hamburg fordert. Anfang der 90er Jahre gab es in den Stadtteilen Altona und Blankenese Künstler, die von sich aus Denkmäler für Deserteure schufen und der Öffentlichkeit vorstellten. Doch die verschwanden schnell wieder.

"Ich hoffe, dass unsere Aktion politische Impulse setzt", sagt Senenko. Nur darum gehe es. Bisher tue die Stadt nichts. "Wir hoffen, dass die neue SPD-Regierung sich dem Thema annimmt", sagt er.

In den bisherigen Ideen des Bündnisses für ein Deserteursdenkmal spielt der Kriegsklotz eine wichtige Rolle. Sie wollen mit ihm arbeiten. Senenko verteilt Postkarten, auf denen das Soldaten-Relief am Computer verändert wurde: Man sieht dort in der Reihe der marschierenden Soldaten den Umriss von einem, der in die Gegenrichtung läuft.

Mielke erzählt von dem Vorschlag, eine Tür in den Klotz fräsen zu lassen und innerhalb des Quaders eine Projektion zu zeigen. "Wir spinnen noch rum", sagt er. Es gehe darum, dass etwas passiert - auch der Prozess dorthin sei wichtig. Den Ort sollten dann Künstler entwickeln. Er persönlich, sagt Mielke, sei dafür, dass der Klotz bleibe. "Ein Stein des Anstoßes ist immer gut."

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5 Kommentare

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  • HS
    Holger Scheffler

    Ich möchte gleich vorausschicken,das mich nicht rechtes Gedankengut noch

    irgendein Groll gegen Deserteure zu diesem Brief bewegt haben.

     

    Mein Vater und mein Opa waren als Soldaten in der Wehrmacht und haben viele Schrecken dieser dunklen Zeit miterlebt.

    Mein Vater war Soldat bei der 129 Infanteriedivision im Russland, mein Opa war Fallschirmjäger und wurde auf Kreta schwer verwundet.

     

    Eine Geschichte viel mir nach dem lesen des Artikels über das errichten eines Deserteurdenkmales am Dammtor wieder ein, die mein Vater mir erzählt hat.

     

    In den Stellungen der Wehrmacht aber auch in anderen Armeen ist es üblich gewesen das

    hauptsächlich in den Kampfpausen oder auch in der Etappe die Soldaten sich auf die Soldaten verlassen haben die Wache hatten, um sich zu erholen oder zu schlafen.

    Die Kompanie meines Vaters wurde in einer vermeintlichen Kampfpause von russischen Einheiten in ihren eigenen Stellungen überrascht und fast völlig aufgerieben.

     

    Der Grund wieso die Kompanie meines Vaters fast komplett gefallen ist waren mehrere Soldaten, die eigentlich als Wache eingeteilt waren , es aber vorzogen zu desertieren.

     

     

    Mein Opa erzählte mir, (seine Worte) viele deutsche Soldaten durch Deserteure ihre Familien nicht mehr wiedergesehen haben.

     

    Ich gehöre zu einem Jahrgang, dem die Schrecken des Krieges erspart geblieben sind und ebenfalls der Meinung das unsere Soldaten in Afghanistan nichts zu suchen haben, was einen Soldaten aber dazu bewegt, seine Einheit im Krieg zu verlassen,(Desertieren) mag ich nicht beurteilen und steht mir auch nicht zu, aber diese Aussagen meines Vaters und Opa zeigen,

    dass Deserteure nicht nur Opfer waren.

     

    Ob Hamburg nun unbedingt ein Denkmal für Deserteure braucht. ?

     

    Mein Vater und mein Opa würden die Frage mit nein beantworten und lieber ein zentrales Mahnmal für alle Opfer(auch für die Soldaten) der NS Zeit in Hamburg befürworten.

  • GK
    G. Kossert

    Wieso findet sich in dem Artikel kein Hinweis darauf, dass diesem "pazifistischen Bündnis" auch zahlreiche Vereinigungen angehören, die vom

    Hamburger Verfassungsschutz als "linksextremistisch" eingestuft werden? Spielt das etwa überhaupt keine Rolle?

     

    Im übrigen gilt: Die Verhüllungsaktion sollte und wollte provozieren, also müssen sich die Initiatoren nicht wundern, wenn ihnen in gleicher Sprache

    geantwortet wird. Ironischerweise sind es wohl die selben Leute, die in regelmäßigen Abständen das unverhüllte Denkmal mit Farbbeuteln bewerfen

    und nun in fast kleinbürgerlicher Manier über "Sachbeschädigung" an ihrer Folie klagen. So ändern sich die Rollen!

     

    Jahrzehntelang hieß es pauschal, die Deserteure seien allesamt Verbrecher und Verräter gewesen. Nun sollen sie pauschal zu Helden stilisiert werden.

    Das zeigt einmal mehr, dass auch nach über 65 Jahren seit Ende des Krieges dieses Land zu einer differenzierenden Erinnerungskultur nicht fähig ist.

     

    Sollte es nun, wie geplant, zu einer dritten Verhüllung kommen, so möchte ich an die "Folienzerstörer" appellieren, sie diesmal hängen zu lassen - andernfalls hat dieser Unsinn nie ein Ende...

  • KK
    Kein Künstler

    Nach der Logik wäre der Abriss eines der vielen NS-Propagandakunstwerke also identisch mit den Bücherverbrennungen der Nazis.

     

    Da kränke ich dann doch lieber ein paar Künstler, als mir die Verherlichung von Krieg und/oder Faschismus angucken zu müssen. Wieso sollten die Gefühle eines Künstlers oder der Täter mehr Bedeutung beigemessen werden als den Gefühlen der Opfer?

  • AA
    Ach, ach

    Die Pazifisten wollen ausgerechnet über den zweiten Weltkrieg reden. Hätte es mehr Pazifisten in England und den USA gegeben, spräche die Welt heute deutsch und es wäre eine verdammt unangenehme Zeit gewesen.

     

    Nein, vielen dank. Wer in friedlicher und fetter Zeit groß geworden ist neigt dazu, verkürzt zu denken.

  • EK
    Ein Künstler

    Abgesehen von der Ideenlosigkeit die es unter Beweis stellt, finde ich es unanständig und geradewegs unzivilisiert das Kunstwerk eines anderen zu verschandeln - völlig gleich was man davon hält, was es aussagt oder was man damit erreichen will.

    Gibt es keine andere Protestformen? Dass die Behörden dass auch noch genehmigen!

    ... und sich dann noch darüber aufregen dass die Folien runtergerissen werden - na, wo ist denn der Unterschied zum umwickeln der Arbeit anderer? Die eigene Medizin schmeckt diesen Banausen wohl nicht?

     

    Was kommt als nächstes? Eine lustige kleine Bücherverbrennung von Literatur die den Herren unangenehm ist?