Pazifistisches Bündnis kämpft für Denkmal: Kein Ort für Deserteure
In Hamburg hat ein pazifistisches Bündnis ein Kriegerdenkmal mit Folien verhüllt. Es fordert einen Gedenkort für Deserteure im Zweiten Weltkrieg. Doch nicht alle finden das gut: Die Folien wurden schon zwei Mal heruntergerissen.
HAMBURG taz | Der alte Herr liest das Schild und blickt auf den Muschelkalk-Quader, dessen obere Hälfte mit schwarzer Folie verhüllt ist. Er spricht die zwei Männer an, die neben dem Denkmal stehen. "Krieg findet immer statt", sagt er zu ihnen. Das sei unvermeidbar. Sie versuchen ihm zu antworten. Doch er geht nicht darauf ein. Seit fast 80 Jahren stehe nun das Denkmal hier, sagt er. "Hört auf mit dem Scheiß." Noch einige Sätze dieser Art sagt er, dann verschwindet er.
Die beiden Männer sind René Senenko und Detlef Mielke, sie stehen vor dem 76er-Kriegerdenkmal auf dem Hamburger Stephansplatz, häufig Kriegsklotz genannt. Unverhüllt soll der hohle Quader vor ihnen die verstorbenen Soldaten des 76. Infanterie-Regiments ehren - für den Einsatz im Ersten Weltkrieg. Der Bildhauer Richard Kuöhl hat das Werk 1936 gefertigt.
Um Senenko und Mielke herum eilen die Menschen zu ihrem Zug oder machen ihre Mittagspause, der Park Planten un Blomen und der Bahnhof Dammtor sind in der Nähe. Die Aktivisten gehören zu einem Bündnis aus 15 Vereinen, das den gesamten Quader mit 1,5 Kilometern schwarzer Verpackungsfolie verhüllt hat. Ein kleines Schild ist vor dem Denkmal in den Boden gesteckt, es klärt über die Motive auf: Die Aktion soll für ein Deserteursdenkmal in der Stadt werben. In Hamburg gibt es keinen Ort, der an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs erinnert.
Jemand hat die Hälfte der Folie heruntergerissen, sie liegt zusammengeknüllt im Gras vor dem Denkmal. An das Schild wurden zwei eingeschweißte Papierseiten geklebt: Auf ihnen steht der Text des Lieds vom "Guten Kameraden", ein militärisches Trauerlied.
Es ist bereits der zweite Anlauf des Pazifisten-Bündnisses für ein neues Denkmal. Das erste Mal wickelten sie den Quader am 8. Mai bei einem Friedensfest ein. Dabei sollte es eigentlich zwei Wochen bleiben - so hatte es auch die zuständige städtische Behörde genehmigt. Doch schon am 11. Mai wurde die Folie vollständig heruntergerissen. Zwei Unbekannte in orangefarbenen Signalwesten hätten das getan, schreibt Senenko am selben Tag in einer Pressemitteilung. Es folgt der zweite Versuch am vergangenen Sonnabend. Am Mittwoch fehlt die Hälfte der Folie. Auch das Schild verschwindet immer wieder - im Rasen steckt das dritte seit Beginn der Aktion.
Zu sehen ist jetzt nur ein Relief, das marschierende Soldaten zeigt. Detlef Mielke blickt auf die schwarze Folie und sagt: "Wenigstens ist noch der Spruch verhüllt." Senenko sagt: "Die hatten wohl keine Leiter mit, sind logistisch fehlgeschlagen." Der Spruch ist der Hauptgrund, warum das Werk seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so umstritten ist. "Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen", ist dort eigentlich zu lesen. Für Pazifisten ist das eine kriegslüsterne, patriotische Durchhalteparole und permanente Drohung. Die Hamburger Punkband Slime drehte den Satz um: "Deutschland muss sterben, damit wir leben können", lautete der Vers eines ihrer bekannteren Songs. Das Lied läuft auf vielen Demos.
In Hamburg gab es eine lange Debatte, wie mit dem Denkmal umgegangen werden soll. Die britische Besatzungsmacht wollte es abreißen und sprengen, doch die Politik in der Stadt entschied sich zu einem Gegendenkmal, Alfred Hrdlicka erhielt 1982 den Auftrag. Er wollte ein vierteiliges Ensemble aufbauen, das ein zerbrochenes Hakenkreuz darstellen sollte. Ein paar Meter entfernt vom 76er-Denkmal stehen heute allerdings nur zwei Plastiken: "Der Hamburger Feuersturm" und der "Untergang von KZ-Häftlingen".
Auch das 76er-Denkmal ist ein Gegenentwurf - gegen das verhältnismäßig nüchterne, weniger martialische Denkmal für die verstorbenen Soldaten des Ersten Weltkriegs an der Rathausschleuse. Die Stele mit dem Relief einer trauernden Mutter, inzwischen den Opfern beider Weltkriege gewidmet, wurde von Ernst Barlach erschaffen. "40.000 Söhne der Stadt ließen ihr Leben für Euch", steht darauf schlicht.
In den wenigen Tagen, in denen es ganz schwarz eingehüllt war, sah das 76er-Denkmal ein bisschen aus wie eine kleine Ausgabe der Kaaba, des muslimischen Heiligtums in Mekka. Eine Pilgerstätte ist der Ort zwar für wenige in Hamburg, doch immer noch ist es Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden, den Umgang mit dem Militär, lebenden und gefallenen Soldaten. An Volkstrauertagen treffen sich hier Kriegsveteranen und Hinterbliebene, 2001 legten dort Neonazis Kränze nieder.
Der Klotz wurde immer wieder beworfen und besprüht - nicht nur aus Abneigung gegen das Denkmal: Es gab auch Graffitis, die seine Botschaft unterstützten. Sehr oft starteten von hier die Demos der Hamburger Friedensbewegung, zum Beispiel die Ostermärsche. Als sich Deutschland unter der Bundesregierung von SPD und Grünen am Kosovo-Krieg beteiligte, färbten Kriegsgegner die Helme der Soldaten im Relief des Kriegsklotzes rot und grün.
Das inzwischen nur noch halb verhüllte Kriegsdenkmal löst unterschiedliche Reaktionen aus. Viele bleiben stehen, lesen und gehen weiter, was sie denken, sieht man nicht. Der wutentbrannte ältere Herr ist als einziger offen aufgebracht während dieser Nachmittagsstunde. Ein Mittdreißiger ruft im Vorbeigehen Senenko und Mielke zu, dass es gut sei, "dass der Klotz jetzt endlich verhüllt ist". Sie bedanken sich. Ein anderer lobt die Aktion "gerade in diesem Kontext".
Senenko schneidet das Papier mit dem Text des soldatischen Trauerlieds vom Schild, Mielke trägt die Folie in seinen Bus. Sie wollen weitermachen. Wann genau, wissen sie noch nicht. Ein bisschen Organisationsvorlauf werden sie brauchen, beim Festmachen der Folien helfen auch Baumkletterer - die Finanzierung muss geklärt, eine neue Genehmigung muss beantragt werden. "Wir werden nicht klein beigeben", sagt Mielke. Es sei wichtig, sich nicht verbittern zu lassen, damit man den Militaristen mit einem Lachen entgegentreten könne.
Das Bündnis für ein Deserteursdenkmal in Hamburg gibt es seit dem Sommer vergangenen Jahres. Angestoßen wurde es durch die Tochter eines in Hamburg erschossenen Deserteurs, die Recherchen zu ihrem Vater anstellte. Senenko, der sich in der Geschichtswerkstatt Willi-Bredel-Gesellschaft engagiert, half ihr dabei. Er begann auf dem Ohlsdorfer Friedhof nach Gräbern von Deserteuren zu suchen und fand 68.
In der wissenschaftlichen Literatur sind für ganz Hamburg 366 Fälle dokumentiert. Die Gruppe geht von 1.000 Fällen aus, weil die Quellenlage lückenhaft ist. Die Deserteure wurden vor allem am damaligen Truppenschießplatz am Höltigbaum in Rahlstedt erschossen oder im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis.
Es sind diese Opfer der NS-Militärjustiz, für die das Bündnis einen Ort des Andenkens in Hamburg fordert. Anfang der 90er Jahre gab es in den Stadtteilen Altona und Blankenese Künstler, die von sich aus Denkmäler für Deserteure schufen und der Öffentlichkeit vorstellten. Doch die verschwanden schnell wieder.
"Ich hoffe, dass unsere Aktion politische Impulse setzt", sagt Senenko. Nur darum gehe es. Bisher tue die Stadt nichts. "Wir hoffen, dass die neue SPD-Regierung sich dem Thema annimmt", sagt er.
In den bisherigen Ideen des Bündnisses für ein Deserteursdenkmal spielt der Kriegsklotz eine wichtige Rolle. Sie wollen mit ihm arbeiten. Senenko verteilt Postkarten, auf denen das Soldaten-Relief am Computer verändert wurde: Man sieht dort in der Reihe der marschierenden Soldaten den Umriss von einem, der in die Gegenrichtung läuft.
Mielke erzählt von dem Vorschlag, eine Tür in den Klotz fräsen zu lassen und innerhalb des Quaders eine Projektion zu zeigen. "Wir spinnen noch rum", sagt er. Es gehe darum, dass etwas passiert - auch der Prozess dorthin sei wichtig. Den Ort sollten dann Künstler entwickeln. Er persönlich, sagt Mielke, sei dafür, dass der Klotz bleibe. "Ein Stein des Anstoßes ist immer gut."
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