: Patrioten aus der Fremde
Die Debatte um die deutsche Leitkultur übersieht völlig, wie deutsch viele Nichtdeutsche längst sind: die gleichen Vorurteile, Stolz auf die D-Mark, verfrühte Weihnacht . . .
Faust: Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, / Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?
Margarete: Bin weder Fräulein, weder schön, / Kann ungeleitet nach Hause gehn.
In der Diskussion um die Leitkultur fehlen die Stimmen jener Menschen, die in diese Kultur (von dieser Kultur) geleitet/angeleitet/umgeleitet/abgeleitet werden sollen. Doch die erste Schwierigkeit, seine Stimme zu erheben, ist bereits angedeutet: die deutsche Sprache. Dabei hört sich das Wort Duden vom Klang her zunächst recht lustig an.
Ein Kunststück, Australien oder die USA zum Einwanderungsland zu erklären! Hat je jemand Schwierigkeiten mit der Bestimmung des grammatikalischen Geschlechts im Englischen gehabt? Indessen bietet man dort den Eingewanderten sogar kostenlose Englischkurse an, wie mir bosnische Freunde berichten, die aus Deutschland auswanderten, nachdem ihre „Duldung“ (mein Deutsch reicht doch aus, um das Unschöne an diesem Wort zu erkennen, obwohl es fast so lustig wie Duden klingt) abgelaufen war. Gleichwohl ist wenigstens klar, dass die Duldung eine Die ist. Aber warum ein Wort ein Das und eine Antwort eine Die ist, das konnte mir kein Deutscher erklären, doch viele bemühten sich immer wieder, mich darauf hinzuweisen, dass es nicht „das Antwort“ heißt. Wie ich dazu käme.
Hartnäckig, wie wir sind, erlernen wir selbst diese unlernbaren Dinge. Wir schaffen es sogar, dass man uns am Telefon manchmal versteht und nicht sofort aufhängt. Wir bemühen uns, wir wollen ja hier sein, obwohl wir uns recht oft fragen, warum. Wir haben viele verschiedene und individuelle Gründe dafür. Diese Feststellung vermisse ich sehr in den Debatten um unsere Daseinsrechte in diesem Land. Es war letztendlich unsere Entscheidung, hier zu sein, doch wir haben es uns nie leicht gemacht.
„Zu Hause“, wo wir schon lange nicht mehr zu Hause sind, erwartet man von uns dicke Autos, mit denen wir beim Kurzurlaub prahlen, und elektrische Geräte als Hochzeitsgeschenke oder aber dass wir plötzlich Wagner hören und Hegel und Kant verstehen. Illusionen, die wir selbst verschuldet haben, da wir sie pflegen, weil wir nicht wollen, dass man über unser neues Land schlecht denkt. Dass man nicht erfährt, wie schwer wir unser Geld verdienen, wie enttäuscht wir von den deutschen Universitäten sind, wie sehr wir über das mangelhafte so genannte Allgemeinwissen staunen, wie traurig wir feststellen, dass viele hier glauben, von uns bestenfalls das Kochen (aber mit etwas weniger Knoblauch) lernen zu können. Oft schweigen wir darüber, eigennützig, um nicht als Verlierer dazustehen, wenn man uns fragt, wie es uns geht bei den gefühlsarmen Menschen und in dem schrecklichen Klima. Regnet es nicht ständig? Und so viel Ausländerfeindlichkeit, von der man auch dort berichtet.
Oder sind wir gar nicht so verschieden? Neulich stieg ich in ein Taxi, und mein offensichtlich südländischer Fahrer, den ich in meiner deutschen Sozialisation für einen Türken hielt, fragte freundlich: „Französin?“ – „Schön wäre es“, seufzte ich. Immerhin sind die Franzosen in der EU, protzen mit ihrem Paris, Wessis sowieso, nicht wie ich ein südlicher Ossi, wahrscheinlich das Schlimmste, was es geben kann. Ich kläre ihn auf. Und er? „Syrien. Aber ein Christ, kein Moslem“, sagt er bescheiden. Wir hören Radio. Der Sprecher berichtet von einer polnischen Fälscherbande, die Briefmarken gedruckt hat. „Diese Polen!“, schüttelt mein Taxifahrer den Kopf, ehrlich um das Wohl seines Deutschlands besorgt. Doch auch unseren deutschen Patriotismus erwähnt man hier kaum.
Auch jene Deutschen, die uns in ihrem merkwürdigen deutschen Selbsthass so multikulturell umarmen, verstehen nichts davon. Von unserer Art, deutsch zu sein. Warum wir den Euro nicht leiden können und die D-Mark lieben (in unseren Ländern verwahrt man die alten 100-Mark-Scheine in Strümpfen; mit dem Euro brauchen wir dort keinem kommen). Wie wir stolz sind auf jeden Erfolg der Deutschen, außer im Fußball, wenn sie zufällig gegen die „unseren“ spielen. Aber schon das dürfen wir unseren Söhnen nicht eingestehen. Von unserer Art, Vorurteile zu haben. Als Russen die Albaner schief anzusehen und als Albaner die Türken. Oder umgekehrt oder wie auch immer.
Überhaupt: Wenn wir unter uns sind, reden wir vor allem über die Deutschen, sind sehr ungerecht und lachen viel. Sie treffen sich ja nur nach dem Terminkalender! Ihre Kinder müssen um sieben ins Bett! Und mit achtzehn sind sie froh, ausziehen zu können! Sie leben nur im Urlaub! Dabei wissen sie oft nicht, in welchem Land sie den Urlaub verbringen! Spontan werden sie nur nach dem fünften Bier! Sie tragen selbst gestrickte Pullover, die man bei uns niemandem zumuten würde! Und wenn sie „essen gehen“, dann essen sie Pizza! Ihre Reihenhäuser sehen alle gleich aus! Sie stopfen ihre Eltern in Altersheime! Immer reden sie über die Gesundheit! Sie wollen alle „ihre Ruhe haben“! Das einzige, wovon ihre Politiker reden, ist die Rente! Manchmal schleicht sich dabei jedoch eine genauere Beobachtung ein. So sagte mir neulich ein arabischer Bekannter, der hier seit Jahrzehnten lebt: „Die Deutschen sind zuverlässig, ehrlich, fleißig, erfolgreich, alles, was wir leider nicht sind, aber eines haben die Menschen aus dem Orient ihnen voraus: Sie sind feinfühlig.“ Nachdenklich stellten wir dann nur noch fest, dass die Deutschen das nicht wissen und nie erfahren werden, weil ihnen dafür bei aller Intelligenz eben an Feingefühl fehlt.
Unser oft so vergnügtes Gerede hinter dem Rücken unserer deutschen Freunde oder gar Ehepartner ist die kleine Rache dafür, dass wir unter diesem grauen Himmel und vor dem Hintergrund der Herbst- und Frostfarben bisweilen so fremd aussehen. Dass man uns sehr selten fragt, was wir so denken und fühlen. Dass man uns für dumm hält, weil wir undeutlich komische Fragen auf den Behörden stellen, deren Sprache nur die Eingeweihten verstehen. Wie die Gebrauchsanleitungen der Video- und Mikrowellengeräte, so bleiben uns auch die verschiedenen Formulare rätselhaft, sie entziehen sich sogar unseren gelegentlichen Doktortiteln in Germanistik. Unseren Kindern ist das alles peinlich, sie erklären uns genervt, was da eigentlich steht, und wollen von uns, dass wir genauso Weihnachten feiern wie die Familien ihrer Freunde. Was wir dann auch zerknirscht tun, ungeachtet unserer konfessionellen und religiösen Zugehörigkeit und egal, ob wir es für verfrüht halten, Weihnachten am Heiligen Abend zu feiern und im Oktober Dominosteine zu essen. ALIDA BREMER
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