Kochkurs im Knast: Pasta hinter Gittern
In einem Frauengefängnis in Bologna lernen die Insassinnen, wie man Nudeln selber herstellt. Aber eigentlich geht es dabei um etwas ganz anderes.

Die Farfalle entstehen in der Justizvollzugsanstalt „Rocco D’Amato“ bei Bologna. 695 Männer und 86 Frauen sitzen hier ein. Bei eigentlich 457 Plätzen. Die Haftanstalt ist zu 170 Prozent überbelegt – so wie die meisten italienischen Gefängnisse. Für die schlechten Haftbedingungen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien bereits 2013 verurteilt. Überfüllung ist ein Stressfaktor.
Umso wichtiger ist ein wenig Ablenkung für die Insassinnen. Wie eben durch einen Pastakochkurs. Dabei kümmert sich die NGO Unione Donne in Italia (UDI) um die nötigen Formulare und Erlaubnisse. Sie wurde 1944 im Untergrund von antifaschistischen Frauen ins Leben gerufen. Die ehrenamtlichen Lehrmeisterinnen wiederum gehören zum Netzwerk der Cesarine, die normalerweise bei sich daheim traditionelle Gerichte für und mit Tourist:innen kochen.
Die Zeit sinnvoll einsetzen
Alba Piolanti von der Organisation hat einen ganzen Stapel ausgedruckter E-Mail-Verläufe mit ans Gefängnistor gebracht. Mit einem Textmarker hat sie die Stellen angestrichen, in denen die genehmigten Kochutensilien aufgelistet sind. Trotzdem kommt es immer wieder zu Diskussionen an den zwei verschiedenen Pforten, die bis zur Frauenabteilung zu passieren sind. Etwa als am Ende des Kurses ein Teigschaber weniger vorhanden ist als im E-Mail-Verlauf vermerkt, oder als es darum geht, den Kursteilnehmerinnen ihre Schürzen als Abschiedsgeschenk dazulassen.
Die vier Termine des Pastakurses finden in einem Aufenthaltsraum statt, der mit seinen blauen, an der Wand befestigten Plastikstühlen mehr wie das Wartezimmer einer Arztpraxis aussieht. Susanna Bastia, Alessandra Clemente und Paola Tassi, die heute kochen, haben mit Alessia Morabito noch eine Profi-Kollegin mitgebracht. Gemeinsam schieben sie die Tische zu einer U-Form zusammen, verteilen die hölzernen Nudelbretter darauf und stellen für jede Teilnehmerin ein Ei und 100 Gramm Mehl in einem Plastikbecher bereit.

Es ist ein großes Hallo, als die zwölf Teilnehmerinnen den Raum betreten. Einige haben bereits im Vorjahr an diesem Kurs teilgenommen. Lautstark begrüßen sie die Köchinnen, umarmen sie. Einen Augenblick später haben sich die Frauen schon die beigen Schürzen mit dem Logo der Heimkochinnenbewegung Cesarine umgebunden, die Ärmel hochgekrempelt und sich hinter die Arbeitstische gestellt. Als Cesarina Susanna die Schritte für die Zubereitung des Nudelteigs erklärt, liegt ein aufmerksames Schweigen in der Luft, unterbrochen nur vom Aufbrechen der Eierschalen auf dem Holz.
„Ich mache mit, um meine Zeit, aber auch meinen Kopf sinnvoll einzusetzen“, sagt eine Frau mit rotgefärbten Locken. Eine andere mit tiefschwarzem Haar ist besonders flink beim Kneten des Teigs. „Ich mache daheim gerne Brot“, sagt sie. Eine dritte erzählt, dass sie auch zu Hause Pasta macht. Wenn die Frauen sprechen, fällt das Wort „Gefängnis“ nicht. Sie sprechen lieber von der Welt da draußen, von ihren Gewohnheiten vor der Haft, von ihren Lieblingsspeisen. Eine junge Frau mit hellblauen Augen erzählt, dass sie ihre Tagliatelle immer bei einem hochpreisigen Feinkostladen in der Bologneser Altstadt gekauft hat.
Man fragt sich, wie sie hier gelandet sind. Die Frage auszusprechen ist jedoch tabu, das gehört zu den Regeln der UDI, um Spannungen zu vermeiden und die Häftlinge nicht auf eine einzelne Tat zu reduzieren. Cesarina Paola kontrolliert die Arbeit der Frauen, als wäre sie bei einem Kochkurs daheim in ihrer Küche. Und die Insassinnen zucken wie getadelte Schülerinnen zusammen, wenn die Cesarina ihre Tagliatelle für zu breit befindet. Der Rand der Bandnudeln ist etwas ausgefranst, weil die Insassinnen sie mit Teigschabern geschnitten haben. Messer sind hier nicht erlaubt.
Beim darauf folgenden Kurstermin ist keine Einweisung mehr nötig. Selbstständig verkneten die Frauen Mehl und Ei zu einem glatten, gelben Teig. „Diese Kurse sind sehr wertvoll“, sagt Arianna Franzoso, Fachkrankenpflegekraft für Psychiatrie in der Frauenabteilung. „Es kommen Menschen von außen rein, die sich Zeit nehmen und mit den Insassinnen in Kontakt treten. Das bringt ein wenig Normalität in den Gefängnisalltag. Noch dazu ist die Arbeit mit den Händen erfüllend.“ Die Begeisterung der Teilnehmerinnen gibt ihr recht. Alba Piolanti von der UDI fordert deshalb mehr Aktivitäten für die Frauen in der Bologneser Haftanstalt – ob nun in Form von Schreibwerkstätten und Filmvorführungen oder durch berufsbildende Kurse. Die UDI würde zudem gerne einen langfristigen Pastakurs etablieren, der den Frauen eine berufliche Perspektive für die Zeit nach der Haft gibt. Ob diese Idee die bürokratischen Hürden überwinden wird, ist ungewiss.
Dieses Mal stehen Tortellini auf dem Kursplan – die winzige gefüllte Pastaform ist die Königsdisziplin der Bologneser Küche. Als Cesarina Susanna vormacht, wie man die vier mal vier Zentimeter kleinen Teigquadrate mit viel Fingerspitzengefühl um die Fleischfüllung wickelt, steht einigen Frauen die Entmutigung ins Gesicht geschrieben. Dann beugen sie sich trotzdem über die Arbeitsfläche und formen mit viel Mühe kleine Tortellini. Die Cesarine und Köchin Alessia gehen von Tisch zu Tisch und geben Ratschläge.
Nach etwa zwei Stunden werden die ersten Pastamacherinnen müde und lassen sich auf die Plastikstühle an den Wänden fallen. Zuletzt stehen nur noch fünf Frauen an den Tischen und machen Farfalle aus den übrig gebliebenen Teigstücken. Ihre Hände arbeiten wie von allein, sie schweigen, ihr Blick ist ruhig und konzentriert. Sie sind tief in die meditativen Bewegungen versunken.
Auf dass sie sich nicht wiedersehen!
Das Ergebnis sind am Ende etwa ein Dutzend weißer Papptabletts voller Tortellini und einiger ungefüllter sogenannter Vuotini für die Vegetarierinnen. Sie stehen nun unter den Neonröhren des Aufenthaltsraums. Um sie für das gemeinsame Abschlussessen mit Sahnesoße zuzubereiten, gehen die Cesarine und Köchin Alessia – ohne Insassinnen – in die Gefängnisküche nebenan. Die Erlaubnis, den Kurs selbst in der Küche auszurichten, wurde ihnen verwehrt. Unverständlich finden die Cesarine das. Eine Interviewanfrage an die Gefängnisleitung zu derartigen Vorgaben blieb unbeantwortet.
Cesarina Susanna trägt an diesem letzten Kurstag gelbe Tortellini-Ohrringe, die sich von ihrem dunklen Haar abheben. „Wir glauben, dass wir etwas für diese Frauen tun“, sagt sie. „Aber in Wirklichkeit tun sie uns einen Gefallen. Ich ziehe viel Gewinn aus dieser Erfahrung.“
Nach dem Essen vergibt sie die Teilnahmezertifikate. Sie verliest jeden einzelnen Namen laut. Was eigentlich nur ein Stück bedrucktes Papier ist, wird mit Klatschen und Lächeln entgegengenommen. Bei der Verabschiedung sind die Umarmungen fest und die Dankesworte aufrichtig. Von den Insassinnen an die Lehrmeisterinnen, aber auch andersherum. „A non rivederci“, „Auf dass wir uns nicht wiedersehen“, sagen sie zueinander.
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