Passagiermaschine entführt: Darfurs Krieg erreicht Flugverkehr
Nach Angriffen sudanesischer Sicherheitskräfte auf ein Flüchtlingslager in Darfur entführen mutmaßliche Rebellen aus der Provinzhauptstadt eine Passagiermaschine nach Libyen.
![](https://taz.de/picture/379566/14/kidnap_b.jpg)
95 Passagiere und Besatzungsmitglieder saßen in der Boeing 737 der privaten sudanesischen Fluglinie Sun Air, die am Dienstagabend aus der Stadt Nyala im Süden der Kriegsregion Darfur Richtung Khartum flog. Aber die sudanesische Hauptstadt erreichte sie nicht: Kidnapper brachten die Maschine in ihre Gewalt und landeten schließlich in der Nacht in einer Oase mitten in der südlibyschen Sahara-Wüste - auf der vom Zweiten Weltkrieg übriggebliebenen Flugpiste von Kufra. Im Laufe des gestrigen Mittwoch kamen die Fluggäste zunächst frei, die Besatzung aber nicht, und Verhandlungen mit den libyschen Behörden über das Schicksal der Geiselnehmer zogen sich in die Länge. Am späten Nachmittag gab es widersprüchliche Angaben darüber, ob die Entführung beendet war oder nicht. Die Zahl der Entführer schrumpfte im Tagesverlauf von zehn auf zwei.
Sicher war: Ihr Wunschziel Frankreich erreichten die Flugzeugentführer nicht. Sie hatten angegeben, nach Paris fliegen zu wollen, um den dort residierenden Darfur-Rebellenführer Abdelwahid al-Nur zu treffen. Als sie merkten, dass der Treibstoff dafür nicht reicht, stimmten sie einer Zwischenlandung in Libyen zu, um aufzutanken und sich eine Landkarte von Frankreich zu besorgen. Das erwies sich als Endstation.
Al-Nur, ein Freund des französischen Außenministers Bernard Kouchner, führt aus dem französischen Exil eine weiterkämpfende Fraktion der einst größten Darfur-Rebellenbewegung SLA (Sudanesische Befreiungsarmee), die sich 2005 spaltete, als ihr Führer Minni Minawi ein Friedensabkommen mit Sudans Regierung unterschrieb. In der gekaperten Maschine sollen mehrere Politiker des Minawi-Flügels der SLA gesessen haben. Al-Nur bestritt in Paris jede Verbindung zu den Entführern. Wer sie waren, blieb gestern unklar.
Die seltsame Entführung erfolgte einen Tag nach einem blutigen Angriff sudanesischer Regierungstruppen in Darfur. Am Montag im Morgengrauen rückten Sicherheitskräfte ins Flüchtlingslager Kalma ein, eines der größten Lager Darfurs mit 90.000 Einwohnern, hauptsächlich Angehörige der Fur-Ethnie. Es liegt in der Provinz Süd-Darfur nicht weit von der Provinzhauptstadt Nyala, wo später die Flugzeugentführung stattfand. Offiziell diente der Militäreinsatz der Beschlagnahmung illegaler Waffen. Die Soldaten eröffneten laut Augenzeugen wahllos das Feuer, töteten Dutzende Menschen und verletzten hunderte weitere. Nach Angaben der gemeinsamen Eingreiftruppe Unamid aus UNO und Afrikanischer Union (AU) in Darfur wurden dabei 64 Menschen getötet und 117 verletzt. Ein Sprecher der Flüchtlinge sprach von 86 Toten, zumeist Frauen und Kinder.
Die Unamid reagierte mit einer unüblich scharfen Verurteilung und beschwerte sich auch, dass sudanesische Soldaten UN-Truppen und Ärzte am Betreten des Lagers gehindert hätten. "Die Soldaten und Polizisten waren schwer bewaffnet, während die Flüchtlinge nur Stöcke, Messer und Speere zu tragen scheinen", erklärte die UN-Mission.
Mitglieder der in Nyala ansässigen Provinzregierung von Süd-Darfur sprachen von einem "Massaker", und mehrere von ihnen traten am Dienstag aus Protest dagegen zurück und verlangten eine unabhängige Untersuchung. Am gleichen Abend dann erfolgte in Nyala die Flugzeugentführung.
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