Parlamentswahlen in Südkorea: Die Konservativen werden verlieren
Der autoritäre Stil von Präsident Lee Myung Bak erinnert viele Südkoreaner in die Zeit der vor dreißig Jahren. Lees Partei wird die Wahl am Mittwoch wohl verlieren.
SEOUL taz | „Die Menschen fühlen sich vom Präsidenten betrogen“, sagt Kang Won Taek. Kang ist einer der renommiertesten Wahlforscher Südkoreas. Der wirtschaftliche Aufschwung nach der Finanzkrise 2008 sei nicht bei den Bürgern angekommen. Die großen Unternehmen hätten profitiert, aber nicht die kleinen Leute. Das werde die Regierungspartei nun die Mehrheit im Parlament kosten, prognostiziert der Politikwissenschaftler.
Am Mittwoch sind Parlamentswahlen in Südkorea. Die Wahlen gelten als Stimmungstest für die Präsidentenwahl im Dezember. Der konservative Präsident Lee Myung Bak ist unpopulär wie nie. „Die Bürger wollen ihren Ärger über die Regierungspartei zum Ausdruck bringen“, erklärt Kang. Lee Myung Bak habe viel versprochen, aber nur wenig gehalten.
„Sozialpolitik entscheidet die Wahl“, sagt er. Auch wenn die konservative Saenuri-Partei versuche, sich vom eigenen Präsidenten abzugrenzen, sei die liberale Oppositionspartei, die Vereinigte Demokratische Partei, beim Politikfeld „Soziales“ besser aufgestellt.
Auch der liberale Kandidat Kim Young Ho sieht das so. Er ist Herausforderer des Saenuri-Repräsentanten im Seouler Bezirk Seodaemun. Die Senkung der Studiengebühren, Steuererleichterungen für die Mittelschicht, die Schaffung von Arbeitsplätzen und der Ausbau des Sozialstaates, das sind die Themen, die ihm Beifall einbringen.
Kim Young Ho steht auf der Ladefläche eines Kleintransporters unter einer Autobahnbrücke mitten in der 12-Millionen Metropole Seoul. Vor ihm rund 150 Menschen. Viele mit gelber Jacke, der Farbe der Vereinigten Demokratischen Partei. Rechts neben ihm auf dem Transporter läuft auf einem riesigen Flachbildschirm ein Werbefilm, der die besten Seiten des Kandidaten zeigt. Links neben Kim winkt Han Myeong Sook, Oppositionsführerin, ehemalige Premierministerin und intellektueller Kopf der liberalen Partei den „Gelbjacken“ zu, während sie gegen die Regierungspartei wettert.
„Keine Demokratie mehr“
„Die Präsidentschaft Lee Myung Baks hat schlechte Auswirkungen auf Korea gehabt. Wir sind keine Demokratie mehr“, ereifert sich die 68-jährige. Sie spielt damit auf die jüngsten Skandale in der koreanischen Politik an. Ende März hatte die Gewerkschaft des staatlichen Senders Korean Broadcasting System die Überwachung von Bürgern durch die Regierung öffentlich gemacht.
Seit zwei Monaten sind Journalisten der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender und der staatlichen Nachrichtenagentur Yonhap im Streik. Sie demonstrieren gegen die Einflussnahme der Regierung auf die Berichterstattung und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Land. Doch für Politik- und Medienwissenschaftler ist die Situation nicht so schwarz-weiß, wie es die Gewerkschaft glauben machen will. Auch der Streik sei politisch motiviert, sagen Experten.
Viele in Korea fühlen sich allerdings ob der Skandale in die Zeit der Diktatur der 1970er und 1980er Jahre zurückversetzt. Für Wahlforscher Kang Won Taek ist es der autoritäre Stil des Präsidenten, der Erinnerungen an die Diktatur Park Chung Hees wachruft. Für Parlamentskandidat Kim Young Ho ist es die Steuerpolitik. „Steuererleichterungen für die Reichen waren vielleicht vor 30 Jahren ein wirksames Mittel zur Wirtschaftsförderung“, aber die Zeiten seien vorbei, glaubt er.
Ein Thema, dass die Welt in Atem hält, lässt die koreanische Bevölkerung allerdings fast völlig kalt. Der von Nordkorea für den 15. April angekündigte Start einer neuen Rakete hat offenbar wenig Einfluss auf die Wahlentscheidung. Die Bevölkerung macht sich Sorgen um Inflation in Südkorea, nicht jedoch um eine Invasion aus Nordkorea. „Die innerkoreanischen Beziehungen sind wirklich nichts, worüber wir momentan sprechen“, grinst die 55-jährige Park Hae Jeong, krempelt die Ärmel ihrer gelben Jacke hoch und jubelt ihrem Kandidaten Kim Young Ho zu.
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