Parlamentswahlen in Nigeria: Anschläge überschatten erste Runde
Der Wille zum politischen Wandel siegt über die Angst: Trotz tödlicher Anschläge gehen die Menschen in Nigeria wählen. Doch es sind weniger, als erwartet.
ABUJA taz | Der Schock vom Freitagabend sitzt tief. Gut zwölf Stunden vor Eröffnung der nigerianischen Wahllokale hatte in der Stadt Suleja im Bundesstaat Niger eine Bombe 13 Menschen in den Tod gerissen - so die offiziellen Angaben. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass mehr als 20 Menschen ums Leben gekommen sind. Weitere Anschläge hatte es bereits am Freitag in den Bundesstaaten Borno und in Kaduna gegeben. Trotzdem wird am Samstagmorgen in weiten Teilen des Landes ein neues Parlament gewählt.
Das Gefühl, ausgerechnet am Morgen nach den tödlichen Anschlägen ins Wahllokal zu gehen und stundenlang mit Hunderten anderen Menschen warten zu müssen, ist unangenehm. "Ich habe erst heute Morgen davon erfahren und hatte wirklich Angst", sagt Juni Suleiman. Die Frau hat sich in die lange Schlange in ihrem Wahllokal in Kuje eingereiht - eine von jenen ärmlichen Gegenden Abujas, die an der Straße zum internationalen Flughafen liegt.
Seit Stunden schon wartet sie dort auf dem staubigen Schulhof, damit sie endlich ihren Daumenabdruck auf den Stimmzetteln für die Parlamentswahl machen kann. Doch gedanklich ist sie viel mehr bei den Anschlägen als bei der politischen Entwicklung ihres Landes. "So etwas kann ja überall passieren - auch hier. Vielleicht stehen die Täter direkt neben dir und du weißt es nicht."
Juni Suleiman dreht sich hastig um und lacht etwas hektisch. Rechts und links neben ihr stehen Bekannte, mit denen sie schon seit geraumer Zeit über die Bomben von Suleja diskutiert hat. Sie alle haben daran gedacht, als sie sich heute Morgen auf den Weg zur Wahlstation gemacht haben.
"Letztendlich hat mich mein Mann ermutigt, doch zum Wählen zu gehen", erzählt Juni Suleiman. Außerdem sei für sie das Wählen eine Herzensangelegenheit. "Es ist so wichtig. Wir brauchen unbedingt einen politischen Wandel im Land."
Stimmzettel nicht angekommen
Für den haben sich am Samstag allerdings weit weniger Menschen auf den Weg gemacht als noch vor einer Woche. Eine nigerianische Wahlbeobachterin nickt nur, als ab 12.30 Uhr in der Wahlstation in Galadimawa rund 20 Kilometer von Abuja entfernt die ersten Stimmzettel in die beiden durchsichtigen Wahlurnen gesteckt werden. "Letzte Woche waren mehr Leute hier", sagt sie knapp.
Das mag an den Anschlägen liegen, aber auch an der plötzlichen Verschiebung. Denn eigentlich sollten rund 73 Millionen Wahlberechtigte bereits am 2. April über die Zusammensetzung des Senats und der Nationalversammlung abstimmen. Doch der INEC-Vorsitzende Professor Attahiru Jega ließ die Wahlen kurzerhand um eine Woche verschieben: In weiten Teilen des Landes waren die Stimmzettel nicht angekommen. Darüber hinaus fehlten auf vielen die Namen verschiedener Parteien.
All dem wird jedoch am Wahltag von Regierungsseite nur noch wenig Beachtung geschenkt. Präsident Goodluck Jonathan verurteilt zwar den Bombenangriff in Suleja aufs Schärfste. Doch am Samstag spricht das nigerianische Staatsfernsehen NTA kaum noch davon. Stattdessen loben Reporter im ganzen Land den friedlichen Wahlverlauf und die Begeisterung der Wähler.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch internationale Beobachter. Alojz Peterle, Leiter der Beobachterkommission der Europäischen Union, verkündet am Nachmittag vor Journalisten, dass sein Team bislang einen friedlichen Wahlverlauf beobachtet hat.
Den Finger in die Wunde legt am Tag nach den Wahlen allerdings das "Project 2011 Swift Count". Der Zusammenschluss aus vier nichtstaatlichen Organisationen hat in den vergangenen Monaten knapp 8000 ehrenamtliche Wahlbeobachter ausgebildet, die an den Wahltagen regelmäßig per SMS über die Lage in den einzelnen Wahlstationen berichten.
"Die Wahlen sind nicht perfekt gewesen", sagt Mashood Erubami, zweiter Vorsitzender von Swift Count. Doch das soll nicht nur Kritik sein, sondern auch ein Ansporn für die nächste bevorstehende Wahlrunde. Denn am 16. April wird in Nigeria ein neuer Präsident gewählt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!