Parlamentswahl in Tschechien: Etablierte Parteien abgestraft
Die Sozialdemokraten in Tschechien werden bei der Parlamentswahl zwar stärkste Kraft, haben aber keinen Regierungspartner und ihr Vorsitzender tritt zudem noch zurück.
Die tschechischen Parlamentswahlen haben mit einem Paradox geendet: Obwohl die Sozialdemokraten (CSSD) stärkste Kraft wurden, trat ihr Vorsitzender Jiri Paroubek am Samstag von seinem Amt zurück. Das Ergebnis der CSSD - sie errang einen Stimmenanteil von 22,1 Prozent und 56 Mandate im 200-köpfigen Abgeordnetenhaus - war schlechter als erwartet.
Der Interimschef Bohuslav Sobotka wird nun auf der Suche nach Koalitionspartnern großes Verhandlungsgeschick beweisen müssen. Denn das konservative Lager geht gestärkt aus den Wahlen hervor. Die Bürgerpartei ODS erhielt 20,2 Prozent der Stimmen und 53 Sitze, die liberale TOP 09 16,7 Prozent und 41 Mandate.
Mit 11,3 Prozent der Stimmen und 26 Parlamentssitzen bewiesen die Kommunisten erneut, dass sie über eine treue Stammwählerschaft verfügen. Die neu gegründete Partei Öffentliche Angelegenheiten (VV) erhielt auf Anhieb 10,9 Prozent und 24 Mandate. Christdemokraten und Grüne scheiterten an der Fünfprozenthürde. Die Wahlbeteiligung lag bei 62 Prozent.
"Das Resultat bedeutet eine Schwächung der SSD und der ODS", sagte der tschechische Präsident Vaclav Klaus. Politische Beobachter sind da schon direkter: Es sei ein Debakel für die etablierten Parteien. "Fast eine Revolution", kommentierte Jindich Sidlo, innenpolitischer Experte des öffentlich-rechtlichen tschechischen Fernsehsenders T.
Für die großen Parteien ist das das schlechteste Wahlergebnis seit 1996, sie haben Hunderttausende ihrer Wähler verloren. Vor allem die VV hat von der Unzufriedenheit der Wähler mit den etablierten Parteien profitiert. Die populistische Gruppierung um Exfernsehjournalist Radek John und einige undurchsichtige Prager Unternehmer hat im Wahlkampf gegen "politische Dinosaurier", sprich die etablierten Parteien, agitiert. Wahlanalysen zufolge hat sie ein Drittel der einstigen SSD-Wähler und ein Fünftel der früheren ODS-Wähler auf ihre Seite gezogen.
Mit seinem Rücktritt übernimmt Paroubek die Verantwortung für das schlechte Abschneiden seiner Partei und gibt ihr eine letzte Chance, doch noch koalitionsfähig zu werden. Denn der autoritäre Führungsstil des 57-Jährigen hatte viele CSSD-Wähler abgeschreckt und die tschechische Politik polarisiert. Aber selbst wenn Paroubek die Karten neu gemischt hat, scheint eine rechtspopulistische Koalition aus ODS, TOP 09 und VV momentan eher realistisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen