Parlamentswahl in Kroatien: Most oder Selters?
Die konservative HDZ überholt die regierenden Sozialdemokraten. Um zu regieren, wären beide aber auf die überraschend starke Most-Partei angewiesen.
Im neuen Parlament mit 151 Abgeordneten – einschließlich der von vornherein feststehenden Minderheitenvertreter – ist die absolute Mehrheit von 76 Abgeordneten damit nur mit dem Drittplatzierten Most (“Die Brücke“) zu erreichen. Die neue Partei sorgte für eine Überraschung und errang auf Anhieb mit 19 Mandaten den dritten Platz. Damit wird sie für die neue Regierung zum Königsmacher. Die bislang regierenden Sozialdemokraten müssten sich für eine Regierungsübernahme nicht nur die Unterstützung von Most, sondern auch von anderen Abgeordneten, beispielsweise von Minderheiten, sichern.
Führende Vertreter der neuen politischen Kraft lehnten jedoch noch in der Wahlnacht eine Koalition mit einer der beiden „Großparteien“ ab, die sie als reformunfähig bezeichneten. Möglich sei allenfalls eine von Most tolerierte Minderheitsregierung, die sich ernsthaft zur Durchsetzung vieler der immer wieder verschobenen Reformen bereiterkläre.
Kroatien mit seinen 4,4 Millionen Einwohnern gehört zu den ärmsten EU-Mitgliedern und kämpft mit einer Arbeitslosigkeit von etwa 16 Prozent. Allerdings standen die Zeichen zuletzt auf Wachstum. Kroatien ist zugleich eines der wichtigsten Transitländer für Flüchtlinge auf der so genannten Balkanroute. Im Wahlkampf hatte die HDZ für schärfere Grenzkontrollen geworben. Seit Mitte September sind mehr als 330.000 Menschen aus Syrien, dem Irak und anderen Ländern durch das Land geströmt, die wenigsten wollen bleiben.
Regierungsanspruch von zwei Seiten
Der HDZ-Vorsitzende Tomislav Karamarko sagte in der Nacht, der Wahlsieg versetze seine Partei in die Lage, das Land künftig zu führen. Der bisherige Ministerpräsident Zoran Milanovic erklärte indes, seine Sozialdemokraten hätten wegen des jüngsten Wirtschaftsaufschwungs eine weitere Amtszeit verdient. Reformwillige Parteien wie die Most sollten sich mit den Sozialdemokraten zusammentun und die künftige Regierung bilden.
Most-Chef Bozo Petrov sagte, seine Partei werde eine künftige Regierung nur dann unterstützen, wenn sie Reformen bei der Justiz und der öffentlichen Verwaltung vorantreibe und sich für bessere Geschäftsbedingungen im Land einsetze. „Für jede Reform werden wir eine Frist setzen und wenn diese nicht eingehalten wird, werden wir ein Misstrauensantrag stellen. Wir wissen, dass wir nach dem gegenwärtigen Stand der Auszählung eine Kontrolle über die Mehrheit im Parlament haben werden.“ Letztlich wären Neuwahlen für das Land deutlich günstiger als eine unfähige Regierung, sagte Petrov. Beobachter erwarten länger andauernde Koalitionsverhandlungen.
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