Parlamentswahl in Kanada: Wie der Vater, so der Sohn
Justin Trudeau gelingt in Kanada ein historischer Machtwechsel. Das Land besinnt sich wieder stärker auf seine liberalen Wurzeln.
Nun kehrt Justin Trudeau triumphal an den Ort seiner Kindheit zurück. Der Parteichef der kanadischen Liberalen und Sohn des ehemaligen Premierministers Pierre Elliott Trudeau besiegte am Montag bei der Parlamentswahl den konservativen Amtsinhaber Stephen Harper und wird schon bald wieder in das Anwesen hoch über dem Ottawa River einziehen.
Für Kanada ist es ein historisches Ereignis. Mit dem Sieg von Trudeau junior wird zum ersten Mal der Sohn eines ehemaligen Premierministers das mächtigste Amt des Landes übernehmen. Trudeaus Partei konnte letzten Hochrechnungen zufolge 185 der 338 Mandate im kanadischen Parlament gewinnen und erzielte damit eine absolute Mehrheit der Sitze. Harpers Konservative erhielten dagegen nur 100 Sitze, die Sozialdemokraten 42, der separatistische Bloc Québecois 10 und die Grünen einen Sitz.
„Kanada hat sich heute für einen echten Neuanfang entschieden“, rief Trudeau seinen jubelnden Anhängern in Montréal zu. Er versprach, die polarisierende Politik Harpers zu beenden und das Land wieder stärker zusammenführen zu wollen. Dabei will er Kanada zu seinen liberalen Wurzeln zurückbringen und das internationale Image des Landes verbessern.
Kanada steht vor einem Linksruck
Innenpolitisch steht Kanada vor einem Linksruck. Trudeau will Besserverdienende höher besteuern, die Sparpolitik des Landes lockern und die Investitionen des Staates erhöhen, um damit die Wirtschaft anzukurbeln. Trudeau hat auch versprochen mehr Flüchtlinge ins Land zu lassen und die militiärische Interventionspolitik der Vorgängerregierung zu beenden. Umstrittene Pipelineprojekte an der Pazifikküste sollen auf den Prüfstand gestellt werden.
Der Sieg Trudeaus kommt in seinem Ausmaß überraschend. Noch zu Beginn des elf Wochen andauernden Wahlkampfes hatte der 43-Jährige gelernte Erzieher und Snowboard-Lehrer weit abgeschlagen auf dem dritten Platz zurückgelegen. Monatelang hatten ihn seine Gegner mit diffamierenden Wahlkampfspots überzogen und ihm die Eignung als Premierminister abgesprochen.
Doch mit einem perfekt inszentierten Wahlkampf im Stile eines Barack Obama vermochte es Trudeau, sich als Erneuerer und Hoffnungsträger für jüngere Generationen zu präsentieren. Er profitierte dabei von einer weit verbreitetend Wechselstimmung: Nach drei konservativen Amtsperioden wollten Umfragen zufolge über 70 Prozent der Kanadier eine Neuanfang.
Für den bisherigen Premier Stephen Harper ist der Aufstieg Trudeaus nicht nur eine politische sondern auch eine persönliche Niederlage. Harpers Mission war es stets gewesen, das liberale politische Erbe von Trudeaus Vater, der Kanada mit einer kurzen Unterbrechung von 1968 bis 1984 regiert hatte, zu tilgen. Daß er nun ausgerechnet von dessen Sohn vom Sockel gestoßen wurde, dürfte Harper schwer getroffen haben. Noch in der Nacht kündigte er den Rücktritt von allen Ämtern an: „Die Verantwortung für diese Niederlage liegt bei mir.“
Harper verkalkuliert sich
Harper hatte sich im Wahlkampf völlig verkalkuliert. Statt auf seine vermeintlichen Stärken in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und auf seine internationale Erfahrung zu bauen, hatte er eine Kontroverse über „kanadische Werte“ angezettelt und dabei mit anti-islamischen Parolen eine Mehrheit der Kanadier gegen sich aufgebracht.
Für seine Gegner war das ein willkommener Weckruf. Sie vermochten mit dem Slogan „Anyone but Harper“ viele Wähler neu zu mobilsieren und auch junge Menschen zur Wahlurne zu bringen. Selbst in der erzkonservativen Erdölprovinz Alberta gewann Trudeau bei dieser Wahl einige Sitze hinzu – zuletzt hatte das sein Vater im Jahre 1968 erreicht.
Trudeau junior ist damit gelungen, was ihm ein Staatsgast schon früh prophezeit hatte. Bei einem Empfang in Kanada 1972 hatte der ehemalige US-Präsident Richard Nixon dem jungen Trudeau einmal scherzhaft eine große Zukunft als Premierminister vorausgesagt. Jetzt ist es tatsächlich so genommen. Die Villa am Sussex Drive Nummer 24 steht schon bereit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“