Parlamentswahl in Frankreich: Triumph mit Obergrenze
Die Partei des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat eine klare Mehrheit bekommen. Die Wahlbeteilung war historisch tief.
Die REM hat davon alleine 311 Mandate, das heißt mehr als die für eine absolute Mehrheit erforderlichen 289. Dennoch liegt diese Ausbeute von REM-MoDem klar unter dem seit Tagen angekündigten Erdrutsch mit 450 Mandaten oder mehr, den die Umfrageinstitute nach dem ersten Wahlgang prophezeit hatten.
Für alle anderen Parteien sehen im Gegenzug ihre Niederlagen sofort etwas weniger dramatisch aus. Das bürgerlich-konservative Lager von LR-UDI kommt schätzungsweise immerhin noch auf 125 Sitze und die Sozialisten mit ihren Verbündeten auf 49, die linke Bewegung „La France insoumise“ (Die „Unbeugsamen“) von Jean-Luc Mélenchon auf 19 und die Kommunisten (PCF) auf 11, während der Front National von Marine Le Pen, die selber erstmals ins nationale Parlament einzieht, insgesamt acht Abgeordnete haben könnte. Auf diverse andere (Regionalisten oder Autonomisten in Übersee) entfallen zehn Sitze.
Das herausragende Merkmal ist es, dass das Stimmvolk bei den Stichwahlen die Tendenz ganz offensichtlich korrigieren wollte, um der zukünftigen Regierungsmehrheit keine krasse Übermacht zu geben. In der Opposition gibt es wiederum keinen großen Block, sondern mehrere Gruppen, die die Fraktionsstärke von mindestens 15 Mandaten erlangen.
Historischer Tiefpunkt bei der Wahlbeteiligung
Außerdem ist die historisch tiefe Wahlbeteiligung von 42 bis 43% zu unterstreichen: „Wozu nochmals wählen gehen, wenn ohnehin schon alles entschieden ist und das Ergebnis im Voraus feststeht…“ So oder ähnlich tönten die Entschuldigungen sehr vieler Wahlberechtigter, die es beim vierten kurz aufeinanderfolgenden Wahltag nicht für notwendig hielten, persönlich ihre Stimme abzugeben.
Wie dies aufgrund der Ausgangslage zu erwarten gewesen war, sank der Anteil der Wählenden mit deutlich weniger als der Hälfte der Stimmberechtigten auf einen historischen Tiefpunkt. Das sonnige Sommerwetter in weiten Landesteilen war zudem auch nicht angetan, die Leute zur Erfüllung der demokratischen Bürgerpflicht anzuhalten.
Es war am Ende fast erstaunlich, dass immerhin noch mehr als 40 Prozent der Eingeschriebenen wählen gingen. Gültig ist das Resultat abgesehen davon ohnehin, und die neue Mehrheit zugunsten von Emmanuel Macron kann ihre gesetzgeberische Legitimität damit begründen.
Die Sozialisten, die in den vergangenen fünf Jahren unter Präsident François Hollande regiert hatten, müssen eine verheerende Niederlage einstecken. Nach dem Bekanntwerden der Resultate hat Parteichef Jean-Christophe Cambadélis seinen Rücktritt angekündigt. Die Konservativen (LR-UDI) haben dagegen ihre Schlappe in Grenzen halten können.
Neulinge im Parlament
Beide früheren Regierungsparteien verlieren aber massiv Sitze und sind in der Frage der Zusammenarbeit mit der Regierung intern gespalten. Bei den unter den Parteibezeichnungen PS oder LR Gewählten könnte eine Reihe von externen Macron-Sympathisanten ins Siegerlager der Regierungsmehrheit überlaufen.
Für die Regierung dagegen stellt sich wegen der hohen Sitzzahl ein Problem: Die überwiegende Zahl ihrer Neulinge im Parlament hat keinerlei Erfahrung mit den Prozeduren und Gebräuchen der Nationalversammlung. Das kann unter anderem zu Pannen und peinlichen Disziplinarverstößen führen.
Die erste Aufgabe der riesigen REM-Fraktion wird darum darin bestehen, diese Anfänger bei einem zweitägigen Einführungsseminar am kommenden Wochenende für ihre Rolle anzulernen. Ihr erster Bewährungstest wird am 4. Juli die Regierungserklärung von Premierminister Edouard Philippe mit anschließendem Votum sein.
Danach sollen sie in einer bis Mitte August verlängerten Sondersession das Eiltempo der Staatsführung halten, die nach einer Abstimmung über eine Vorlage zur Moralisierung der Politik auch ihre umfassenden Arbeitsmarktreformen noch während des Sommers im Dringlichkeitsverfahren verabschiedet haben möchte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül