Parlamentswahl in Frankreich: Wahlkampf bei den Ch'tis

Bei der Parlamentswahl am Sonntag treten der Chef der radikalen Linken, Jean-Luc Mélenchon, und die Rechte Marine Le Pen im selben Wahlkreis gegeneinander an.

Politische Kontrahenten: Wahlplakate in Frankreich. Bild: reuters

HÉNIN-BEAUMONT taz | „Viele Leute sind erfreut, andere nicht, das ist halt die Demokratie“, meint Jean-Luc Mélenchon. Er fühlt sich bei der Parlamentswahl als auswärtiger Kandidat willkommen bei den „Ch'tis“ im Norden Frankreichs.

In dieser ehemaligen Hochburg der Kohle- und Textilindustrie fanden in der Vergangenheit historische Arbeitskämpfe statt. Am Sonntag organisiert Mélenchon zusammen mit ehemaligen Grubenarbeitern und 3.000 Sympathisanten einen Gedenkmarsch zu Ehren von Emilienne Mopty.

Sie wurde 1941 als Organisatorin einer Kundgebung der Frauen aus Solidarität mit 100.000 Streikenden, die der Nazi-Invasion Widerstand leisteten, verhaftet, gefoltert und schließlich in Köln hingerichtet.

Vier Wochen nach der Präsidentschaftswahl wird am Sonntag in Frankreich ein neues Parlament gewählt. Umfragen sehen die Sozialisten zusammen mit ihren alliierten Linken knapp vorne. Den Rechtsradikalen vom Front National werden ebenfalls gute Ergebnisse vorausgesagt. Die Stichwahl ist für den 17. Juni 2012 angesetzt.

Auf dem Markt von Noyelles-Godault sagt Mélenchon einer Gruppe von Jungen, sie dürften nicht vergessen, wie hart (aber vergeblich) in diesem Ort noch vor wenigen Jahren gegen die Schließung der Fabrik Metaleurop und für die Entsorgung des durch Schwermetalle und Chemikalien vergifteten Bodens gekämpft worden war.

„Hier ist eine Hochburg der Linken, aber wenn ihr euch nicht wehrt, werdet ihr geschoren“, versichert er ihnen. Der Gründer der Parti de gauche, Europaabgeordnete und Ex-Präsidentschaftskandidat ballt dazu seine Fäuste.

Für Mélenchon beschränkt sich seine Kandidatur im 11. Wahlkreis des nordfranzösischen Departements Pas-de-Calais auf ein direktes Duell mit der Rechtsextremistin Marine Le Pen. Bei der Präsidentschaftswahl kam sie hier auf mehr als 30 Prozent.

Im 25.000 Einwohner zählenden Hénin-Beaumont gibt es großes Misstrauen gegenüber der Politik. Schuld daran ist der frühere sozialistische Bürgermeister, Gérard Dalongeville.

In Haft wegen Korruption

Er sitzt wegen Korruption und Unterschlagung in Untersuchungshaft. Er wurde zum negativen Aushängeschild einer Misswirtschaft und Korruption, welche die seit Jahren in Nordfrankreich dominierende Linke und mit ihr die gesamte Parteipolitik in Verruf gebracht hat.

In diesem Wahlkreis siegte der Sozialist François Hollande dennoch bei der Präsidentschaftswahl mit mehr als 60 Prozent. Jetzt aber sagen viele Linkswähler, dass sie lieber auf den roten Volkstribun Mélenchon setzen als auf die durch Affären diskreditierten Sozialisten.

„Wir sind der beste Schutzwall gegen den FN“, verspricht Mélenchon. Eine Umfrage sagt ihm mit 55 Prozent einen deutlichen Sieg gegen Le Pen im zweiten Durchgang am 17. Juni voraus.

Weiße Lilien

Wenn Marine Le Pen in Hénin-Beaumont wie an diesem Freitag mit einem Strauß weißer Lilien im Arm auf dem Markt auftritt, wird sie mit ihrem Vornamen begrüßt. Plötzlich ist die Parteichefin des FN von einer Gruppe jüngerer Frauen umringt, denen sie wie ein Filmstar Autogramme auf die mitgebrachten Fotos schreibt.

Der Fanklub besteht ausschließlich aus jungen Müttern zwischen 28 und 45 Jahren. „Marine, on t’adore!“ (Wir bewundern dich!), ruft eine entzückt. Die FN-Kandidatin nimmt sich vor den Kameras Zeit, um die Huldigungen entgegenzunehmen. Sie küsst ein Baby und erkundigt sich nach den Anliegen dieser Wählerinnen, die sie hoffnungsvoll anschauen.

Deren Klagen, Geldsorgen oder Nachbarschaftsprobleme bestätigen nur die Kampagne der Rechtspopulistin. Die Arbeitslosigkeit liegt hier bei 20 Prozent.

Gegen nordafrikanische Immigranten

Auf dem Flugblatt, das die FN-Leute auf dem Markt verteilen, steht als Slogan, Le Pen sei die Einzige, die sie verteidigen werde. Gegen wen? Das muss sie schon gar nicht mehr selber sagen, ihre Kampagne gegen die nordafrikanischen Immigranten ist allen hier bekannt.

Der pensionierte Bergmann Jacques Briche verwahrt sich dagegen, als Rassist abgestempelt zu werden. Der 69-jährige Rentner wohnt in einem Einfamilienhäuschen mit einem sehr gepflegten Vorgarten, doch seine arbeitslose Tochter bekommt keine Unterstützung mehr, weil sie bei ihm wohnt.

Er sagt nicht explizit, dass er für die FN-Parteichefin Marine Le Pen stimmen werde. Doch er schimpft über die Araber, die kürzlich lautstark über den Wahlsieg des linken Präsident François Hollande gejubelt und ihn angepöbelt hätten.

Verbale Ausfälle

„Die wirklichen Rassisten sind die Araber! Die glauben, sie hätten jetzt alle Rechte“, schimpft er mit dem starken Akzent der Franzosen im Norden.

Vergeblich versucht der Kommunist Edmond Bruneel, der bei ihm auf seiner Wahlkampftour für Mélenchon geklingelt hat, ihn zu überzeugen. Er erinnert daran, dass im Bergwerk die Herkunft oder Hautfarbe für die „Gueules noires“ (Schwarzgesichter) genannten Kumpel kein Thema war.

Das stimme schon, räumt Briche ein, aber er ist überzeugt, dass diese in Frankreich geborenen Söhne seiner einstigen marokkanischen oder algerischen Kollegen unter Tage gar nicht arbeiten wollen. Das Flugblatt der Linksfront nimmt er trotzdem.

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