Parlament der Ukraine: Überläufer und Thailand-Urlauber
Seit Krieg herrscht, sinkt die Zahl der Abgeordneten im ukrainischen Parlament. Die Gründe sind vielfältig – und alarmieren auch den Präsidenten.
Die Mehrheit derer, die freiwillig gingen, sind Vertreter der Oppositionspartei „Plattform – für das Leben“. Hierbei handelt es sich um eine prorussische politische Kraft, die in der Ukraine bereits verboten ist und von Wiktor Medwedtschuk, einem guten Freund von Russlands Präsident Wladimir Putin, angeführt wird. Wenige Tage vor Beginn des Kriegs im Februar 2022 flohen die meisten ihrer Abgeordneten ins Ausland. Danach wurden entweder Ermittlungen gegen sie eingeleitet oder ihnen wurde die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen.
Jüngstes Beispiel ist Alexander Ponomarew. Der Abgeordnete aus Medwedtschuks Fraktion wurde wegen des Verdachts auf Hochverrat festgenommen. Ponomarews Fabriken lieferten Schmierstoffe für die militärische Ausrüstung russischer Truppen in der Südukraine. Seit Kriegsausbruch wurden etwa 20 einflussreiche Medwedtschuk-Abgeordnete aus der Rada ausgeschlossen, weil sie entweder des Hochverrats, der Kollaboration oder der Verbreitung negativer Informationen über die Ukraine verdächtigt wurden. Die meisten von ihnen waren wichtige Stützen des Regimes von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch. Den Einzug ins Parlament verdankten sie den Stimmen der Wähler*innen im Osten und Süden der Ukraine.
Ukrainer dürfen ihr Land nicht verlassen
Auch in der Präsidentenpartei Diener des Volkes von Wolodimir Selenski gab es Überläufer. Im Sommer 2022 kündigte Aleksei Kowaljow eine Zusammenarbeit mit den russischen Besatzern an und erhielt einen Posten in der Region Cherson. Vor einem Jahr wurden er und seine Frau in der Nähe ihres gemeinsamen Hauses erschossen. Einige Tage später entzog die Rada Kowaljow posthum seine Befugnisse.
Das Büro des ukrainischen Präsidenten ist über einen weiteren Trend besorgt: die Verletzung moralischer Standards und die Korruption unter den Abgeordneten der Dieners des Volkes. Im Sommer wurden mehrere Parlamentarier aus der Fraktion und dem Parlament ausgeschlossen, die sich, obwohl Männer während des Krieges nicht das Land verlassen dürfen, teure Urlaube im Ausland gegönnt hatten.
Journalist*innen machten den Abgeordneten Juri Aristow in teuren Wohnungen auf den Malediven ausfindig. Auf Facebook gab er an, dass die Auslandsreise auf legaler Grundlage stattgefunden habe. Dann reichte er umgehend seinen Rücktritt ein. Bereits zuvor war ein Abgeordneter aus Selenskis Fraktion ausgeschlossen worden, der dem Präsidenten besonders nahegestanden hatte. Nikolai Tischschenko hatte in Thailand Urlaub gemacht und dann erklärt, dass er zu einem wichtigen internationalen Treffen gereist sei.
Von alldem erfuhren die Ukrainer*innen aus den Medien. Zudem fallen die Skandale auf Selenski selbst zurück, der an Zustimmung einbüßt. Nun machen Gerüchte die Runde, dass es künftig anders laufen soll: Abgeordnete der Selenski-Fraktion dürfen nur noch ausreisen, wenn das Präsidialamt ausdrücklich zustimmt.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“