Pariser Szene von Adèle Cailleteau: Die perfekte Langeweile in der Linie 14
Die Linie 14 der Pariser U-Bahn macht alles, was man von ihr erwartet: Sie ist schnell, pünktlich, barrierefrei, gut belüftet und sie fährt sogar, wenn gestreikt wird. An der Endstation Olympiades im Südosten der Stadt glänzt der Boden, die angezeigte Wartezeit stimmt auf die Sekunde, auch in der Hauptverkehrszeit. Trifft die Bahn ein, öffnen sich die Anti-Suizid-Türen, die den Bahnsteig von den Schienen trennen und zur Pünktlichkeit beitragen. Hier können sogar Rollstuhlfahrer einsteigen, die 14 ist die einzige barrierefreie Linie im Pariser Nahverkehr.
Und dann geht es los. Der Fahrer gibt großzügig Gas … ach nee, es gibt ja gar keinen Fahrer. Die Bahn wird trotzdem richtig schnell. Sitzt man ganz vorn und guckt in den dunklen Tunnel, fühlt man sich wie die Kapitänin. Man durchquert mit der Linie 14 das Herz von Paris und passiert mehrere größere Bahnhöfe wie Gare de Lyon. Wie eine eingeklemmte Sardine fühlt man sich trotzdem selten, weil die Linie 14 alle zwei Minuten fährt. Nur noch ein paar Haltestellen und man erreicht Endstation Saint-Lazare. Nach 15 Minuten, neun Stationen und keinem Zwischenfall ist man im Nordwesten von Paris. Ein kleines Wunder, dass es so schnell und problemlos gehen kann. Seit 1998, für 1,50 Euro.
So viel Perfektion ist zwar sehr praktisch, aber auch langweilig. Weil die Linie so gut funktioniert, verliert sich hier ein Stück Charmes dieses Pariser Verkehrsmittels, wie das gemeinsame Aufregen der Fahrgäste über die Scheißbahn oder die Witze des Fahrers – es gibt da ja keinen. Die schönen Dinge, die man manchmal in der Bahn erlebt, haben viel mit ihrem Defekt zu tun. Zum Beispiel wenn Menschen die Türen der Bahn aufhalten, um rennenden Unbekannten die Zeit zu geben, noch einzusteigen, sodass sie nicht weitere 15 Minuten warten müssen. Das verursacht viel Verspätung, über die ich mich natürlich auch gerne beschwere.
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