Paranoia in Niedersachsen: McAllister verspekuliert sich
Weil er laut Gerüchten SPD-Schattenjustizminister wird, stellt Niedersachsens Landesregierung Befangenheitsantrag gegen einen Richter in der Wulff-Affäre - um ihn später wieder zurückzuziehen.
HANNOVER taz | Niedersachsens schwarz-gelbe Landesregierung zeigt sich verwirrt wie selten: Am Freitagmorgen verkündete die Staatskanzlei von Ministerpräsident David McAllister (CDU), Befangenheitsantrag gegen den Vizepräsidenten des Staatsgerichtshofs, Herwig van Nieuwland, gestellt zu haben. Das Verfassungsgericht des Landes berät derzeit über eine Klage der SPD gegen die Informationspolitik der Landesregierung im Zuge der Wulff-Affäre. Nur Stunden später machte Staatskanzlei-Chefin Christine Harwighorst dann die Kehrtwende – und verkündete, man ziehe den Antrag wieder zurück.
Tagelang hatten sich CDU und FDP zuvor über van Nieuwland, gerüchteweise möglicher Schattenjustizminister von SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil, entzürnt. Seit Wochen laufen die Spekulationen über das Schattenkabinett, das Weil bis Ende Oktober vorstellen will. Ein gutes Dutzend Namen wurde bislang gehandelt. Der Name van Nieuwland fiel eher am Rande: In zwei Zeitungsartikeln wird der Vizepräsident des Staatsgerichtshofs und Präsident des Lüneburger Oberverwaltungsgerichts als möglicher Anwärter für das Justizministerium genannt.
Am Brodeln gehalten haben die Personalie van Nieuwland vor allem CDU und FDP selbst: Die Aussicht auf einen Ministerposten nach der Landtagswahl im Januar könne ihn im laufenden Verfahren gegen die Landesregierung beeinflussen, so der Verdacht. „Hinter der Neutralität eines Richters darf nicht das kleinste Fragezeichen stehen – die Person und das Amt nehmen sonst Schaden“, sagte CDU-Fraktionschef Björn Thümler. Ihren Gipfel fand die Empörung Freitagfrüh im offiziellen Befangenheitsantrag der Staatskanzlei.
Die RichterInnen des Staatsgerichtshofs wählt gemäß Niedersächsischer Verfassung der Landtag mit Zwei-Drittel-Mehrheit.
Präsident Jörn Ipsen schlug 2006 der damalige Regierungschef Christian Wulff (CDU) vor. Das Parlament nickte ihn durch. Im Gegenzug wurde auf SPD-Wunsch Hertwig van Nieuwland Vize.
In Wulffs Gunst stand Ipsen auch sonst hoch: Als Ipsen 2005 Landesgelder zur Gründung eines Instituts für Parteienforschung beantragte, machte sich Wulff dafür stark.
"Wenn wir verhindern wollen, dass vor Wahlen und an Wahlabenden stets rotgrüne Professoren in den Redaktionen auflaufen, müssen wir das auf den Weg bringen", heißt es in einem handschriftlichen Vermerk Wulffs, der im Zuge der Affäre um den Ex-Bundespräsidenten im Frühjahr publik wurde.
Und der sorgte umgehend für parteiübergreifende Kritik: Einen „beispiellosen Affront gegen die Justiz“ nannten die Landtagsgrünen das Vorgehen. SPD-Spitzenkandidat Weil bezeichnete den Antrag als „unerträglich“. Es sei ungeheuerlich, die Vertrauenswürdigkeit eines angesehenen Richters „auf Basis bloßer Spekulationen zu diskreditieren“, sagte er. Und räumte die Gerüchte indirekt aus: Er habe in den vergangenen Monaten keinen Kontakt zu Richtern des Staatsgerichtshofs gehabt.
Für Staatskanzlei-Chefin Harwighorst war das der Anlass für den kurzfristigen Rückzieher. Weil warf sie zugleich vor, taktiert zu haben. Der hätte die Gerüchte „schnell ausräumen können“, ließ sie verlauten. Das Vorgehen der Staatskanzlei verteidigte sie: Befangenheitsanträge hätten schon beim Anschein der Befangenheit Erfolg. „Und der Anschein ist mindestens durch eine verdichtete Berichterstattung gegeben.“
Beim Staatsgerichtshof wollte man sich nicht zum Richterstreit äußern. Eine Entscheidung über die Klage der SPD wird dort in Kürze erwartet. Die neun RichterInnen prüfen die Frage, ob die Landesregierung das Parlament im Zuge der Affäre um den einstigen Bundes- und Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) falsch über Landesbeteiligungen an den Polit-Promi-Events Nord-Süd-Dialog aus Wulffs Regierungszeit informiert hat.
Dass die Verfassungsrichter zugunsten der Landesregierung entscheiden könnten, war unterdessen schon bei der mündlichen Verhandlung im August die klare Tendenz: Fast die Hälfte der Verhandlung hatte der als CDU-nah geltende Staatsgerichtshofs-Präsident Jörn Ipsen allein die Frage diskutieren lassen, ob die SPD überhaupt rechtsschutzbedürftig ist.
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