piwik no script img

Paradies und Hölle eine Stadt?

■ Ein Dokumentarfilm über Bertolt Brecht im amerikanischen Exil

Wo steckt nur in diesen Zeiten die Realität? Hat sie sich verflüchtigt? Vervielfältigt? Trägt sie Hochglanz, lauter bunte Lichter, ist sie ein Spielfilm oder hockt sie vielmehr in den inszenierten Dokumentationen? Ist die Realität ein Kind Amerikas, oder eins der Dichter? Wer könnte das besser wissen als ein Dichter in Amerika, einer, dem sie, die (amerikanische) Realität, sich verweigert.

„Paradies und Hölle können eine Stadt sein“ schrieb Bert Bret in seinem Exil in Hollywood. Und diese Stadt meinte er damit.

Der Dokumentarfilm „My name is Bertolt Brecht - Exil in U.S.A.“ von Norbert Bunge und Christine Fischer-Defoy verarbeitet den Lebensabschnitt Brechts, als dieser vor den Nazis bis ans Ende der Welt fliehen mußte, nach Amerika, Kalifor

nien, Los Angeles, Hollywood - Paradies und Hölle zugleich, Anfangs-und Endpunkt der Zivilisation. In der Rückschau auf die schwierigen Arbeits-und Lebensbedingungen, auf den schnellen Verlust der Faszination für die Neue Welt und auf die anhaltende Depression des Dichters, der so wenig heimisch wird wie sein Englisch das Augsburger Gymnasial -Kratzen verliert, entstehen Blicke auf die Realität, die aktueller sind, als die sein können, die sich nicht an ihrer Vergangenheit brechen.

Gespräche mit Menschen aus dem Umkreis Brechts belegen nicht nur, was bekannt ist, sondern verdeutlichen aus der Distanz, die jede der Gefragten mittlerweile zu den Erfahrungen von damals entwickelt hat, das Exotische der Gesellschaft der Macher.

Es ist nicht nur Brecht 1945, der - nach dem gewonnenen Krieg plötzlich kein „alien enemy“ mehr, sich frei bewegen kann - vor einem Motel in der unendlichen Einöde in Erstaunen gerät. Diese Empfindung ist im

mer noch real, da möchte man ihm fast das Feuer zur Zigarre reichen.

Brecht kämpft mit diesem Amerika, das nicht seines ist und das ihm das Leben schwer macht. Die Gesichter, die er sich hat nähern lassen, sind europäische, auch heute noch, obwohl sie alle da geblieben oder schon geboren sind - das Stück Heimat, das er sich in dieser Fremde geschaffen hat, ist eine Heimat unter Fremden.

Film schafft also Realität, Wahrheit schon in der Eingangseinstellung, und in deren schlußendlicher Reprise: Da wird ein sitzender Brecht, steinern, langsam auf der Ladefläche eines LKW durch Berlin, Hauptstadt der DDR, gefahren. Um Hals und Körper schlingen sich Seile, als fürchte man, auch er könnte davonlaufen. Vorbei geht es an alten Häuserreihen, hin zum Theater am Schiffbauerdamm, das er nach seiner Rückkehr in das Land seiner Sprache leitete, wo man ihn sicher in den Boden einbetoniert.

step

Cinema, Fr.-So. 18.45 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen