Parabel über Anpassung: Warum er sterben musste
Der Schwarzwaldjunge bekreuzigte sich stets artig zum Glockenschlag. Doch etwas stimmte nicht mit ihm.
Es war einmal ein gut gewachsener Schwarzwaldjunge, aber anders als die anderen Schwarzwaldbewohner hatte der Schwarzwaldjunge eine schwarze Hose an. Nur manchmal litt er darunter, er war ein tapferer Junge. Selten weinte er in sein Kissen hinein und wünschte sich eine weiße Hose herbei. Der Schwarzwaldjunge wollte einfach nur geliebt werden.
Deshalb aß er Schwarzwälder-Schinken-Brote und verhielt sich so, wie die anderen Schwarzwälder es nicht von ihm erwartet hätten. Er wurde Mitglied im Schwarzwälder Kegelverein, zum sonntäglichen Glockenschlag kniete er nieder und bekreuzigte sich, er dachte wie sie und sprach wie sie.
Und dann sagten sie ihm, dass er ein ganz besonderer Schwarzwaldjunge sei. Das erfüllte das Herz des Schwarzwaldjungen mit Freude, doch Worte über seine schwarze Hose konnte er nur schwerlich ertragen.
Diesen und viele weitere spannende Texte gab es in der 10.000sten Sonderausgabe der taz, erschienen am Dienstag, 8. Januar 2012, hier erhältlich am eKiosk. In der Ausgabe schrieben ehemalige und jetzige taz-RedakteurInnen, was sie schon immer einmal schreiben wollten.
Deswegen schrie der Schwarzwaldjunge ganz laut, wenn Menschen in schwarzen Hosen – ganz egal ob hier oder dort oder anderswo – diskriminiert wurden. Er sagte, es gäbe Gegenden, da traue sich beileibe kein Schwarzhosenträger hin. Er setzte sich dafür ein, dass schwarze Hosen aus Kinderbüchern verbannt wurden und mochte es nicht, wenn sich Weißhosenträger die Hosen schwarz färbten.
Er duldete keinen Witz über schwarze Hosen, denn Spaß war seine Sache nicht. Er echauffierte sich über den Namen Schwarzwurzelgemüse. Dem Schwarzwaldjungen ging es dabei um nichts Geringeres als Gerechtigkeit.
Schon bald wurde der Schwarzwaldjunge berühmt für sein Engagement und immer mehr Menschen über den Schwarzwald hinaus sagten, er sei ein ganz besonderer Schwarzwaldjunge.
28, ist seit knapp einem Jahr Volontärin bei der taz. Sie war erst einmal im Schwarzwald.
Einmal fuhr er das erste Mal in eine große Stadt. In der U-Bahn sah er andere Schwarzhosenträger, die sich nicht benehmen konnten. Sie redeten und lachten so laut, dass es die anderen Fahrgäste störte. Das war dem Schwarzwaldjungen sichtlich unangenehm. Schnell holte er seinen geliebten Herder hervor und wechselte den Platz, um nicht zu ihnen gezählt zu werden.
Froh war er insgeheim, als er daheim wieder von Weißhosenträgern umgeben war, er erzählte ihnen von seinem harten Schicksal, schwarze Hosen zu tragen. Und sie nickten mitleidig und sagten ihm, dass er ein ganz besonderer Schwarzwaldjunge sei.
Es kam der Tag, da kam ein Mädchen mit schwarzen Hosen in den Schwarzwald und erschoss den armen Schwarzwaldjungen, weil sie fand, dass er so fürchterlich nervte.
Der Schwarzwaldjunge erkannte in der Dunkelheit seine Peinigerin nicht. Er starb selig in dem Glauben, dass er wegen seiner schwarzen Hose getötet wurde und dass er sein Leben für seinen unerschütterlichen Kampf hatte lassen müssen. Und wenn er nicht gestorben wäre, dann hieße der Schwarzwald jetzt anders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Hamburg und die Kühne-Oper
Als das Wünschen noch geholfen hat