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Para-Leichtathletik-EM in BerlinGeradlinig auf Rekordjagd

Felix Streng dominiert bei der Para-EM die schnellen Strecken. Er liebt den Wettkampf. Auch deshalb ist er ein Anhänger von integrativen Sportevents.

Überlegen: Felix Streng läuft über 200 Meter der Konkurrenz auf und davon Foto: beautiful sports/imago

Berlin taz | Sieben Konkurrenten waren auf der Startliste für das Finale über 200 Meter aufgeführt. Doch als am Mittwochabend im Jahn-Sportpark von Berlin um 19 Uhr das Rennen gestartet wurde, hatte Felix Streng nur die Uhr zum Gegner. Wie weit die anderen hinter ihm geblieben waren, hatte er gar nicht wahrgenommen, sagte Streng hernach, aber nach seinem Vorlauf, den er spielend leicht gewonnen hatte, schon vermutet.

Mit mehreren Metern Abstand deklassierte er auch im Finale (21.88 Sekunden) den Zweitplatzierten Niederländer Ronald Hertog (23.00 Sekunden). Für die Fotografen warf sich der Prothesensprinter zwar mit der Deutschlandfahne und geballten Fäusten in Positur, zufrieden war er aber dennoch nicht so recht.

Am Donnerstag bekannte er in der Lobby eines Hotels in Berlin Mitte, wo derzeit die paralympischen Athleten der Leichtathletik-EM untergebracht sind, er hätte schneller laufen können. Angesichts des fehlenden Drucks, sei er aber glücklich, dass er ein weiteres Mal unter 22 Sekunden geblieben sei. „Ich bin ein Wettkampftyp und brauche Konkurrenz.“

Wie die beiden Galionsfiguren des deutschen Para-Sports, Heinrich Popow und Markus Rehm, ist auch Streng Sprinter und Weitspringer. Wie die beiden startet auch er für Bayer Leverkusen. Und wie die beiden hat auch der 23-Jährige bereits Beachtliches geleistet.

Bereit für den Weltrekord

„Ich zähle zu den zwei, drei paralympischen Athleten, welche die 100 Meter unter 10,7 Sekunden gelaufen sind. Im Hotel hier begegnen mir die Sportler deshalb auch mit Respekt. Das macht mich stolz.“ Bereits bei den Paralympics 2016 in Rio gewann er über 100 Meter Bronze. Und in diesem Jahr lief er in Leverkusen über 100 Meter seine persönliche Bestzeit (10,67), die nur sechs Hundertstel über dem Weltrekord liegt. „Körperlich und mental“, sagt Streng, „bin ich noch nicht an meine Grenzen gestoßen.“

Streng ist einer, der so denkt und redet, wie er läuft. Gradlinig, klar, ohne jegliche Umschweife und zielorientiert. Er wolle Weltrekorde über 100 und 200 Meter laufen, erzählt er. Dafür fühle er sich schon jetzt bereit. Und im Weitsprung wolle er an die Weiten von Markus Rehm herankommen. Ein ehrgeiziges Ziel. Bislang fehlt ihm ein knapper Meter zu Rehms Weltrekordweite von 8,47 Meter.

Am Samstag hat er im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark die Möglichkeit, den Abstand zu verkürzen. Es ist genau die Konstellation, die sich Wettkampftyp Streng wünscht. Zum Abschluss will er sich am Sonntag auf der 100-Meter-Strecke beweisen. Ob er in Weltrekordnähe kommt, ist fraglich. Streng versteht nicht so recht, weshalb die Königsdisziplin der Leichtathletik auf den letzten Tag gelegt wurde. Es wird sein sechster Wettkampftag in Folge sein. „Bei anderen Groß­events finden die 100 Meter in den ersten Tagen statt.“

Gefühl der Abwertung

Das sind Detailfragen. In dieser Woche werden aber auch größere Themen unter den Sportlern diskutiert. Felix Streng berichtet, er sei des Öfteren von Athleten aus anderen Nationen darauf angesprochen worden, warum die Veranstaltung nicht wie die Leichtathletik-EM vor zwei Wochen im Olympiastadion stattfinden würde. Die hätten viele am Fernseher verfolgt. Durch die kleinere Lösung im Jahn-Sportpark entstehe ein Gefühl der Abwertung.

Streng selbst ist ein großer Anhänger von integrativen Sportfesten. Sein schönster Wettkampf in dieser Saison war nicht die Para-EM, sondern das Integrative Leichtathletik-Sportfest in Leverkusen. Er lief neben seiner 100-Meter-Bestzeit auch noch über 200 Meter neuen Europarekord. Die starke Konkurrenz habe ihn gepusht.

Bei seinem Verein Bayer Leverkusen trainieren paralympische und olympische Sportler zusammen. Streng ist in einer Trainingsgruppe mit Mateusz Przybylko, der jüngst Hochsprung-Europameister wurde, und mit dem 200-Meter-Sprintspezialisten Aleixo-Platini Menga. Besonders mit Letzterem arbeite er eng zusammen. „Wir helfen uns gegenseitig.“ Im Vergleich zu Großbritannien gäbe es aber in Deutschland noch einiges in Sachen Inklusion zu tun. Dort habe man anlässlich der Paralympischen Spiele 2012 vieles geleistet.

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1 Kommentar

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  • Ich sehe integrative Sportveranstaltungen skeptisch. Das bedeutet nämlich, dass 99% der paralympischen Athleten im Schatten der Sportler ohne Handicap stehen und keine Chance haben, in die Finals zu kommen.

    Gleicher Grund, warum die Geschlechtertrennung im Sport notwendig ist - damit Frauen Chancen auf Siege im Wettkampf haben.