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Panter VI Tief in der Lausitz kämpft der Verein Eine Spinnerei eigentlich für ein nachhaltiges Lebensmodell. Doch ein neuer Braunkohletagebau und alte DDR-Seilschaften bedrohen die AktivistInnen in ihrer ExistenzDie Zukunft vor der Schaufel retten

AUS NEUSTADT (SPREE) Marion Bergermann

Die zwei alten Backsteinhäuser der alten Holzwollspinnerei stehen mitten im Wald in der Lausitz. Eine kleine Straße verbindet sie mit den Dörfern Schleife und Neustadt (Spree) respektive Nowe Město, wie Neustadt (Spree) auf Obersorbisch heißt. Friederike Böttcher, Mitgründerin des Vereins und Bewohnerin, wäscht am Spültisch unter freiem Himmel.

Auf dem Gelände der Spinnerei – vom nachhaltigen Leben e. V. wollen die BewohnerInnen umweltbewusst leben. Sie kämpfen gegen den hier geplanten Braunkohletagebau Nochten II, für den 1.700 Menschen in der Gegend umgesiedelt werden sollen. Adrian Rinnert, ebenfalls Mitgründer, sagt: „Es kommt oft im Leben dieses: eigentlich. Eigentlich sollte ich kein neues Handy kaufen. Kein Auto fahren. Und so weiter. Dann kommt man dahin, dass man gar nicht auf alles achten kann. Wir wollten es aber gerne ausprobieren. Und dafür brauchten wir eine Plattform, die uns gehört, auf der wir all diese Dinge machen können.“

Rinnert war für ein Praktikum in der Gegend und fand das Grundstück, als er durch den Wald spazierte. Seit 2011 versuchen er, Friederike Böttcher, Ursula Eichendorff und andere so umweltbewusst wie möglich zu leben. Ihr Prinzip: Renovieren nur mit gebrauchten Materialien. Etwa Hunderte alte Tassen vom Dresdener Weihnachtsmarkt, die entsorgt werden sollten, dienen nun als Bodendämmung zwischen den Stockwerken des Hauses.

Sie veranstalten Kinoabende zu fairer Bodenbewirtschaftung und bieten Workshops an, wie man sein eigenes Projekt auf dem Land auf die Beine stellen kann. Bundestags- und Landtagsabgeordnete kommen vorbei und informieren sich über nachhaltiges Leben. Im Garten pflanzten sie Kräuter und Obstbäume. Mittlerweile hat die Spinnerei – vom nachhaltigen Leben e. V. rund 20 Mitglieder. Im Gebäude der alten Holzwollspinnerei möchten sie eine Werkstatt für alle einrichten, nutzbar für kommende Generationen. Unigruppen, BauingenieurInnen mit Expertise sollen sich hier austoben können, so nachhaltig zu bauen wie möglich.

Den Tagebau bekämpfen

Der Panter Preis 2016

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Ein großer Teil ihrer Zeit geht jedoch nicht fürs Kräuterpflanzen und Handwerken drauf, sondern für den Kampf gegen den Braunkohleabbau in der Region. Die Spinnerei liegt nur wenige Kilometer vom Braunkohletagebau Nochten entfernt, für den ganze Orte umgesiedelt wurden. Ende 2012 erfuhren Rinnert und Böttcher bei einem öffentlichen Termin zum Braunkohleabbau, dass ihr Anwesen geflutet wird, wenn der Tagebau erweitert wird. Der von Vattenfall geplante Ausbau Nochten II betrifft mehrere Dörfer und Quadratkilometer Natur, die Abbaugebiet würden.

Daraufhin gründeten sie im Jahr 2013 das Aktionsbündnis Strukturwandel jetzt – Kein Nochten II, in dem AnwohnerInnen und Betroffene mitmachen. Seitdem ist das Engagement gegen den Tagebau fester Bestandteil der Arbeit der Spinnerei. Schließlich ist Abbau und Verbrennen von Braunkohle so ziemlich das Gegenteil von umweltbewusstem Handeln. „Es gibt nichts Schlimmeres, als daran zu denken, dass ich auf mein Lebensende gucke und da wird alles kaputt gemacht, was ich jetzt aufbaue“, sagt Rinnert.

Mit rechtlichen Mitteln, Demonstrationen, Öffentlichkeitsarbeit versuchen sie, die Erweiterung des Tagebaus zu verhindern. Sie sind vernetzt mit Umweltinitiativen. Noch ist es nicht sicher, dass Nochten II kommt. Das Bündnis klagte gegen die Genehmigung des Tagebaus und ging nach dieser in Revision. Als Böttcher, Rinnert und Co. im Jahr 2014 vermuteten, dass Vattenfall seinen Lausitzer Braunkohlezweig verkaufen will, hatten sie Recht: der Energiekonzern gab im April diesen Jahres bekannt, an die tschechische Energiegesellschaft EPH zu verkaufen. So geriet der Genehmigungsprozess von Nochten II in den Verkaufsprozess zwischen Vattenfall und EPH. Die Umsiedlung der AnwohnerInnen wurde gestoppt. Die Spinnerei-AktivistInnen warten nun auf die Entscheidung über die von ihnen eingelegte Revision.

Sie freuen sich über ihren Teilerfolg. Doch seitdem sie sich gegen die Braunkohle einsetzen, wurde ihnen dreimal der Briefkasten gesprengt. Adrian Rinnert bekam in Hoyerswerda einen Job nicht, weil er Tagebaugegner sei, wie man ihm sagte.

Auf behördlicher Seite werden der Spinnerei Steine in den Weg gelegt. Das Bauamtaufsichtsamt Bautzen entzog ihnen das Wohnrecht, seitdem sind sie auf dem Gelände nur geduldet. Für ein Kindercamp, das sie diesen Juli organisierten, wurden ihnen kaum zu erfüllende Auflagen von demselben Amt genannt.

Seitdem sie sich gegen die Braun­kohle einsetzen, wurde ihnen dreimal der Briefkasten gesprengt

„Behörden haben in unserem Rechtsstaat eine natürliche Autorität. Man glaubt, die halten sich doch auch nur an ihre Gesetze. Deswegen ist das eine wunderschöne leise Möglichkeit, Leuten, die nicht gewünscht sind, einfach den Hahn langsam abzudrehen“, sagt Aktivistin Böttcher. Warum der Widerstand so groß ist? „Dinge, die in der Lausitz geschehen, muss man häufig übersetzen“, meint Rinnert. Vattenfall ist in der Region der größte Arbeitgeber und unterstützt finanziell hiesige Sportvereine, eine freie Schule und eine Freiwillige Feuerwehr. Rinnert sagt: „Wenn hier jemand sagt, ich lasse mich nicht abbaggern, wird ihm öffentlich vorgeworfen, du machst die Lausitz kaputt. Du verhinderst Arbeitsplätze.“

Dazu kommt, dass Ortsansässige hohe Kredite aufgenommen haben, um sich in den Ausweichgebieten Grundstücke zu sichern. Verträge über die von Vattenfall versprochenen hohen Entschädigungen unterschrieb der Konzern jedoch nicht. Nun hoffen die Verschuldeten auf das Abbaggern, um mit einer Entschädigung ihre Schulden tilgen zu können. „Das sind Leute, die kraft ihrer verlorenen Existenz diesen Tagebau einfordern, das muss man auch verstehen“, sagt Rinnert.

Aktive alte DDR-Strukturen

Zudem ist die Lausitz traditionell Gebiet der SorbInnen. Im Nationalsozialismus wurden sie unterdrückt, während der DDR zerstörte die Braunkohleförderung sorbische Wohngebiete. „Das brach ihnen über Generationen das Genick. Deswegen sagen sie heute, es bringt nichts, sich zu wehren. Ich habe hier mit Leuten gesprochen, ihr seid nicht illegal, wenn ihr auf einer Demonstration mitlauft“, so Rinnert. Auch die Strukturen der DDR bestünden teilweise fort: „Die sitzen alle noch in den Positionen. In der CDU, was man hier wiederfindet, da kriegt man das Grauen.“

Eine Spinnerei

Eine Spinnerei – vom nachhaltigen Leben e. V. bewohnt und saniert seit 2011 ein altes Spinnereigebäude in der Lausitz ressourcenschonend und nachhaltig. Perspektivisch soll die Spinnerei als Lernort für nachhaltiges Bauen und umweltbewusstes Leben weiterentwickelt werden. Die AktivistInnen der Spinnerei engagieren sich gegen den Braunkohleabbau in der Lausitz und gründeten dafür das Bündnis „Strukturwandel jetzt“.

Alle Infos und Kontakt: www.eine-spinnerei.de

Dazu kommen die Lokalzeitungen. „Alle Medien sind hier in der Hand der Kohlelobby“, sagen die Vereinsmitglieder. Im Jahr 2014 kritisierte die gemeinnützige Initiative LobbyControl eine Werbekampagne von Vattenfall in hiesigen Zeitungen, welche die Meinung der LeserInnen über die Braunkohle beeinflusse. Um dem etwas entgegenzusetzen, stellen die AktivistInnen der Spinnerei ihr Magazin Nochten II her. Es geht um die Region und natürlich den Braunkohleabbau.

Deswegen geht es den Spinnerei-BewohnerInnen um mehr als ihr umweltbewusstes Leben und die Braunkohle. Friederike Böttcher sagt: „Wir hatten das Ziel, den Braunkohletagebau zu stoppen. In Wirklichkeit geht es noch um ganz andere Sachen: gegen diesen Obrigkeitsgehorsam, dieses Demokratiedefizit und die gefühlte Ohnmacht vorzugehen.“

Warum sie noch hier sind? Mittlerweile sei sie hier emotional verwurzelt, antwortet Böttcher. Und: „Ich glaube, dass es nicht den perfekten Ort gibt. Wenn du politisch bist, wenn du sagst, ich will hier für Grundrechte eintreten, wirst du früher oder später an Grenzen stoßen. Dann ist es eben ein anderes Großprojekt, das im Wege steht. Deswegen versuchen wir, das Beste daraus zu machen.“

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