Pannenmeiler Brunsbüttel: Wie ein Schweinestall
Immissionsschutz statt politischer Debatte: Bleibt das AKW Brunsbüttel wegen Verstreichen einer Drei-Jahres-Frist ausgeschaltet? Das Ministerium wartet ab, eine juristische Auseinandersetzung steht bevor.
Ein Atomkraftwerk ist wie ein Schweinestall - rein formell. Denn beides sind Industrieanlagen, beide schicken Emissionen in die Welt, beide unterliegen gesetzlichen Regeln, Normen und Fristen.
Aus diesem Blickwinkel betrachtete die Kieler Landtagsfraktion der Grünen das AKW in Brunsbüttel. Seit Juni 2007, seit dreieinhalb Jahren, steht der Meiler still, der Grund dafür ist eine Reihe von Störungen. "Uns fiel diese Drei-Jahres-Frist auf", sagte Robert Habeck, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, am gestrigen Montag in Kiel. Das Ergebnis einer juristischen Überprüfung fiel günstiger aus, als die Fraktion es selbst erwartet hatte: Gutachterin Cornelia Ziehm kam zu dem Schluss, dass laut dem Bundesimmissionsschutzgesetz die Genehmigung für eine Anlage erlischt, wenn sie drei Jahre nicht gelaufen ist, und zwar automatisch. "Damit haben wir uns kurz vor Weihnachten selbst ein Geschenk gemacht", sagte Habeck. Er wusste aber auch: "Es ist nicht zu erwarten, dass die Betreiberfirma Vattenfall uns für die Aufklärung dankt. Es steht eine juristische und politische Auseinandersetzung bevor."
Die begann dann schnell: Die "These, dass die immissionsschutzrechtliche Regelung angewendet werden müsse" halte er für "wenig überzeugend", sagte Justizminister Emil Schmalfuß, in dessen Bereich die Atomaufsicht fällt. Die 1983 erteilte Betriebsgenehmigung "umfasst Reparaturen, Brennelementwechsel und Prüfungen". Ähnlich äußerte sich die Sprecherin von Vattenfall, Barbara Meyer-Bukow: "Laut Atomgesetz ist auch ein Stillstand ein bestimmungsgemäßer Betrieb. Denn die Anlage steht ja nicht wirklich still, es gibt eine Vielzahl von Anlagenteilen, die weiter in Betrieb sind." So müsse der Reaktor ständig gekühlt werden. Es werde nur kein Strom produziert, so Meyer-Buckow zum NDR. Bei weiteren Anfragen erklärte sie, ihr liege das Gutachten noch nicht vor, sie könne deshalb keine Bewertung vornehmen.
Das Atomkraftwerk Brunsbüttel wird zurzeit von Vattenfall und Eon gemeinsam betrieben, der schwedische Konzern Vattenfall besitzt zwei Drittel.
Brunsbüttel, ein Siedewasserreaktor, ging 1977 ans Netz und ist damit einer der älteste Anlagen Deutschlands.
Seit 28. Juni 2007 sind die Kraftwerke Brunsbüttel und Krümmel außer Betrieb, Auslöser war ein Trafobrand.
Für die Reparaturarbeiten am AKW Brunsbüttel hat Vattenfall nach eigenen Angaben seit 2007 mehr als 300 Millionen Euro ausgegeben.
Bis zum Ende des Jahres 2011 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.
Laut dem Ziehm-Gutachten zählt Stillstand jedoch nicht als Betrieb, da die Anlage seinen Zweck - Strom zu erzeugen - nicht erfüllt. Detlef Matthiessen, energiepolitischer Sprecher der Grünen, verwies auf einen Fall, in dem eine Anlage nach drei Jahren die Lizenz zum Weiterlaufen verlor, es handelte sich um einen Schweinemastbetrieb in Nordrheinwestfalen. Atomkraftwerke waren noch nicht betroffen, da noch keines so lange vom Netz war wie Brunsbüttel. Das Nachbarkraftwerk Krümmel, das ebenfalls 2007 abgeschaltet wurde, produzierte zwischendurch einige Tage. Die Ruhepausen hätten dazu gedient, dass Vattenfall sich "in Atom-freundlichere Zeiten hineinretten" wollte, so Mattiessen. Das habe sich als Boomerang erwiesen.
Dass die Landesregierung dem "Pannenmeiler" bei einem neuen Antrag eine Genehmigung erteilt, hielt Matthiessen für "nicht denkbar". Vattenfall habe die Fristen einfach "nicht auf dem Schirm gehabt", glaubt Habeck: "Alle haben nur die politischen Fragen gesehen und nicht darüber nachgedacht, dass Brunsbüttel eine technische Anlage ist." Die Grünen hätten "beim Naheliegenden angesetzt".
Ob das fruchtet, wird sich zeigen: Minister Schmalfuß sah "keinen akuten Entscheidungsbedarf". Auswirken könnte sich das Gutachten aber auf die geplante Zusammenarbeit von Vattenfall und Eon. Vor einigen Tagen hatten die Energiekonzerne bekannt gegeben, dass Eon bei den Meilern Krümmel und Brunsbüttel die Verantwortung übernehmen solle. Möglicherweise will Vattenfall, das zurzeit die Mehrheit am Brunsbüttler Atomkraftwerk besitzt, ganz aus dem Atomgeschäft aussteigen.
Parallel zur Debatte griff der CDU-Abgeordnete Jens-Christian Magnussen die Grünen für die Wahl ihrer Gutachterin an: Die parteilose Juristin Ziehm sei als Mitarbeiterin der Deutschen Umwelt-Hilfe (DUH) eine Lobbyistin. Habeck sagte, die Fraktion habe das Thema "politisch hoch gehängt" und wollte daher eine Spezialistin für Atomrecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge