Pandemie-Alltag im Supermarkt: Gottes Coronasoldaten
Ein, zwei Konservendosen im Supermarkt abgeleckt, schon landet man bei der Polizei. Dabei empfehlen das doch die Corona-Experten im TV, oder nicht?
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A us dem Supermarkt werde ich direkt aufs nächste Polizeirevier verfrachtet – mit Baulicht und Sirene. Nun sitze ich einem Kommissar mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht gegenüber.
„Herr Engin, Sie wurden dabei beobachtet, wie Sie im Supermarkt die Griffe der Einkaufswagen abgeleckt haben. Das zeugt nicht gerade von gutem Geschmack“, zischt er ironisch.
Soll das ein Witz sein? Ich fasse die verseuchten Dinger nicht mal mit medizinischen Handschuhen an, sondern bringe immer meinen eigenen Einkaufskorb mit. Das kann nur ein Witz sein.
„Tun Sie das etwa nicht?“, antworte ich genauso ironisch. „Alle Corona-Experten im Fernsehen empfehlen doch eindringlich, dass man die Griffe der Einkaufswagen vorher gründlich reinigen muss, um eine Ansteckung mit Covid-19 zu vermeiden. Mit Spucke geht es doch am besten“, sage ich und lache dabei.
Ravioligeschmack mit Blech
„Verstehe. Empfehlen die Corona-Experten aus dem Fernsehen Ihnen auch, alle Konservendosen auf den Regalen abzulecken?“
„Nein, das ist meine eigene Erfindung. Weil, wenn ich die Dosen gründlich ablecke, merke ich sofort, wie die Ravioli schmecken. Ich will nicht prahlen, aber nicht mal die Stiftung Warentest bekommt so genaue Ergebnisse wie ich.“
„Tolle Leistung! Herr Engin, erzählen Sie mir bitte noch, weshalb Sie auch in der Straßenbahnlinie 10 die Haltegriffe abgeleckt haben. Wollten Sie herauskriegen, wie die Ravioli in der Straßenbahnlinie 10 schmecken?“
„Bösartige Unterstellung ist das. Das war nicht die Linie 10, sondern die 11“, witzele ich. Dieser Kommissar muss im Nebenberuf Komiker sein.
In dem Moment kommt ein Polizist mit meinem Zwillingsbruder rein. Der Kerl hat eine so große Ähnlichkeit mit mir, als würde ich in den Spiegel schauen. Das Problem ist: ich hatte bisher keinen einzigen Zwillingsbruder!
„Herr Kommissar, der hier ist der echte Dosen-Lecker“, sagt der Polizist.
„Das habe ich für uns alle getan“, sprudelt es aus meinem Zwillingsbruder, ich meine, aus dem echten Dosen-Lecker, heraus, der ganz schön verwirrt zu sein scheint. „Gott hat diese Viren extra für uns auf die Erde geschickt! Diese Coronaviren sind persönliche Krieger Gottes, um die Menschheit vor dem Schlimmsten zu bewahren! Damit wir im Lockdown und in der Quarantäne mal innehalten und nachdenken über Gott und die Welt und über unsere schrecklichen Fehler. Deshalb müssen wir den Viren behilflich sein, sich zu vermehren, nicht wahr?“
Dann schaut er mich an und fragt unvermittelt: „Hey, du! Du willst sicherlich auch auf der Seite von Gottes Coronasoldaten in diesen Krieg ziehen, um die Welt zu retten, nicht wahr?“
Ich setze sofort meine Maske auf, hole meine Desinfektionsflasche aus der Tasche, reinige gründlich meine Hände und antworte: „Nö, ich bin Kriegsdienstverweigerer.“
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