Panamazonientag auf Weltsozialforum: Rauchzeichen überm Delta
Ihr bunter Federschmuck ist auffällig, ihr Appell eindringlich: Die Indígenas fordern eine neue Form des Wirtschaftens im Amazonasgebiet und wehren sich gegen industrielle Zerstörung.
Ein süßlicher Duft zieht über die dicht gedrängte Menschenmenge. Ein stämmiger Mann geht im Kreis und schwenkt eine Blechdose als Weihrauchkessel. Ein rotes Baumwolltuch mit bunten Stickmustern hat er zu einem Turban gebunden, ein weiteres als Gürtel unter seinem weißen Hemd. In der Mitte des Kreises brennt ein Haufen Rindenstücke, auf denen ein Bund gelber Kerzen liegt. Eine schwarze Rauchwolke steigt empor, die Tropensonne brennt. Schweißperlen sind auf seinem Gesicht. Der Zeremonienmeister hat auf Spanisch die guten Geister beschworen. Schauplatz des Feuerrituals, das dem Anliegen der Amazonien-Indianer Nachdruck verleihen soll, ist der Campus der Bundesuniversität von Pará im brasilianischen Belém. Soeben hat Maya-Schamane Leopoldo Méndez den Panamazonientag auf dem Weltsozialforum eröffnet.
Mehr denn je stehen indigene Völker im Mittelpunkt des globalisierungskritischen Megaevents. Um die zweitausend Indígenas aus ganz Amerika sind in die Millionenstadt am Amazonasdelta gekommen, die meisten von ihnen aus Brasilien. Für Paulo Mendes Tikuna dauerte die Schiffsreise neun Tage. "Wir wollen der Welt zeigen, dass es uns noch gibt, dass wir uns wehren", sagt der schmächtige Mann aus der Grenzregion zu Kolumbien und Peru. Global operierende Unternehmen beuten die natürlichen Ressourcen des Amazonasgebietes rücksichtslos aus. "Unsere Flüsse haben immer weniger Fische und ständig dringen Holzfäller in unser Land ein." Edmundo Dzuhiwi Xavante aus dem Bundesstaat Mato Grosso klagt darüber, dass sein Land vollkommen von den Sojaplantagen multinationaler Konzerne umzingelt ist. Die Flüsse der Region seien durch Rückstände von Pflanzengiften verseucht.
Unternehmen gehen rücksichtslos vor, obwohl Amazonien über den größten Tropenwald der Welt mit einer einzigartigen Artenvielfalt und enormen Süßwasserreserven verfügt. Der Regenwald funktioniert wie eine riesige Klimaanlage, und deswegen trägt seine Zerstörung beispielsweise erheblich zur Erderwärmung bei. "Wir wollen die Verteidigung unserer Mutter Erde, der Lunge der Welt, des guten Lebens", sagt Miguel Palacín Quispe von der Koordination der andinen Indígenaorganisationen, der einen schwarzen Filzhut trägt und mit der buntgescheckten Whipala-Fahne unterwegs ist. Er gehört zu denjenigen Ureinwohnern des Regenwaldes, die auf dem Panamazonien-Tag des Weltsozialforums klare Forderungen vortragen: Die indianischen Stämme lehnen das zerstörerische Gebaren der global operierenden Unternehmen in ihrer Heimat ab. Zugleich haben sie Ideen, wie eine regionale Volkswirtschaft ökologisch und ökonomisch besser funktionieren könnte. Gerade die alte, traditionelle Wirtschaftsweise bringe den Menschen in Amazonien einen Mehrwert, ohne dabei die Natur auszubeuten, heißt es. Mit den ausgeklügelten Methoden des Fischfangs oder dem Anbau von Palmfrüchten könnten neue regionale Nischenmärkte entstehen. So würden feingliedrige Wirtschaftstrukturen wachsen, die möglicherweise die Indianer stärken.
Offenbar sieht die brasilianische Regierung keinen Grund, die Ideen der Ureinwohner zu fördern. Sie plant unvermindert Infrastrukturprojekte, die die Lebensgrundlage der Menschen im Regenwald vernichten. In einem Hörsaal in Belém schildern Experten, wie das Amazonasgebiet zerstört wird: durch neue Staudämme, Verkehrswege oder die Förderung von Bodenschätzen auf Indianerland. Das geschehe vor allem unter der Federführung privater Unternehmen und brasilianischer Banken. Von seinem Pult aus fasst der Wissenschaftler Ricardo Verdum seine These zusammen: Die lateinamerikanischen Linksregierungen seien noch weit von ökosozialen Entwicklungskonzepten entfernt. Kontroverse Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern der Amazonaspolitik der Regierung Lula sind in Brasilien nicht vorgesehen, Streitkultur ist in der lateinamerikanischen Linken ein Fremdwort.
Ein paar Schritte weiter präsentieren Gewerkschafter aus dem Energiesektor ein Modell des umstrittenen Wasserkraftwerks Belo Monte. Im Mai 2008 kamen Indígenas am geplanten Standort zu einem spektakulären Protesttreffen zusammen. Aber die 140 Gewerkschafter in Belo-Monte-T-Shirts werben unter dem Motto "erneuerbare Energie mit sozialer Gerechtigkeit" für den Bau des Riesenstaudamms und verteilen Flyer für die entsprechenden Lobbyveranstaltungen. "Bisher wurde auf dem Forum doch immer nur die Gegenseite präsentiert", sagt Gewerkschaftschef Mauro Martinelli und versichert, die Regierung habe mit der Offensive nichts zu tun.
Ein neutraler Ort ist die Gastgeberstadt des Weltsozialforums Belém allerdings nicht: Sie war immer Teil der Industrialisierung der Region. Die Blütezeit, von der einzelne renovierte Fin-de-Siècle-Prachtbauten in der Innenstadt zeugen, ist schon lange vorbei. Nach dem Kautschukboom zwischen 1870 und 1914 ging es bergab. Von Pará aus wurden und werden über transnationale Konzerne, allen voran den brasilianischen Bergbauriesen Vale, die Industrieländer und China mit Erzen sowie Aluminium versorgt. Selbst der Rohstoffboom der letzten Jahre hat kaum etwas an der weit verbreiteten Armut geändert.
Die beiden Universitätsgelände am Rande der Stadt sind von Armenvierteln umsäumt, in denen wegen des boomenden Drogenhandels besonders viele Gewaltverbrechen begangen werden. Für die Zeit des Forums hat die Gouverneurin das Polizeiaufgebot vervielfacht, sogar Sondereinheiten aus Brasília sind im Einsatz. Viele Einheimische sind erleichtert und verärgert zugleich, denn sie kommen sich als BürgerInnen zweiter Klasse vor: Nächste Woche, nach der Abreise der Globalisierungskritiker, sind sie erneut der Unsicherheit ausgeliefert. Zudem läuft einiges anders, als auf den Foren im südbrasilianische Porto Alegre 2001 und 2005. Belém ist keine moderne Metropole. Viele Bauprojekte für das Forum sind nur halb fertig geworden, etwa der Ausbau der einzigen Zubringerstraße. Folglich kommt es jeden Tag zu Dauerstaus und Verspätungen.
Doch einiges läuft auch ähnlich wie in den Vorjahren: Die Veranstaltung ist eine Mischung aus Volkshochschule, politischem Aktivismus und Happening. Rund um das Jugendcamp in der Amazonas-Bundesuniversität geht es zu wie in einer alternativen Ferienkolonie. Die Quechua-Indianerin María Elena Zambrano aus dem ecuadorianischen Otavalo verkauft selbstgeknüpfte Armbänder - auf dem Sozialforum ist sie eher zufällig gelandet. Reggaeklänge wehen über das Zeltlager, Parolen skandierende StudentInnen ziehen gut gelaunt über den Campus. "Manchmal frage ich mich, ob das viele Feiern nicht zu sehr von unseren Zielen ablenkt", formuliert der US-Amerikaner Andrew Miller von Amazon Watch die Vorbehalte mancher TeilnehmerInnen aus dem Norden. Von der kalifornischen Nichtregierungsorganisation stammt die Idee, zum Auftakt des Forums über Tausend Indígenas so aufzustellen, dass sie aus der Vogelperspektive einen Krieger mit Pfeil und Bogen und den Schriftzug "Rettet Amazonien" bildeten. Das Foto ging um die Welt.
In einem großen Zelt auf dem Panamazonientag: Hier wird eine Kampagne zum Schutz der Amazonasregion ausgerufen. "Die Politiker müssen einsehen, dass wir Indígenas nicht ein Entwicklungshemmnis sind, sondern die besten Verteidiger des Waldes, des Wassers und der Luft", meint Marcos Apurinãcon der Koordination der Ureinwohner aus dem brasilianischen Amazonasgebiet. "Eines Tages werden sie verstehen, dass dies nicht nur im Interesse unserer, sondern auch ihrer eigenen Kinder liegt", hofft der 38-Jährige mit langem Pferdeschwanz und imposantem Federschmuck. Und: "Der kapitalistische Raubbau ist keine Perspektive für Amazonien", meint Egon Heck vom Indianermissionsrat Cimi. Die Linkskatholiken gehören zu den wichtigsten Unterstützern der brasilianischen Indígenas und leisten für deren Auftritt in Belém diskrete logistische Unterstützung. Die neue Kampagne ziele auf die nichtindigene Öffentlichkeit und sei zugleich ein Mittel, sich über die Landesgrenzen hinweg zu vernetzen - insgesamt liegen in Brasilien nur zwei Drittel des Amazonasgebietes; es reicht in acht Nachbarländer hinein. "Die Bewegungen in den Andenländern Ecuador oder Bolivien haben jahrzehntelange, sehr politische Kämpfe hinter sich", benennt Heck einen Unterschied zu Brasilien. Dem stimmt auch der Peruaner Miguel Palacin Quispe zu - jedoch mit Zuversicht: "Die Verständigung mit den Brasilianern ist nicht immer leicht, aber wir haben ja noch ein paar Tage vor uns." In seinem Heimatland sei die indigene Renaissance erst "vier, fünf Jahre alt".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?