: Palästinenser sparen mit Jubelrufen für Saddam
■ Im Westjordanland und in Gaza bringen Demos für Irak nur wenige auf die Straße. Der Grund ist weniger ein Demonstrationsverbot als die Angst vor negativen Folgen für den Friedensprozeß
Jerusalem (taz) – Obwohl die palästinensische Autonomiebehörde ein Verbot für Solidaritätsdemonstrationen mit Saddam Hussein erteilt hat, finden in den Autonomiegebieten im Westjordanland und im Gaza-Streifen immer wieder Proteste gegen die US- Politik am Golf statt. Allerdings zählen die Demonstrationen nie mehr als 200 Teilnehmer. Selbstgemachte US-amerikanische und israelische Flaggen werden verbrannt und Parolen skandiert wie „Saddam, schick deine Scud-Raketen auf Tel Aviv“. Marwan Barghouti, Chef von al-Fatah, der größten PLO-Organisation im Westjordanland, befürwortet im Gegensatz zur palästinensischen Autonomiebehörde solche Demonstrationen. Eine palästinensische Zeitung zitierte ihn sogar mit dem Satz, daß jede Demonstration mit Steinwürfen auf israelische Soldaten enden müsse – eine Äußerung, die Barghouti aber dementiert.
An Rachels Grab in Bethlehem wurden bei Auseinandersetzungen in der vergangenen Woche 15 Palästinenser von israelischen Soldaten angeschossen. Auch die islamistische Hamas goß Öl ins Feuer. In einer Erklärung drohte sie in dieser Woche mit Angriffen auf israelische Ziele, sollten die USA den Irak angreifen. Ihr geistiger Führer, Scheich Ahmad Jassin, sagte in einem Interview mit einer israelischen Zeitung, daß ein Angriff auf Muslime von den Muslimen nicht stillschweigend hingenommen werden dürfe. Die islamische Welt sei aufgerufen, die Würde des Irak zu verteidigen.
„Solche Demonstrationen schaden uns sehr“, erklärte dagegen ein hoher Fatah-Funktionär im Gaza- Streifen. „Sie werden von Israel propagandistisch ausgenutzt und wecken Zweifel an unserem Friedenswillen.“ In den Hauptstraßen von Gaza-Stadt sind denn auch alle Plakate von Saddam Hussein verschwunden. Nur noch Fetzen an den eisernen Geschäftstüren zeugen davon, daß hier einmal Solidarität mit dem irakischen Diktator oder, in abgemilderter Version, mit dem irakischen Volk, geübt wurde. In einem palästinensischen Flüchtlingslager im Gaza-Streifen werden jedoch weiter Saddam-Plakate gedruckt, auch wenn der Absatz stockt.
Anders als beim Golfkrieg vor sieben Jahren hält sich die palästinensische Begeisterung für den irakischen Führer sehr in Grenzen. Während viele Palästinenser damals von ihren Hausdächern aus die Scud-Raketen auf Tel Aviv mit Jubelrufen begleiteten, ist die Stimmung derzeit eher gedrückt. Der anglo-amerikanische Aufmarsch am Golf hat den festgefahrenen Friedensprozeß aus den internationalen Schlagzeilen verbannt. „Es wird sich nichts bewegen, bevor die Krise am Golf nicht gelöst ist“, sagt ein palästinensischer Journalist.
Allzusehr sind noch die bösen Folgen der damaligen Politik in Erinnerung. Hunderttausende Palästinenser wurden aus dem Golf vertrieben. Viele Familien im Westjordanland und im Gaza- Streifen verloren damit eine wichtige finanzielle Unterstützung. Der PLO wurde der arabische Geldhahn abgedreht, was auch in den besetzten Gebieten zahlreiche PLO-finanzierte Jobs kostete. Und mancher Palästinenser betrachtet die Zugeständnisse von Oslo zumindest als eine indirekte Folge des Golfkriegs von 1991.
Die offizielle Haltung der Autonomiebehörde hat Informationsminister Jassir Abed Rabbo verkündet. Der Irak müsse die UN- Resolutionen korrekt befolgen, unterschiedliche Auslegungen sollten in Verhandlungen, nicht aber durch Krieg gelöst werden. Demonstrationen, erklärte Polizeichef Ghazi Dschabali, seien allerdings erlaubt, solange sie friedlich verliefen. Doch in der vergangenen Woche kesselten rund 200 palästinensische Polizisten eine Demonstration von etwa 150 Frauen und Kindern ein, die mit Saddam-Plakaten durch die Straßen von Ramallah ziehen wollten.
Selbst Fatah-Chef Marwan Barghouti hat erklärt, sich vorläufig an das Demonstrationsverbot halten zu wollen. Und das, obwohl in palästinensischen Kreisen das Gerücht kursiert, das Demonstrationsverbot sei auf US- amerikanische Intervention erlassen worden. Von offizieller Seite wird dies jedoch energisch bestritten. Obwohl viele Palästinenser nicht daran glauben, daß der Irak Israel angreifen wird, hat die Autonomiebehörde die US-Regierung um Gasmasken und Impfschutz gegen biologische und chemische Waffen ersucht. Der Gesundheitsminister forderte sogar Schutz vor den Folgen eines atomaren Gegenschlags seitens der israelischen Regierung. Es könnte ja „versehentlich auch mal eine taktische Atomwaffe in Nablus oder Jenin niedergehen“. Georg Baltissen
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