Palästinenser-Aktivist Habasch ist tot: Dogmatisch und unbeugsam
Der Gründer und ehemalige Chef der Volksfront für die Befreiung Palästinas, George Habasch, erliegt in der jordanischen Hauptstadt Amman einem Herzinfarkt.
JERUSALEM taz "Ich werde innerhalb der kommenden zehn Jahre sterben", hatte George Habasch im Oktober 1987 vorausgesagt und sich dabei um gut zehn Jahre vertan. Am Samstagmorgen erlag der Kinderarzt und ehemalige Chef der Volksfront zur Befreiung Palästinas in Amman einem Herzinfarkt. Der "Doktor", wie er von seinen Anhängern genannt wurde, irrte noch mal: "Bis dahin werden die Palästinenser 50 Prozent der Bevölkerung in Israel und den besetzten Gebieten ausmachen", meinte er und hoffte auf eine demografische Lösung anstelle des bewaffneten Kampfs, auf den er über mehrere Jahrzehnte setzte. "Die Zeit arbeitet zu unseren Gunsten."
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verhängte eine dreitägie Staatstrauer für Habasch, der als ärgster politischer Gegner des früheren PLO-Chefs Jassir Arafat galt. Auch Expremierminister Ismail Hanijeh (Hamas) bedauerte den Tod des Mannes, der "sein Leben damit verbrachte, Palästina zu verteidigen". Habasch war vermutlich der prominenteste palästinensische Gegner der 1993 zwischen Israel und der PLO unterzeichneten Osloer-Prinzipienerklärung.
1926 kam er als Sohn wohlhabender griechisch-orthodoxer Christen zur Welt. Während der Studienzeit in Beirut wurde seine Familie aus der Heimat vertrieben. Aus "Sicherheitsgründen", wie es offiziell hieß, bekam die israelische Armee im Anschluss an den Krieg 1948 den Auftrag, den Korridor zwischen Tel Aviv und Jerusalem zur "araberfreien Zone" zu machen.
Zusammen mit seinem Kommilitonen, dem ebenfalls christlichen Palästinenser Wadi Haddad, gründete er 1951 die Qamiyun al-Arab, die "Arabischen Nationalisten", die sich das Motto zu eigen machten, die Befreiung Palästinas werde über die arabische Einheit erfolgen. Mit Haddad zusammen eröffnete Habasch später auch eine Arztpraxis in Amman, wo er mit seiner Frau und den gemeinsamen drei Töchtern lebte.
Wenige Monate nach dem Sechstagekrieg 1967 gründete Habasch seine zweite, politisch deutlich wichtigere Bewegung: die "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP), die vor allen in den 70ern mit Terroranschlägen weltweite Schlagzeilen machte. Die marxistisch-leninistische PFLP setzte kompromisslos auf den bewaffneten Widerstand gegen das "zionistische Gebilde", distanzierte sich vom amerikanischen Imperialismus und setzte stattdessen auf Moskau.
Wadi Haddad wurde Chef für "ausländische Operationen" - in erster Linie Flugzeugentführungen, darunter auch die 1976 nach Entebbe entführte Air-France-Maschine, die von einem israelischen Sonderkommando befreit werden konnte. An der Entführung waren auch Mitglieder der Roten Armee Fraktion beteiligt. "Wir haben organische Unterstützungsformen geschaffen zwischen den Palästinensern und den Revolutionären der ganzen Welt", so Habasch.
Immer wieder versuchte Habasch, Arafat innerhalb der PLO herauszufordern, musste aber stets dem jüngeren Fatah-Chef nachgeben. Er kritisierte Arafats Haltung gegenüber dem jordanischen König Hussein, mit dem sich die PLO schon wenige Jahre nach dem Massaker des Schwarzen Septembers 1970 wieder versöhnte. Zudem war Habasch über Jahrzehnte nicht bereit, seinen Traum von der Zerstörung des "zionistischen Gebildes" aufzugeben.
Salah Khalaf (alias Abu Ijad), ein führender Fatah-Politiker, der stets engen Kontakt zur PFLP unterhielt, schrieb in seiner Autobiografie, Habasch sei eine "seltsame Persönlichkeit" gewesen. "Dogmatisch und auf ungewöhnliche Weise grausam" bei öffentlichen Auftritten, privat jedoch ein anderer Mensch: "Ein bisschen phlegmatisch, ein aufmerksamer Zuhörer und voller Bescheidenheit."
Mitte der 70er-Jahre kehrte er sich vorrübergehend von der PLO ab, um mit der neuen "Widerstandsfront" eine politische Alternative zur PLO anzubieten, wobei er jedoch der Vormachtstellung des palästinensischen Exilparlaments nie echte Konkurrenz machen konnte. Allerdings genoss er die Unterstützung von Hafez Assad, dem damaligen syrischen Präsidenten. Dieser ließ Habasch zum führenden Mann des palästinensischen Lagers in Damaskus avancieren.
Der ausgebildete Mediziner war schon früh gesundheitlich schwer angeschlagen. Nach einem Herzinfarkt musste er sich 1980 einer Kopfoperation unterziehen. Danach war er halbseitig gelähmt und fortan auf einen Gehstock angewiesen, außerdem blieb sein Sprachzentrum beschädigt. Im April 1987 kam es schließlich zur Versöhnung mit Arafat. Ein Jahr später unterstützte Habasch die Entscheidung des palästinensischen Nationalrats für den Teilungsplan Palästinas und die Zweistaatenlösung, gegen die er sein Leben lang gekämpft hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren