Palästina-Solidarität in Berlin: Abschieben für die Staatsräson
Vier Migrant*innen sollen Berlin verlassen, weil sie an pro-palästinensischen Protesten teilgenommen haben. Ansonsten droht ihnen die Abschiebung.

Die Vorwürfe gegen die vier werden von den Behörden separat erhoben. Gemein ist ihnen lediglich die Anschuldigung der Beteiligung an der Besetzung eines Gebäudes der Freien Universität Ende 2024, verbunden mit Sachbeschädigung und der mutmaßlichen Behinderung einer Verhaftung.
Weitere Vorwürfe betreffen Vorfälle bei einem Massensitzstreik am Hauptbahnhof sowie einer Straßenblockade. Einige der Anschuldigungen sind geringfügig: Zwei Personen sollen einen Polizeibeamten als „Faschist“ bezeichnet haben, drei weitere mit Gruppen demonstriert haben, die verbotene Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ riefen.
In den Ausweisungsverfügungen, die der taz vorliegen, werden den vier Personen keine konkreten Taten vorgeworfen. Es wird lediglich vermutet, dass sie an einer koordinierten Gruppenaktion teilgenommen haben. Zudem werden sie beschuldigt, die Hamas zu unterstützen sowie antisemitische oder israelfeindliche Parolen gerufen zu haben. Beweise liegen nicht vor.
„Klar rechtswidrig“
Der Anwalt Alexander Gorski, der zwei der Demonstranten vertritt, sagt zur taz: „Wir halten diese Bescheide für klar rechtswidrig.“ Er kritisiert, dass keine*r der Betroffenen strafrechtlich verurteilt wurde und den Anwält*innen nicht einmal Akten mit konkreten Vorwürfen vorlägen.
Nach deutschem Migrationsrecht ist eine strafrechtliche Verurteilung für eine Abschiebung nicht notwendig. Doch die Gründe müssen verhältnismäßig zur Härte der Maßnahme sein. Das sei hier nicht der Fall, kritisiert Gorski: „Es werden drastische Maßnahmen ergriffen, basierend auf Anschuldigungen, die extrem vage und zum Teil völlig unbegründet sind.“ Gerechtfertigt werden drei der vier Ausweisungsentscheidungen mit der deutschen Staatsräson. Dies sei keine aussagekräftige Rechtskategorie, kritisiert Gorski.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit soll auch das Landesamt für Einwanderung (LEA) geäußert haben. Das schreibt The Intercept unter Berufung auf interne E-Mails. Nachdem die Senatsinnenverwaltung eine Abschiebungsanordnung gefordert hätte, hätten Beamt*innen des LEA darauf hin gewiesen, dass die Rechtsgrundlage für den Widerruf der Freizügigkeit der drei EU-Bürger*innen unzureichend sei – und ihre Abschiebung rechtswidrig wäre.
Die Innenverwaltung habe die Bedenken zurückgewiesen und das LEA, über das sie die Aufsicht und Weisungsbefugnis hat, angewiesen, die Anordnungen zu vollziehen. Das LEA wollte sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern.
Ein Exempel statuiert
Kritik kommt vom innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader. Er wirft der Senatsinnenverwaltung vor, dass politischen Motive juristische Abwägungen dominieren würden. „Es ist erschreckend, wie schnell Freiheitsrechte geopfert werden, wenn politische Exempel statuiert werden sollen“, so der Linken-Politiker.
Gorski stellte einen Eilantrag auf einstweiligen Rechtsschutz und legte Einspruch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung ein. Für ihn steht fest: „Die Entscheidungen sind klar politisch motiviert.“ Der Fall zeige, wie der deutsche Staat das Migrationsrecht nutze, um pro-palästinensische Aktivist*innen zu verfolgen und die Staatsräson durchzusetzen.
Auch die Betroffenen äußern sich in einem Statement: „Unsere Abschiebung ist ein politischer Akt – ein Versuch, die gesamte Bewegung einzuschüchtern.“ Die „repressive Anwendung von Einwanderungsgesetzen“ diene dazu, propalästinensische Stimmen und politische Dissidenten zum Schweigen zu bringen.
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