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Palästina-Solidarität in BerlinAbschieben für die Staatsräson

Vier Mi­gran­t*in­nen sollen Berlin verlassen, weil sie an pro-palästinensischen Protesten teilgenommen haben. Ansonsten droht ihnen die Abschiebung.

Pro-palästinensische Ak­ti­vis­t*in­nen geraten in Berlin schnell ins Visier staatlicher Repression Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Die Berliner Innenverwaltung fordert vier Staatsangehörige aus den USA, Polen und Irland auf, Deutschland bis zum 21. April 2025 verlassen – andernfalls droht eine zwangsweise Abschiebung. Der Vorwurf: Teilnahme an Protesten gegen den Krieg in Gaza. Strafrechtlich verurteilt wurden sie nicht. The Intercept berichtete zuerst.

Die Vorwürfe gegen die vier werden von den Behörden separat erhoben. Gemein ist ihnen lediglich die Anschuldigung der Beteiligung an der Besetzung eines Gebäudes der Freien Universität Ende 2024, verbunden mit Sachbeschädigung und der mutmaßlichen Behinderung einer Verhaftung.

Weitere Vorwürfe betreffen Vorfälle bei einem Massensitzstreik am Hauptbahnhof sowie einer Straßenblockade. Einige der Anschuldigungen sind geringfügig: Zwei Personen sollen einen Polizeibeamten als „Faschist“ bezeichnet haben, drei weitere mit Gruppen demonstriert haben, die verbotene Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ riefen.

In den Ausweisungsverfügungen, die der taz vorliegen, werden den vier Personen keine konkreten Taten vorgeworfen. Es wird lediglich vermutet, dass sie an einer koordinierten Gruppenaktion teilgenommen haben. Zudem werden sie beschuldigt, die Hamas zu unterstützen sowie antisemitische oder israelfeindliche Parolen gerufen zu haben. Beweise liegen nicht vor.

„Klar rechtswidrig“

Der Anwalt Alexander Gorski, der zwei der Demonstranten vertritt, sagt zur taz: „Wir halten diese Bescheide für klar rechtswidrig.“ Er kritisiert, dass kei­ne*r der Betroffenen strafrechtlich verurteilt wurde und den An­wäl­t*in­nen nicht einmal Akten mit konkreten Vorwürfen vorlägen.

Nach deutschem Migrationsrecht ist eine strafrechtliche Verurteilung für eine Abschiebung nicht notwendig. Doch die Gründe müssen verhältnismäßig zur Härte der Maßnahme sein. Das sei hier nicht der Fall, kritisiert Gorski: „Es werden drastische Maßnahmen ergriffen, basierend auf Anschuldigungen, die extrem vage und zum Teil völlig unbegründet sind.“ Gerechtfertigt werden drei der vier Ausweisungsentscheidungen mit der deutschen Staatsräson. Dies sei keine aussagekräftige Rechtskategorie, kritisiert Gorski.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit soll auch das Landesamt für Einwanderung (LEA) geäußert haben. Das schreibt The Intercept unter Berufung auf interne E-Mails. Nachdem die Senatsinnenverwaltung eine Abschiebungsanordnung gefordert hätte, hätten Be­am­t*in­nen des LEA darauf hin gewiesen, dass die Rechtsgrundlage für den Widerruf der Freizügigkeit der drei EU-Bürger*innen unzureichend sei – und ihre Abschiebung rechtswidrig wäre.

Die Innenverwaltung habe die Bedenken zurückgewiesen und das LEA, über das sie die Aufsicht und Weisungsbefugnis hat, angewiesen, die Anordnungen zu vollziehen. Das LEA wollte sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern.

Ein Exempel statuiert

Kritik kommt vom innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader. Er wirft der Senatsinnenverwaltung vor, dass politischen Motive juristische Abwägungen dominieren würden. „Es ist erschreckend, wie schnell Freiheitsrechte geopfert werden, wenn politische Exempel statuiert werden sollen“, so der Linken-Politiker.

Gorski stellte einen Eilantrag auf einstweiligen Rechtsschutz und legte Einspruch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung ein. Für ihn steht fest: „Die Entscheidungen sind klar politisch motiviert.“ Der Fall zeige, wie der deutsche Staat das Migrationsrecht nutze, um pro-palästinensische Ak­ti­vis­t*in­nen zu verfolgen und die Staatsräson durchzusetzen.

Auch die Betroffenen äußern sich in einem Statement: „Unsere Abschiebung ist ein politischer Akt – ein Versuch, die gesamte Bewegung einzuschüchtern.“ Die „repressive Anwendung von Einwanderungsgesetzen“ diene dazu, propalästinensische Stimmen und politische Dissidenten zum Schweigen zu bringen.

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1 Kommentar

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  • Erinnert an Trumps Maßnahmen in Amerika. Zumal der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages erst in seinen Ausführungen zum Haftbefehl gegen Netanjahu folgendes zur Staatsräson gesagt hat: "Das Eintreten und die Verantwortung für das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates Israels – nicht dagegen für den Fortbestand einer bestimmten, auf Zeit gewählten israelischen Regierung – sind politisch ausgemachter „Teil der deutschen Staatsraison“. Dabei handelt es sich jedoch um eine rein politische Maxime, nicht aber um einen die deutsche Staatsgewalt bzw. die deutsche Außenpolitik rechtlich bindenden Grundsatz oder Verfassungsrechtssatz." www.bundestag.de/r...D-2-009-25-pdf.pdf



    Hier sollten die Politiker langsam mal unterscheiden zwischen Recht und Politik. Und es sagt ja schon einiges, dass selbst intern Beamte des LEA denken, dass diese Anordnungen keine Rechtsgrundlage haben. Und gerade bei diesem Thema wurden hier von Politikern so einige Sachen gemacht, die dann von Gerichten kassiert wurden. Das ist eines Rechtsstaates nicht würdig und man ändert keine Meinungen durch Unterdrückung man radikalisiert sie.