Pakistan: Der wankende Musharraf
Pakistans umstrittener Präsident und die Rote Moschee: Hat er mit dem Angriff auf die Islamisten seine Macht gesichert?
1. Warum ist die Moschee so wichtig?
Die gestern Morgen gestürmte Rote Moschee in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad ist das Symbol des radikalen Islam in Pakistan. Sie wurde 1965 von dem Geistlichen Mohammed Abdullah gegründet, dem Vater der beiden Kleriker Abdul Aziz und Abdul Rashid Ghazi, die die Moschee zuletzt leiteten. Zur Moschee, von der aus die beiden Kleriker den Kampf für die Einführung der Scharia in ganz Pakistan verkündeten, gehören zwei Religionsschulen, an denen vor den Unruhen mehr als 10.000 StudentInnen unterrichtet wurden. Die Moschee-Führer und ihre Anhänger sind für ihre scharfe Kritik an Präsident Pervez Musharraf und den USA bekannt sowie für ihre Nähe zu al-Qaida und den Taliban. Die Islamisten haben die Moschee zum Zentrum ihrer Machtprobe mit der Militärregierung gemacht. Pikant: Der Komplex liegt nahe des Regierungsviertels und des Hauptquartiers des Geheimdienstes ISI.
2. Die Stürmung der Moschee: Stärkt das Pakistan-Präsident Musharraf?
Kurzfristig kann sich Musharraf nun als Präsident, der die Dinge in die Hand genommen hat, präsentieren. Allerdings kommt seine Entschlossenheit nach Monaten des Zauderns gegenüber den Islamisten in der Moschee - sodass schon gemunkelt wurde, ob das Ganze nicht eine Inszenierung war, um von Musharrafs eigentlichen Problemen abzulenken. Seine Amtszeit endet im November, und das Prozedere der Wiederwahl ist umstritten. Musharraf möchte gern Staatschef bleiben - ohne seine Uniform abzulegen. Seine Gegner legen die Verfassung so aus, dass eine Wiederwahl nur als Zivilist möglich ist. Seit Musharraf deshalb im März den Obersten Richter, Iftikhar Chaudhry, absetzte, sieht er sich landesweiten Massendemonstrationen ausgesetzt.
3. Die Tötung der Koranschüler: Stärkt der Konflikt die Islamisten?
Der "Märtyrertod" von Abdul Rashid Ghazi, dem in der Moschee verbliebenen und während des Militärangriffs von seinen eigenen Anhängern angeblich getöteten radikalen Kleriker, und die vielen weiteren Todesopfer werden den Ummut der Radikalen gegen Musharraf schüren. Zumal sich in der Moschee auch Mitglieder der extremistischen Gruppe Harkatul-Jihad-e-Islami verschanzt haben, die für den Mord an dem US-Journalisten Daniel Pearl 2002 und Attentatsversuche gegen Präsident Musharraf verantwortlich gemacht werden. Die Geschehnisse um die Moschee haben aber auch gezeigt, dass die Macht der Islamisten in Pakistan nicht so stark ist wie angenommen. Nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung plädierte für ein hartes Vorgehen gegen die in der Moschee verschanzten Kleriker. Auch die moderaten islamischen Parteien verwahrten sich dagegen, wie die Moschee-Besetzer versuchten, das Recht in ihre eigenen Hände zu nehmen. Der Verband der Koranschulen schloss die Führer der Roten Moschee schon vor Monaten als Mitglieder aus. Entscheidend für das Sinken des Sterns der Brüder dürfte auch der Abgang des älteren der beiden Brüder, Abdul Aziz, beigetragen haben, der, nachdem er monatelang den Dschihad gepredigt hatte, versuchte, unter einem Frauengewand aus der Moschee zu fliehen.
4. Sind Racheakte zu erwarten?
Das Netzwerk der radikalen Kleriker speist sich vor allem aus den konservativen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan. Dort gab es in den vergangenen Tagen bereits mehrere Anschläge, die mit der Moschee in Verbindung gebracht werden. Vor allem dort wird mit weiteren Racheakten zu rechnen sein. Am Wochenende kam es auch zu einem Anschlagsversuch auf das Flugzeug des Präsidenten. Musharraf könnte eine blutige Anschlagsserie sogar nützen. Dann könnte er den Notstand ausrufen und die gefürchteten Wahlen vorerst aussetzen.
5. Wer sind eigentlich die Unterstützer von Musharraf?
Viele sind nicht mehr übrig geblieben. Die Musharraf nahe stehende Regierungspartei PML-Q ist seit langem durch diverse Skandale diskreditiert. Ein erneutes Zusammengehen mit der islamischen Parteien-Allianz MMA, die in den Grenzprovinzen zu Afghanistan regiert, verbietet sich schon im Hinblick auf das Wiedererstarken der Taliban. Auch Teile des Militärs scheinen sich zunehmend von Musharraf abzuwenden.
6. Wie verhält sich die demokratische Opposition zu Musharraf?
Ex-Premierministerin Benazir Bhutto, die der größten Oppositionspartei PPP vorsteht, lotet gerade neue Allianzen mit Musharraf aus. Die wegen Korruption exilierte Politikerin würde gerne nach Pakistan und an die Macht zurückkehren. Der ebenfalls im Exil befindliche Ex-Premier Nawaz Sharif hat am vergangenen Wochenende in London eine Allparteien-Konferenz zusammengetrommelt, die Musharrafs Rücktritt und freie Wahlen fordert. Bhutto nahm an der Konferenz allerdings nicht teil - was als Indiz dafür gilt, dass sie zunächst die Gespräche mit Musharrafs Emissären beenden will.
7. Lassen die USA Musharraf fallen?
US-Präsident George W. Bush ist der Verbündete Musharraf im Kampf gegen Terror wichtiger als die Demokratie in Pakistan. Doch in Washington wächst angesichts Musharrafs halbherzigen Vorgehens gegen die Taliban in der Grenzregion zu Afghanistan der Unmut mit dem Verbündeten in Islamabad. Die USA machen offenbar Druck, um Benazir Bhutto wieder ins Land und an die Macht zu befördern. Bhutto hat angekündigt, sie werde bei der Terroristenjagd nicht so zimperlich sein wie Musharraf.
8. Atommacht Pakistan: Wie leicht kommen die Islamisten an die Bombe?
Bislang haben die islamistischen Parteien landesweit keine ernst zu nehmende Anzahl an Wählern. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass sie aus den entscheidenden militärischen Kreisen unterstützt würden. Die Angst des Westens vor der Bombe in den Händen der Mullahs war über Jahre ein äußerst stabilisierendes Element von Musharrafs Macht. Gegenwind bekommt Musharraf seit der Absetzung des Obersten Richters jedoch vor allem von der prowestlichen Opposition. Allerdings hat die Tatsache, dass die in der Roten Moschee Verschanzten genug Waffen besaßen, um sich immerhin eine Woche lang zu verteidigen, Spekulationen über die alte Allianz zwischen pakistanischem Geheimdienst und Islamisten neue Nahrung geboten.
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