Pakistan: Musharraf verhängt Ausnahmezustand
Pakistans Machthaber greift zu härteren Mitteln, um seine Macht zu sichern, die er von islamistischen Extremisten und Oppositionsparteien bedroht sieht. Die Wahlen wurden abgesagt und 500 Menschen verhaftet.
ISLAMABAD/BRÜSEL ap/afp Pakistans Staatschef Pervez Musharraf hat den Ausnahmezustand ausgerufen und damit die Demokratie vorerst auf Eis gelegt. Er begründete seine Entscheidung mit dem Kampf gegen islamische Extremisten im Grenzgebiet gegen Afghanistan und mit dem Widerstand der Oppositionsparteien.
Premierminister Shaukat Aziz teilte am Sonntag mit, dass nach der Verhängung des Ausnahmezustands in Pakistan bis zu 500 Menschen festgenommen worden seien. Zudem deutete er an, dass die politische Führung des Landes eine Verschiebung der für Januar 2008 geplanten Parlamentswahlen um bis zu einem Jahr anstrebt. "Es könnte eine Verschiebung geben, aber wir haben darüber noch nicht entschieden", sagte Aziz. Der Ausnahmezustand ermögliche es, dass "das Parlament sich selbst ein zusätzliches Jahr gewährt". Nach der bisherigen Planung sollte das jetzige Abgeordnetenhaus am 15. November aufgelöst werden.
Musharraf rechtfertigte den Ausnahmezustand in einer Fernsehansprache mit der Bedrohung durch islamische Extremisten. Außerdem warf er dem Obersten Gerichtshof vor, der Regierung die Hände zu binden, da er die Gültigkeit seiner Wiederwahl noch nicht anerkannt habe. Das Gericht wollte in dieser Woche eine Entscheidung zu einer Klage der Opposition bekannt geben. Zu den ersten Anordnungen unter dem Ausnahmerecht gehörte die Absetzung des Obersten Richters Iftikhar Mohammed Chaudhry, der in den vergangenen Wochen immer mehr zum Gegenspieler Musharrafs geworden war. Der Name Chaudhrys wurde aus der Webseite des Gerichts entfernt.
In der Hauptstadt Islamabad blockierten am Sonntag paramilitärische Truppen die Zugänge zum Obersten Gerichtshof und zum Parlament. In anderen Teilen der Stadt herrschte gespannte Ruhe. Das am Samstagabend abgeschaltete Telefonnetz wurde wieder in Betrieb genommen. Im Fernsehen war aber allein der staatliche Sender noch zu empfangen, private Sender wurden abgeschaltet.
Zu den Opfern der Verhaftungswelle gehört der amtierende Vorsitzende der Pakistanischen Moslemliga (PML), Javed Hashmi. Er wurde zusammen mit zehn Beratern festgenommen, als er aus seinem Haus in der Stadt Multan trat. Musharraf habe die Justiz an sich gerissen, um seine "illegitime Herrschaft" zu sichern, sagte Hashmi bei seiner Festnahme vor Journalisten und fügte hinzu: "Er kann gegen die Empörung des Volks nicht überleben." Die PML ist die Partei des früheren Ministerpräsidenten Nawaz Sharif, der am 10. September unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Exil abgeschoben wurde.
In Lahore wurden am Sonntag mehr als 30 Menschenrechtsaktivisten verhaftet. Auch der Leiter des Büros, I.A. Rahman, wurde abgeführt. Er gilt als entschiedener Kritiker Musharrafs. Zuvor war in Lahore bereits die Vorsitzende der Pakistanischen Menschenrechtskommission, Asma Jehangir, verhaftet worden. Außerdem wurden mindestens sechs Anwälte verhaftet, unter ihnen der Vorsitzende der Anwaltsvereinigung am Gericht von Multan.
Die Vorsitzende der Pakistanischen Volkspartei (PPP), Benazir Bhutto, warf Musharraf vor, de facto das Kriegsrecht eingeführt zu haben. Dies sei der "schwärzeste Tag" in der Geschichte des Landes. Die frühere Regierungschefin eilte am Samstag von einem Besuch in Dubai nach Pakistan zurück. Sie war erst am 18. Oktober aus dem Exil zurückgekehrt. Dabei wurde ein Anschlag auf ihren Konvoi in Karachi verübt; mehr als 130 Menschen wurden dabei getötet.
Der Generalstaatsanwalt Malik Mohammed Qayyum wies den Vorwurf Bhuttos zurück. Von einem Kriegsrecht könne nicht die Rede sein, da der Ministerpräsident und das Parlament von den Maßnahmen des Ausnahmezustands nicht betroffen seien.
Die internationale Gemeinschaft reagierte mit Kritik und Besorgnis auf die Entwicklung in Pakistan. US-Außenministerin Condoleezza Rice rief am Sonntag in Jerusalem zu einer raschen Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung auf und forderte Zusicherungen, dass Pakistan an der im Januar geplanten Parlamentswahl festhalten werde. Das US-Verteidigungsministerium erklärte allerdings, Musharraf solle weiterhin unterstützt werden. Pakistan sei ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Terror, sagte der Sprecher von US-Verteidigungsminister Robert Gates, Geoff Morrell.
Die EU hat Pakistans Regierung aufgerufen, an demokratischen Grundsätzen festzuhalten. EU-Chefdiplomat Javier Solana forderte Präsident Pervez Musharraf am Sonntag auf, den für Anfang kommenden Jahres geplanten Termin für die Parlamentswahl nicht aufzugeben.
Die EU verstehe die Schwierigkeiten, denen sich die Regierung in Islamabad derzeit gegenübersehe, sagte Solana in Brüssel. Eine Abkehr vom "allgemeinen demokratischen Prozess" könne aber keine Lösung sein. Musharraf solle die Grenzen der Verfassung respektieren, erklärte der EU-Außenbeauftragte.
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