: Pakistan will „Afghanen“ loswerden
Arabische Staaten sehen Freiwillige aus dem Krieg gegen die „ungläubigen Sowjets“ als innenpolitische Bedrohung / Ägypten verlangt Auslieferung / Abschiebungen in den Sudan ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Ihre Namen stehen neuerdings auf arabischen Fahndungslisten. Die Rede ist von den „Afghanen“, Freiwilligen aus arabischen Staaten, die in den achtziger Jahren in den Krieg gegen die „ungläubigen Sowjets“ in Afghanistan zogen. Die Helden von gestern sind heute zu einer Gefahr für die Regimes in Kairo, Algier oder Tunis geworden. Denn mit dem Ende des Krieges in Afghanistan richten sie nun ihr Augenmerk auf den militanten Kampf gegen die „unislamischen Regimes“ in ihren Herkunftsländern. Von den arabischen Polizeiapparaten sind sie als besonders gut ausgebildete und erfahrene Kämpfer gefürchtet. Bekannt geworden sind sie vor allem durch spektakuläre bewaffnete Aktionen in Algerien und Ägypten.
Seit einigen Wochen hoffen manche arabische Regierungen nun darauf, die militanten Kämpfer auf einem Silbertablett serviert zu bekommen. Als sich der ägyptische Präsident Mubarak Anfang April mit dem ehemaligen pakistanischen Ministerpräsidenten Nawar Scharif in Bonn traf, vereinbarten beide eine engere Zusammenarbeit in Sachen internationale Terrorbekämpfung. Die Regierung in Islamabad ließ mit konkreten Ergebnissen nicht lange auf sich warten. Fast zweihundert in der afghanisch-pakistanischen Grenzstadt Peschawar lebende Ägypter, Libyer, Tunesier, Algerier, Jordanier, Palästinenser und Iraker wurden kurzerhand verhaftet. Damit begann das diplomatische Tauziehen um die heißbegehrten Arretierten.
Besonders die ägyptische Regierung drängt auf eine schnelle Auslieferung, obwohl es kein offizielles Auslieferungsabkommen zwischen beiden Ländern gibt. Die Maghrebstaaten haben ebenfalls Interesse angemeldet. Ein pakistanisch-ägyptisches Komitee wurde gegründet, die Akten mit Namen und Fotos der Festgenommenen nach Kairo übermittelt. Neun von ihnen wurden bereits im Dezember letzten Jahres in einem Islamisten-Prozeß vor dem obersten Militärgericht in Alexandria in Abwesenheit verurteilt: sieben zum Tode, die beiden anderen zu jeweils 15 Jahren Haft. Die Verhandlungen über eine Auslieferung dauern an. Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen traf am Dienstag letzter Woche eine Gruppe von fünf ägyptischen Untersuchungsbeamten in Peschawar ein. Es wird erwartet, daß der ägyptische Außenminister Amru Musa mit seinem pakistanischen Kollegen für Inneres am Rand der soeben begonnenen Islamischen Außenministerkonferenz im pakistanischen Karatschi weitere Details besprechen wird.
Die Regierung in Islamabad steht unter Druck, weil einige arabische Regimes eine schnelle Auslieferung fordern. Auch Washington hat Pakistan im Visier. Das Land läuft Gefahr, auf die schwarze US-Liste gesetzt zu werden, als ein Staat, der den Terrorismus unterstützt. Wirtschaftliche Sanktionen wären die Folge, und das in einer Zeit, in der Pakistan aufgrund seines Beharrens auf einem eigenen Atomprogramm bereits 600 Millionen Dollar jährliche US-Hilfe gestrichen wurden. Auch pakistanische Waffenlieferungen an die bosnischen Muslime – eine Verletzung des gegen alle jugoslawischen Bürgerkriegsparteien verhängten Waffenembargos – stießen im Westen auf Mißfallen.
Auf der anderen Seite verlangen die islamistischen Parteien in Pakistan, die „afghanischen“ Araber unverzüglich ihres Weges ziehen zu lassen. Auch die afghanische Nachbarregierung fordert ihre Freilassung. In Peschawar selbst fanden zahlreiche Solidaritätskundgebungen für die von der Ausweisung Bedrohten statt. Pakistanische Anwälte richteten ein Protestschreiben an die Regierung, in dem sie die Ausweisung als verfassungswidrig brandmarken. „Jeder Muslim hat das Recht, in Pakistan zu leben“, heißt es in der dortigen Verfassung.
Die in Peschawar agierenden islamischen Hilfsorganisationen für afghanische Flüchtlinge forderten den sofortigen Stopp der Festnahmen. Die Araber genießen die Sympathie der dortigen Einwohner Peschawars und der umliegenden Stämme. Arabisch-islamische Hilfsorganisationen haben für die Flüchtlinge Krankenhäuser, Schulen und Moscheen gegründet, die auch den Einwohnern von Peschawar zur Verfügung stehen. Nach Angaben des Koordinationsbüros von 15 islamischen Hilfsorganisationen sollen diese bisher 215 Millionen Dollar in Peschawar ausgegeben haben.
Daß die festgenommenen „afghanischen“ Araber ausgewiesen werden, scheint inzwischen festzustehen. „Freies Geleit an den Ort ihrer Wahl oder Auslieferung an die Heimatländer?“ bleibt die entscheidende Frage. Für 109 der 180 Festgenommenen wurde diese Frage im Sinne der erstgenannten Alternative beantwortet. Nachdem ihnen versichert wurde, daß sie ohne Zwischenlandungen in den Sudan fliegen können, wurden sie ohne großes Aufsehen auf die Reise geschickt.
Pakistan fordert „kollektiven Sicherheitsmechanismus“
Karatschi (dpa) – Der amtierende pakistanische Ministerpräsident Balkh Sher Mazari hat gestern vor den Vertretern von 51 islamischen Staaten in Karatschi einen „kollektiven Sicherheitsmechanismus“ für die islamische Welt gefordert. In seiner Rede zur Eröffnung einer fünftägigen Außenminister-Konferenz der Islamischen Konferenz- Organisation (ICO) rief Mazari die islamischen Staaten auf, den „Virus gegenseitiger Verdächtigungen“ auszutilgen und sich gemeinsam „den neuen globalen Realitäten“ zu stellen.
An der Konferenz in Karatschi nehmen Vertreter der 51 Mitgliedsstaaten der ICO teil, unter ihnen die Außenminister Irans, Saudi-Arabiens, Ägyptens, Syriens und des Iraks. Die Tagesordnung umfaßt 80 Themen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur der moslemischen Welt. Schwerpunkte der Eröffnungsrede waren neben den Konflikten in Palästina, Kaschmir, Bosnien und Aserbaidschan Fragen der Sicherheit. Unter anderem forderte die Schaffung atomwaffenfreier Zonen im Nahen und Mittleren Osten,in Afrika und Südasien. Mazari verurteilte die armenische Offensive gegen Aserbaidschan und Berg-Karabach und bestand auf deren „Einheit und territorialer Integrität“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen