Pädos stellen „Ilga“ vor Zerreißprobe

■ Schwule und Lesben im Clinch um geplanten Ausschluß von „Nambla“

Berlin (taz) – Der Bundesverband Homosexualität (BVH) hat seinen Austritt aus der „Ilga“ (International Lesbian and Gay Association) für den Fall beschlossen, daß die „Nambla“ (North American Man/Boy Love Association) und andere Pädo-Organisationen ausgeschlossen werden sollten. Er stellt sich damit gegen den „Lesbenring“, der just den gegenteiligen Beschluß gefaßt hat und sogar generell die Zusammenarbeit mit Schwulen in Frage stellt. Hintergrund des deutschen Konflikts ist ironischerweise der internationale Erfolg.

Erst 1993 hatte die Ilga den Beraterstatus dritter Ordnung bei der UN-Unterorganisation für Wirtschaft und Soziales (Ecosoc) erhalten, und prompt machte der rechtsgerichtete „Lambda-Report“ bekannt, daß auch die 1978 gegründete amerikanische Pädo-Organisation Nambla Mitglied in der Ilga ist. Daraufhin forderte die US-Regierung, die Ilga müsse sich von derartigen Gruppen trennen, sonst werde der Beraterstatus angefochten. Der als Schwulenhasser bekannte US-Senator Jesse Helms brachte rasch den gesamten Senat mit seiner Forderung hinter sich, die USA sollten die UN-Zuwendungen kürzen, solange die UN Verbindungen zu Organisationen unterhalten, die „Pädophilie fördern“.

Die Funktionäre der Ilga waren von Anfang an bereit, dem Druck nachzugeben, und forderten bereits im November 1993 Nambla und die niederländische Gruppe „Martijn“ auf, von sich aus auf die Mitgliedschaft in der Ilga zu verzichten.

Diese haben das aber nicht getan, sondern ihre Mitgliedschaft bekräftigt und sich gleichzeitig zu den Ilga-Resolutionen zum Schutz der Kinder bekannt oder gar den Ilga-Funktionären Kompetenzanmaßung vorgeworfen. So muß nun die Weltkonferenz der Ilga, die aus Anlaß des Chistopher-Street-Day- Jubiläums in New York stattfindet, Ende Juni über den Ausschluß dieser Gruppen entscheiden. Kritiker befürchten, daß nach einem Ausschluß weitere Gruppen ins Visier geraten könnten.

Die Ilga auch in Deutschland steht also vor einem kaum lösbaren Konflikt: Es geht um realpolitische Kompromisse einerseits und Solidarität andererseits, und die Brisanz liegt dabei in der Verknüpfung mit der sogenannten Pädofrage, daß heißt der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und „Kindern“ unterhalb der jeweiligen „Schutzaltersgrenzen“.

Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, die Ilga wird nicht mehr sein, was sie war. Die Meinungen sind so gespalten, daß mancherorts schon Vorentscheidungen gefallen sind: In New York wird Nambla, immerhin eine der ältesten und aktivsten Ilga-Gruppen, die Teilnahme an der Jubiläumsparade verwehrt.

Eine ad hoc gegründete Gruppe „SOS – Spirit of Stonewall“, die Nambla unter ihre Fittiche nehmen will, beschwört den „Geist von Stonewall“, und der Alt-Aktivist David Thorstadt sieht in der Anpassung an „politische Mittelstandsnormen“ gar eine neue Form schwulen Selbsthasses. Der Kampf um Bürgerrechte und der Kampf für sexuelle Freiheit, betont er, müssen parallel geführt werden.

In der Ilga stehen den Protesten gegen die pädofeindliche Handlungsweise der Führung Unterstellungen und Pseudoargumente gegenüber. Die einen machen die Einstellung zu bestehenden Schutzaltersgrenzen zum Lackmustest lesbisch-schwuler political correctness (und das in einer Zeit, in der weiterhin in den USA unterschiedliche Schutzaltersgrenzen bestehen und in England die Diskriminierung nur ein wenig gelockert, aber nur für die nächsten Jahrzehnte festgeschrieben wurde); die „National Gay and Lesbian Task Force“ (NGLTF) verabschiedete eine Resolution, die im ersten Satz den (nicht nur sexuellen) Mißbrauch von Minderjährigen verurteilt und im zweiten Satz die Ziele von Nambla „und anderen solchen Organisationen“ damit gleichsetzt.

Einen logischen Kurzschluß anderer Art vollzieht die Ilga- Gruppe in Berlin, die „unvereinbare Meinungsverschiedenheiten“ zwischen Mehrheit und Minderheit im Verband feststellt und zu dem Schluß kommt, daß „eine einflußreichere Ilga“ (also ohne Pädos) „eventuell mehr zum Verständnis der vielseitigen und komplizierten menschlichen Sexualität beitragen“ kann. Wolfram Setz