piwik no script img

PRESS-SCHLAGEcht irrer Spaß

■ Heute ist "Challenge-Day": Fünf deutsche Städteturnen vor, um die Volkskörper in Schwung zu bringen

Heute wird mächtig in die Hände gespuckt. Es wird getanzt und geschwommen, gehüpft und geturnt. Echt wahr? Wäre etwa jene schwäbische Dame repräsentativ, die da leicht irritiert fragte „Kallenkedai, was isch au dees?“, man müßte schwarz sehen für die ganze Sache. Aber es ist zu erwarten, daß in Stuttgart, Frankfurt, Warendorf, Leipzig und Singen die Menschen sich weitgehend auf das Englische verstehen und den „Challenge- Day“ des Deutschen Sportbundes (DSB) als echte Herausforderung betrachten, als die deutsche Interpretation von Volksbewegung.

Es handelt sich um ein sogenanntes Großereignis. Anders läßt sich heute kein Hund mehr motivieren, das wissen nicht nur die von Pink Floyd (und Parolen wie „Trimm- Trab“ rsp. „Turn mal wieder“ zwingen niemanden in die Turnschuhe, indes: „Challenge-Day“ — WHOW!). Deshalb zählt heute auch nicht Qualität, sondern Quantität. Also: Wer am meisten Volk auf die Beine bringt, fünfzehn Minuten lang und egal wie, hat gewonnen, und darf sich künftig „Hauptstadt des Sports“ nennen.

Dabei sind die Chancen nicht gerade gleich verteilt (der DSB wird zur Buße seine „Fair geht vor“- Kampagne wiederbeleben), genauer: Die in Leipzig sind faktisch in den Arsch gekniffen bei dieser gesamtdeutschen Hampelei. Weil die Teilnehmer telefonisch ihre Teilnahme melden müssen, bloß: Wer in Leipzig hat schon ein Telefon?

Nun wäre es ein bißchen viel verlangt vom DSB, an alles zu denken. Schließlich hat allein die geistige Geburt des „Challenge-Day“ eine ganze Menge kreativer Energie gefressen. Und außerdem: Haben die in Leipzig nicht die Möglichkeit, fehlende Telekommunikation durch massenhaftes Erscheinen auf Straßen und Plätzen auszugleichen? Grad' so wie damals, jeden Montag? Keine Häme, bitte! Die Grundidee ist doch durch und durch prima: Einen Tag lang werden in fünf deutschen Städten alle zu Bewegung und Spiel angehalten; wir anderen sehen das mit viel Neid und wollen auch mitmachen; daraufhin wird der 12. September („Challenge-Day“) zum Feiertag erklärt, weil's dem Volkskörper dient; jedes Jahr treffen wir uns alle am 12. 9. auf den Wiesen und Auen und haben irre viel Spaß miteinander.

Halt, so auch wieder nicht! Die Produktion darf darunter nicht leiden. Bitte vergessen Sie nicht das Bruttosozialprodukt! Räder und Fließbänder stehen heut' keine still. Eher ist an Regelungen gedacht wie die in Stuttgart: Eine Brandschutzübung muß sowieso irgendwann gemacht werden, warum also nicht heute die Angestellten aus dem Rathaus bitten und dabei noch zu ein paar gymnastischen Übungen anhalten?

Damit besteht die Gefahr, daß dieser „Höhepunkt des Sport“ (DSB-Präsident Hans Hansen) von jener Stadt gewonnen wird, die den größten Bürokratenhaufen unterhält, und das kann der Sinn ja nicht sein. Wir danken daher zusammen mit Hans Hansen den beiden Sponsoren für ihre Hilfe, den heutigen „Challenge-Day“ in einem überwältigenden Erfolg enden zu lassen.

Der beteiligte Schokoladenhersteller etwa, der mit unserem Karies überhaupt nichts zu tun hat, wird dabei einem Bürger zu höchstem Glück verhelfen: Der erste Preis einer Verlosung an diesem Tag der Volksgesundheit ist ein Automobil; ein Coupé, also dem Anlaß gemäß ein sportliches Modell.

Frankfurt will da mit sinnvollen Aktionen nicht zurückstehen. Auf dem Flughafen wird erstmals von Menschenhand ein Jumbo-Jet über die Rollbahn gezogen — ein Zeichen, wie mit einfachen Mitteln Kerosin gespart werden kann. Das erinnert etwas an den 26. Januar 1986. Damals hatte die Nation der US- Amerikaner ihren „Challenger- Day“: Wie eine Wunderkerze verglühte die Raumfähre, und das sonst so lebensfrohe Volk war arg geknickt. Und das Magazin 'Rolling Stone‘ hat darauf in einer Umfrage ermittelt, dies sei ein „traumatischeres zeitgeschichtliches Ereignis als die Morde an John F. Kennedy und Martin Luther King“.

Ganz so schwer müssen wir den heutigen Tag ja nicht gleich nehmen. Herr Thömmes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen