PRESS-SCHLAG: Wird Sammer singen?
■ Der Gesangsdienst-Verweigerer Matthias Sammer bringt Probleme für den deutschen Fußball
Stuttgart im Dezember 1990, Fußball-Länderspiel gegen die Schweiz. Säuberlich aufgereiht, ein wenig noch vom Glanz ihres weltmeisterlichen Heiligenscheins benebelt, stehen Deutschlands begabteste Kicker auf dem Rasen des Neckarstadions und trällern wie gewohnt die Nationalhymne.
Matthäus, Kapitän in jeder Beziehung, mit sendungsbewußter Inbrunst; Buchwald, die personifizierte Schamhaftigkeit, als fürchte er, daß ihm sein Vereinspräsident Meyer-Vorfelder für jeden falschen Ton eine Mark vom Gehalt abzieht; Völler, mit jener grimmigen Verbissenheit, die er sonst nur bei Angriffen auf gegnerische Torhüter an den Tag legt; Häßler, der nicht anders aussehe, als singe er „Als Bolle jüngst zu Pfingsten“; Klinsmann, so sichtlich peinlich berührt, daß man ihm am liebsten auf der Stelle einen Grappa ausgeben würde.
Das altvertraute Bild eigentlich — und doch, irgend etwas ist falsch: Mittendrin steht nämlich Matthias Sammer und verweigert sich dreist dem verordneten Singzwang des Deutschen Fußballbundes. Die Lippen fest zusammengepreßt, blickt er finster zu Boden und schweigt beharrlich. Und dies ausgerechnet in seinem, nach eigenen Aussagen, „ersten Länderspiel“. Als erster Fußballer aus der ehemaligen DDR darf Sammer, der etliche Male für die DDR-Auswahl gespielt hat und auch deren letztes Tor erzielte, das Zickzack-Trikot mit dem Bundesadler überstreifen. Und bekommt das Maul nicht auf.
Logisch, daß das nicht gutgehen konnte. Nichts war es für Matthias Sammer mit dem ersten BRD- Tor „made in FNL“. Das durfte Andreas Thom schießen. Der hatte zwar auch nicht gesungen, konnte aber immerhin geltend machen, daß er ja erst in der zweiten Halbzeit eingewechselt worden sei und es vielleicht ein wenig merkwürdig gewirkt hätte, wenn er nach Betreten des Platzes unversehens ein Lied angestimmt hätte.
Bleibt das Problem Sammer. Beckenbauer hätte es vermutlich im Handumdrehen gelöst und dem Gesangsdienst-Verweigerer schnell die Hymnentöne beigebracht. Aber der Teamchef ist ja jetzt Schuhverkäufer, und wir haben wieder einen Bundestrainer, der bekanntlich feinfühliger zur Sache geht. So rankten sich vor dem Länderspiel gegen die Sowjetunion jede Menge Gerüchte und Mutmaßungen um die eine brisante Frage: Wird Sammer singen? Wird er dem einstigen Brudervolk aus stolzer Brust die Hymne des alten Klassenfeindes und Kriegsgegners um die Ohren schmettern? Oder wieder düster und maulfaul auf seine Füße starren?
In zahllosen Einzelgesprächen soll Berti Vogts versucht haben, dem verstockten Mittelfeldspieler die Zusammengehörigkeit musikalischen und fußballerischen Tuns, die Einheit von Stimmband und Außenrist, die Symbiose von Zungenschlag und Doppelpaß nahezubringen. Bislang ohne hörbaren Erfolg. Nicht auszudenken, welchen Schaden das Renommee des deutschen Fußballs nehmen würde, sollte Sammer erneut in dumpfes Brüten verfallen oder am Ende gar in einem Anfall trotziger Nostalgie die gute alte Becher-Hymne zum besten geben: „Auferstanden aus Ruinen...“. Die Sowjets würden sich kaputtlachen. Eine solche Schmach muß verhindert werden. Im deutschen Lager wird daher emsig nach Alternativen gesucht.
Die Variante, irgendeine stimmgewaltige Frohnatur, Littbarski etwa, aufzustellen und dann nach zwei Minuten auszuwechseln, wurde aus Prestigegründen (Vogts: „Wir sind Weltmeister und kein Kasperletheater“) verworfen. Ebenso die Idee, Herbert Grönemeyer als Double zu verpflichten. Da wäre die Gefahr zu groß, daß der den Platz nicht mehr verläßt.
So sieht alles danach aus, als würde sich der Vorschlag durchsetzen, einfach einen der anderen FNL-Spieler als zweite Besetzung zu nominieren. Um gegen jedes Mißgeschick gefeit zu sein, hat Vogts, wie wir aus nicht ganz dichten Quellen erfuhren, Gotthilf Fischer als Gesangstrainer engagiert, der in einem strengen Intensivkurs in den geheimen Unterdruckkammern von Kienbaum die Spieler Kirsten, Thom und Doll auf den hymnischen Ernstfall vorbereitet. Schon nach den ersten Sitzungen äußerte sich Fischer zufrieden über seine Zöglinge und durchaus optimistisch im Hinblick auf das Spiel gegen die Sowjetunion: „Es kann nichts schiefgehen, die erste Strophe beherrschen sie schon.“ Matti
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