POLEN: POPULISTEN ERZWINGEN DIE ANNÄHERUNG DER REFORMKRÄFTE: Zeit für die Schattenspringer
Polens Sozialdemokratie kann nur einen halben Sieg melden: Die SLD hat zwar die Parlamentswahl gewonnen, aber die absolute Mehrheit verfehlt. Ein „natürlicher“ Mehrheitsbeschaffer fehlt ihr: Die Opposition besteht bis auf die liberal-konservative „Staatsbürger-Plattform“ ausschließlich aus rechtsradikalen und nationalistischen Parteien, die dem Beitritt Polens zur Europäischen Union entweder skeptisch gegenüberstehen oder ihn ganz ablehnen. Diese bislang vom bürgerlichen wie vom sozialdemokratischen Establishment als „politische Folklore“ missachteten Gruppierungen sind sich ihrer Macht gegenüber einer möglichen linken Minderheitsregierung bewusst. Leszek Miller als künftiger Regierungschef steht nun vor der Wahl, entweder eine Koalition mit einer der „Folklore“-Parteien eingehen zu müssen oder auf die Vernunft der „Plattform“-Politiker zu hoffen, die eine Minderheitsregierung tolerieren würde.
Ganz pragmatisch könnten zwar die Sozialdemokraten wie auch die „Plattform“-Liberalen wechselseitig die Wirtschaftprogramme der anderen Seite mittragen, doch in ihren ethischen Grundhaltungen stehen sie sich fast unversöhnlich entgegen: Auf der einen Seite die betont weltliche und westliche Haltung der SLD, auf der anderen die konservativ-bewahrende der Plattform. Die Koalition mit einer der Folklore-Parteien würde hingegen in einem Desaster für die Regierung enden und die SLD nach spätestens vier Jahren in hohem Bogen aus der Regierungsverantwortung katapultieren. Zwar käme eine Koalition mit der Bauernpartei PSL in Frage, noch die politikfähigste Strömung des „folkloristischen“ Lagers. Immerhin haben die beiden Parteien schon einmal von 1993 bis 1997 zusammen regiert. Doch der Preis wäre hoch, die Unzuverlässigkeit enorm. Denn anders als vor acht Jahren ist die PSL nicht mehr die einzige Bauernpartei im Sejm. Stärker noch als sie ist die „Selbstverteidigung“ des radikalen Bauernführers Andrzej Lepper. Sie würde der PSL bei jedem EU-freundlichen Gesetz Verrat vorwerfen. Und der PSL bliebe dann nur noch die Wahl zwischen politischem Selbstmord und der Rolle des EU-Bremsklotzes.
Jetzt müssen SLD und „Plattform“ entscheiden, ob sie über ihren Schatten springen, sich vorsichtig einander annähern und alte Feindschaften eindämmen können. Politiker beider Parteien hatten bereits Gelegenheit, in Regierungsverantwortung Reformpolitik zu betreiben, und viele von ihnen sind an ihren früheren Koalitionspartnern aus dem populistischen Lager gescheitert. Polen ist längst ein modernes Land – Zeit, dass auch die beiden seriösen Parteien dies durch eine moderne Parteipolitik anerkennen. GABRIELE LESSER
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