PKK-Chef Öcalan hat aus der Haft viel für den Frieden getan: Hoffnungsträger mit Sonnenbrille
Vor wenigen Tagen ging eine Geschichte durch die türkische Presse, die ein Schlaglicht wirft auf die Beziehungen zur kurdischen Minderheit. PKK-Chef Abdullah Öcalan, der prominenteste Gefangene des Landes, soll nach seiner Ray-Ban-Sonnenbrille verlangt haben, die man ihm bei seiner Festnahme vor einem Jahr abgenommen hat. Die Bild-Zeitung ließ sich die Story nicht entgehen und stellte höhnisch fest, wie sich die Ziele doch ändern können.
Auch wenn die Geschichte mit der Sonnenbrille den Beobachter in Deutschland auf eine falsche Fährte lockt, es hat tatsächlich dramatische Veränderungen gegeben in diesem letzten Jahr. Die bei weitem wichtigste davon ist: Nach 15 Jahren erbittertem Krieg, unter dem vor allem die zivile Bevölkerung in den Bergen und auf den kahlen Hochebenen der südöstlichen Türkei gelitten hat, schweigen nun die Waffen. Die Atmosphäre ist grundlegend verändert: Wo vor einem Jahr noch die nackte Angst herrschte, keimt langsam Hoffnung. Es gibt ein Leben nach dem Krieg.
Bewirkt hat diese Veränderung vor allem der Mann mit der Sonnenbrille. Seit Öcalan in der Türkei vor Gericht gestellt wurde, hat er konsequent versucht, aus der militärischen Niederlage seiner Organisation politisch das Maximale herauszuholen. Öcalan, nicht der türkische Staat, wurde zum Friedensbringer. Der Gefangene auf der Insel brachte die PKK mit bemerkenswertem Erfolg auf Friedenskurs und ist jetzt dabei, die ganze Organisation radikal umzukrempeln. Sein Ziel: von Europa, aber letztlich auch von der türkischen Regierung als politischer Ansprechpartner akzeptiert zu werden.
Die politische Entwicklung auf der anderen, der Regierungsseite ist wesentlich langsamer, schon weil sich unterschiedliche Kräfte gegenseitig blockieren. Es gab im Anschluss an den Februar 1999 viele gewichtige Stimmen in der türkischen Politik, die laut und deutlich gesagt haben, die Festnahme Öcalans sei die „goldene Gelegenheit“, die „kurdische Frage“ endlich politisch zu lösen. Es wird Zeit, die kurdische Minderheit endlich als kulturelle Gruppe anzuerkennen, Kurdisch als Amts- und Schulsprache zu akzeptieren und kurdische Fernsehsender zuzulassen. Davon ist bislang nichts passiert. Formal hat es überhaupt keine Änderung in der Kurdenpolitik gegeben, de facto wurde jedoch der Druck auf die kurdischen Organisationen und auf die Äußerungen kurdischer Kultur erheblich gemildert. Die prokurdische Hadep, bis vor einem halben Jahr als „fünfte Kolonne“ der PKK verfolgt, wird langsam, aber sicher als legaler politischer Arm der kurdischen Minderheit akzeptiert. Die Hadep stellt in allen großen Städten im kurdisch besiedelten Südosten die Bürgermeister und wird über diesen Weg in die praktischen Veränderungen mit einbezogen. Die Regierung Ecevit setzt vor allem auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen in der Region, hat aber bislang auch die geplanten Entwicklungsprogramme noch nicht auf den Weg bringen können.
Die Voraussetzung, damit Industrielle im Südosten investieren, ist die Aufhebung des Ausnahmezustandes und damit einhergehend eine glaubhafte Friedensperspektive für die Region. Bislang aber ist die Entspannung noch nicht politisch abgesichert. Der Weg zum Frieden ist nicht unumkehrbar, sondern denkbar labil. Das liegt vor allem daran, dass die Reformerfraktion in Ankara nicht stark genug ist, um Entscheidungen anzugehen, die den bisherigen Grundkonsens der politischen Elite der Republik in Frage stellen würde. Der Vorteil einer großen Koalitionsregierung, wie sie derzeit in Ankara an der Macht ist, ist gleichzeitig ihr Nachteil. Zwar wird die Opposition auf dem Weg der Veränderung mit eingebunden, gleichzeitig geht diese Veränderung deshalb unendlich langsam voran.
Doch es gibt zwei Gründe, die dafür sprechen, dass es letztlich doch zu einer Befriedung kommt: Die gesamte Bevölkerung der Türkei ist absolut kriegsmüde und will unbedingt eine Fortsetzung des jetzt begonnenen Friedensprozesses, und zum anderen wissen alle politisch Verantwortlichen in Ankara, dass der Weg nach Europa über Diyarbakir führt: ohne eine Lösung der kurdischen Frage keine Beitrittsverhandlungen mit der EU. Übrigens hat Öcalan seine Sonnenbrille bekommen. Jürgen Gottschlich
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