PHILOSOPHIE Hubert Dreyfus und Charles Taylor argumentieren für die Wirklichkeit – und gegen René Descartes: Das Knie denkt mit
Descartes ist schuld. Ohne sein „Cogito ergo sum“, die Formel „Ich denke, also bin ich“, hätten wir es in der Welt vermutlich leichter. Zumindest was das Verhältnis zur Wirklichkeit betrifft. Denn der französische Philosoph René Descartes etablierte mit seiner dualistischen Theorie der Trennung von Geist und Körper im 17. Jahrhundert ein Bild, dem die Philosophie bis heute anhängt.
So die Analyse der US-amerikanischen Kollegen Hubert Dreyfus und Charles Taylor in ihrem Buch „Die Wiedergewinnung des Realismus“, mit dem sie die von Descartes begründete „Innen-außen-Struktur“ widerlegen wollen. Descartes schuf mittels seines methodischen Zweifels eine auf Skepsis fußende Form der Erkenntnistheorie. In seinen „Meditationen“ weist ein Ich die Gewissheit sämtlicher Wahrnehmungen der Außenwelt zunächst zurück, um anschließend die Inhalte seines Denkens als Fundament der Erkenntnis einzuführen, beginnend mit Ideen, die nicht weiter infrage gestellt werden können, allen voran besagtes Cogito.
Völlig falsch, sagen Dreyfus und Taylor, aber seither sei diese Zweiteilung von Geist und Körper in der Welt und damit die Idee einer „vermittlungsgebundenen“ Erkenntnis. Denn der Geist ist bei Descartes die einzige Instanz, die die Eindrücke der Außenwelt als „Input“ prüfen und in Erkenntnisse umwandeln kann. Der Körper hingegen spielt in diesem Modell keine Rolle für das Zustandekommen von Wissen, Mentales und Physisches sind hier streng getrennt.
Dieses Bild habe sich in der Philosophie festgesetzt. So sehr, dass selbst Philosophen, die es kritisierten, noch in seinem Bann stünden. Der „linguistic turn“ etwa, der eine Abwendung vom Geist als Paradigma bei gleichzeitiger Hinwendung zur Sprache markierte, stehe in der Tradition des Vermittlungsgedankens. Nur dass die Sprache die Stelle des Geistes eingenommen habe.
Umhergehen und Verstehen
Dreyfus und Taylor plädieren stattdessen für eine „Kontakttheorie“, deren Ansätze sich schon in der antiken Philosophie bei Platon und Aristoteles finden. Wahrheit ist demnach nichts, dem man sich auf vermittelten Schleichwegen nähert, sondern etwas, „das sich selbst beglaubigt“. Das erst einmal als unproblematisch hingenommen wird wie die Wirklichkeit, in der man lebt.
Unter Rückgriff auf das phänomenologische Denken von Martin Heidegger und Maurice Merleau-Ponty argumentieren Dreyfus und Taylor für ein „Verstehen der Welt“ als etwas Gemeinsames, das erst in zweiter Linie an jeden Einzelnen weitergegeben werde. Vor allem betonen sie die Rolle des Körpers beim Erfassen der Wirklichkeit. So habe Heidegger das „Umhergehen“ als eine Form des Verstehens der Welt begriffen. Ganz ähnlich führte Merleau-Ponty den eigenen „Leib“ als Größe ein, die, wenn man ihn bewegt, auf bestimmte Dinge abzielt, mithin Absichten verfolgt.
Das begriffliche Denken sei in ein „tägliches Zurechtkommen ‚eingebettet‘“ und bilde einen Teil unseres „Hintergrundverständnisses“ der Welt. Diesen Hintergrund müsse man als Kontext hinnehmen, ihn begründen zu wollen, sei aussichtslos. Den Anfang des Verstehens bilde dabei der körperliche Austausch mit der Welt, von da aus löse sich das Denken hin zu allgemeinen oder abstrakten Formen. Die Grenze zwischen Geist und Körper ist daher nicht bloß aufgeweicht, das Verständnis der Welt wird sogar zur „Koproduktion“ von Mensch und Welt.
In der abschließenden Präsentation ihres „pluralistischen Realismus“ werden Dreyfus und Taylor dann etwas unverbindlich. Ihre Erwartung, dass kulturelle Differenzen etwa zugunsten der Achtung der Menschenrechte abnehmen könnten, ist mit Fragezeichen zu versehen. Differenzen, die für gewaltsame Konflikte sorgen, sind nach wie vor real genug. Tim Caspar Boehme
H. Dreyfus, C. Taylor: „Die Wiedergewinnung des Realismus“. A. d. Eng. v. J. Schulte. Suhrkamp, Berlin 2016, 316 S., 29,95 Euro
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