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■ PDS im Osten – Bündnis 90/Die Grünen im WestenDie dritte Kraft im Lande

Durch die Wahlen dieses Jahres haben sich Bündnis 90/Die Grünen in den alten, die PDS in den neuen Bundesländern als dritte politische Kraft etabliert.

Der Wahlerfolg der PDS im Osten und von B'90/Die Grünen im Westen der Republik zeigt, so meine Hypothese, daß den WählerInnen zu einem guten Teil diese Parteien als Projektionsflächen für bestimmte politische Erwartungen dienten. Die großen Parteien standen gleichermaßen nur für politische Gegenwart, nicht für eine politisch veränderte Zukunft. Die WählerInnen wollten aber die parlamentarische Präsenz politischer Alternativen, von gesellschaftlichem Wandel. Sie wollten nicht nur Regierung, sondern auch Opposition. Bündnis 90/Die Grünen wie PDS boten sich als Adressat dieser politischen Erwartung an. Die WählerInnen haben per Wahl versucht, die Parteienlandschaft wieder ins Lot zu bringen. Ich vermute, beide, B'90/Die Grünen wie PDS, waren darauf nicht sehr gut vorbereitet. Die PDS stand seit ihrer Gründung mit dem Rücken zur Wand. Als politischer Akteur war sie dadurch weitgehend strategisch handlungsunfähig. Was ihr blieb, war eine Art politischer Notwehr. Sie konnte schlechterdings nicht anders, als mit dem Bereich politischer Realität umzugehen, der ihr unbenommen war: den Grundrechten wie Arbeit und Wohnen, Leben, Asyl oder Umweltschutz als den von der PDS nicht in Frage gestellten Voraussetzungen von Politik und den Ergebnissen einer von der PDS zwangsweise nicht mitzuverantwortenden Politik des Anschlusses. Ihr Gestus war lange der des Einklagens von Grundrechten einerseits, des Skandalisierens herrschender Zustände andererseits. Grundrechtsfundamentalismus gezwungenermaßen und Protest. Hinzu kam ein Beharren auf der Möglichkeit besserer Zustände, auf einen neuen Gesellschaftsvertrag.

Diese Situation ist nun vorbei. Die PDS hat sich politisch, vor allem kommunal- und landespolitisch, freigemacht vom Status der politischen Unpartei. Es wäre aber ganz falsch, anzunehmen, daß sie sich allein durch gute politische Alltagsarbeit selbst in die Position eines vollwertigen parteipolitischen Akteurs brachte. Vielmehr haben ihr nicht zuletzt die WählerInnen zu diesem Status verholfen. Wie die FDP oder auch Bündnis 90/Die Grünen im Osten Deutschlands konnte die PDS feststellen, daß Parteien ihre Rolle im politischen System gegeben oder genommen werden können. Die Parteien sind durch ihr Handeln an diesem Vorgang sicher beteiligt. Mehr aber nicht.

Zunächst einmal hat dieser Wandel für die PDS zur Folge, daß einiges von der Gemütlichkeit dahin ist, die negativen Gemeinschaften, die durch bloße Ausgrenzung gebildet wurden, zu eigen ist. Es ist des Kuschelns zwar noch kein Ende, des Einklagens von Grundwerten und Menschenrechten nicht und nicht des Skandalisierens übler Zustände noch des Verheißens besserer. Aber was Notwehr war, kann nun absichtsvolle Haltung und politische Option unter anderen sein. Nun müssen Opposition und Regieren gelernt werden. Beidem ist gegenüber dem bisherigen politischen Outsiderdasein der PDS ein Problem eigen: das der Macht. Der PDS war bisher ein gewisser Einfluß auf das politische Leben in Bund, Ländern und Kommunen nicht abzusprechen. Machtpolitisch war die PDS in den letzten vier Jahren abstinent. Nun aber ist sie doppelt mit dem Problem des Umgangs mit Macht konfrontiert. Einmal will ein erheblicher Teil der WählerInnen die PDS in der Opposition gegen die „heimliche große Koalition“ (J. Fischer) sehen. Die Erwartungen, die damit verbunden sind, stellen für die PDS eine enorme Herausforderung dar. Nun müssen die klassischen Politikfelder bearbeitet werden. Das erfordert landes- und bundespolitisch neue Kompetenzen. Dem sind wir bislang weder personell noch von unserer Organisationsstruktur her gewachsen. Das wird sich in kürzester Zeit ändern.

Hinsichtlich der Regierungsrolle der PDS sind die Einstellungen der Menschen im Osten Deutschlands ambivalent. Obwohl viele den PolitikerInnen der PDS als Personen ein Amt zutrauen und zubilligen würden, besteht doch weiter- und weithin ein Bedenken hinsichtlich einer Ausstattung der PDS mit administrativer Macht. Es ist eine politische Erfahrung, die sich hier Geltung verschafft. Die entsprechende Skepsis ist verständlich und angebracht. Die Antwort der PDS auf die Erwartungen der WählerInnen kann nur ein anderer Umgang mit Macht sein. Die KandidatInnen der PDS zu den jüngsten Stichwahlen für das Amt des Oberbürgermeisters in verschiedenen Städten Thüringens, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Mecklenburg-Vorpommerns haben einen Schritt dahin getan. Sie haben für den Fall ihrer Wahl zu Runden Tischen eingeladen. Anders als im Falle der Übernahme der Oppositionsrolle, wo es weitgehend um die Anpassung an die den BürgerInnen vertrauten parlamentarischen Regeln geht, muß die Regierungsrolle, soll sie von der PDS kommunal übernommen werden, von ihr selbst neu definiert werden. Daß schon das Angebot Runder Tische der FAZ als Versuch der Einführung von dem Parlamentarismus fremden Mitteln erscheint, zeugt von der innovationsfeindlichen Atmosphäre des politischen Konservativismus in diesem Land.

Eine Konsequenz wäre noch zu ziehen. Haben diejenigen WählerInnen, die bei der Europawahl in Größenordnungen zu Bündnis 90/Die Grünen einerseits, zur PDS andererseits gefunden haben, dies aus demselben Grund, nämlich politische Opposition und Alternativen zu haben, getan, dann konkurrieren bereits heute Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bundesweit um die Rolle der dritten Kraft im Lande. Die Bündnisgrünen haben das schon verstanden, und sie verhalten sich entsprechend. Die PDS wird diese Herausforderung wohl annehmen. Sie wird schon im Bundestagswahlkampf um diese Rolle als dritte Kraft mit Bündnis 90/Die Grünen konkurrieren und es darauf ankommen lassen, auch den über 600.000 WechselwählerInnen, die bei den Europawahlen von der SPD zu den Bündnisgrünen gegangen sind, zu zeigen, daß sie für diese Oppositionsrolle bundesweit eher in Frage kommt als Bündnis 90/Die Grünen. Für die PDS spricht, daß sie programmatisch, personell und politisch-praktisch gewillt ist, diese Rolle anzunehmen. Die Bündnisgrünen wollen nur noch Juniorpartner der großen Parteien sein und regieren. Wer wie Volmer und Ziller behauptet, daß „... aus der Opposition heraus ... erfahrungsgemäß keine Interessendurchsetzung möglich (ist)“, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die WählerInnen, die das anders sehen oder dennoch eine Opposition wollen und nicht nur Regierung, sich anderweitig umtun. Wie im Osten, also auch im Westen. André Brie

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