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Otto Schily über die Revolution von 1848„Schily hat Marx bewundert“

Viktor Schily nahm an der Revolution 1848 teil und tauschte Briefe mit Karl Marx aus. Ein Gespräch mit seinem Urgroßenkel, der nie „Das Kapital“ gelesen hat.

Otto Schily im Jahr 2015 Foto: dpa
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

Otto Schily kommt zu spät, wie früher zu seinen Prozessen. Mit wehender Robe lange nach Prozessbeginn in den Gerichtssaal zu stürmen, das war sein Markenzeichen als Rechtsanwalt in den 70er Jahren. „Eine Viertelstunde zu spät ist noch im akademischen Bereich“, sagt er im Café Einstein Unter den Linden, wo man sich trifft, um zu sehen und gesehen zu werden. Er ist 85 Jahre alt, gut gelaunt. Die Kellner kennen ihn, er ist Stammgast.

taz am wochenende: Herr Schily, wer war Viktor Schily?

Otto Schily: Mein Urgroßonkel. Ein 48er, ein Akteur der Revolution von 1848.

Spielte Viktor in der Tradition Ihrer Familie eine Rolle? Gibt es Erinnerungsstücke, Briefe, Bilder?

Leider nein. Ich hätte immer gern ein Bild oder Scherenschnitt von ihm gehabt. Aber es existiert nichts. Auch in den Erzählungen in unserer Familie war er kaum vorhanden.

Warum nicht?

Der Familienstolz war der Komponist Peter Cornelius, dessen Weihnachtslieder wir gesungen haben. Oder mein Großvater Schmuz-Baudiss, der die Königliche Porzellan-Manufaktur geleitet hatte. Die waren leuchtende Figuren der Geschichtserzählung. Von Viktor war nicht viel die Rede. Er galt ein wenig als schwarzes Schaf. Das kam mir als Kind so vor.

Haben Sie sich später für ihn interessiert?

taz am wochenende

Zum 200. Geburtstag des großen Ökonomen, Denkrevolutionärs und Genussmenschen: Eine Sonderausgabe zu Karl Marx, mit 12 Seiten – in der taz am wochenende vom 5./6.Mai 2018. Außerdem: Vor einem Jahr zog "En Marche" ins französische Parlament ein. Die Partei wollte Bürger stärker an der repräsentativen Demokratie beteiligen. Haben die Partei und Emmanuel Macron ihr Versprechen erfüllt? Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ja, in den sechziger Jahren, als ich Anwalt war und Studenten und 68er verteidigt habe. Viktor war ja auch Rechtsanwalt und Revolutionär gewesen. Da lag das nahe.

Er war ein gescheiterter Revolutionär.

Er hat 1848 in Prüm in der Eifel den Sturm auf das Zeughaus angeführt und das preußische Waffenarsenal leer geräumt. Allerdings hat er, nachdem der Aufstand gescheitert war, die erbeuteten Gewehre eingesammelt und bei den Behörden abgegeben. Er war ein sehr deutscher Revolutionär.

Und ein Brieffreund von Marx.

Ja, er musste wie Marx nach der gescheiterten Revolution 1848 emigrieren. Marx war in London, Viktor Schily in Paris. In den blauen Bänden, den Werken von Marx und Engels, sind die Briefwechsel zwischen ihm und Marx abgedruckt. In den Bänden wird er von den Herausgebern als Radikaldemokrat bezeichnet. Das war er wohl.

War das Verhältnis zwischen Marx und Viktor Schily eines auf Augenhöhe?

Schily hat Marx bewundert, als Autor und Denker. Marx bezeichnet ihn in einem Brief als „treuen Freund“. Er war Delegierter in der von Marx begründeten Internationalen Arbeiter Assoziation. Die Briefe sind lesenswert, auch wenn der dauernde Wechsel von Französisch, Englisch und Deutsch ungewöhnlich ist.

Sie haben 1967 Ihre Tochter Jenny genannt – nach Jenny von Westphalen, der Frau von Marx. War das eine Referenz an den in Ihrer Familie vergessenen Urgroßonkel?

Nein, das war die Zeit. Meine Frau Christine war im SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Ich bin über sie in Kontakt mit der Studentenbewegung gekommen. Wir fanden, dass Jenny eine sympathische Figur war. Dass Marx seine Frau nicht immer gut behandelt hatte, war ein Motiv mehr. Der zweite Name unserer Tochter ist Rosa, nach Rosa Luxemburg, deren Briefe aus dem Gefängnis mir immer imponiert haben. Zu Marx hatte ich damals eher ein romantisches Verhältnis.

Und kein intellektuelles?

Nein, ich habe manches von den Frühschriften gelesen, aber nicht „Das Kapital“. Als Anthroposoph ist mir das rein Materialistische fremd geblieben.

Haben Sie Parallelen zwischen sich und Viktor Schily gesehen?

Im Interview: Otto Schily

85, wurde als Anwalt verschiedener RAF-Mitglieder bekannt und war Mitbegründer der Grünen. 1989 wechselte er zur SPD, von 1998 bis 2005 war er Innenminister unter Gerhard Schröder. Heute ist er wieder als Anwalt tätig.

Nicht direkt.

Er hat Gewehre erbeutet, Sie haben Militante, die Waffen einsetzten, vor Gericht verteidigt.

Die Entwicklung der Roten Armee Fraktion war eine Tragödie. Ulrike Meinhof und Gudrun Enss­lin waren ja brillante Köpfe.

Viktor Schily starb verarmt 1875 in Paris. Marx schrieb kurz zuvor in einem Brief über ihn, dass dieser leider „vergrämt“ und „etwas konservativ“ geworden sei …

Das wusste ich nicht …

Von links nach rechts – erinnert Sie das an jemanden?

Vielleicht ist es eine logische Entwicklung, durch Erfahrung konservativ zu werden.

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9 Kommentare

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  • Bezeichnende Widersprüche

     

    Als "Linker" hat er also nie das Kapital gelesen...

    Das ist bezeichnend!

    Aber die Wichtigkeit von Bildung immer wieder öffentlich betonen...

  • Ach Gottchen - leevs Lottchen!

    Der ewige EinsteinWiedergänger der taz

     

    exIMGraf Otto I. von&zu Schily van Weleda!

    & Däh! ~>

    "Von links nach rechts – erinnert Sie das an jemanden?

     

    Vielleicht ist es eine logische Entwicklung, durch Erfahrung konservativ zu werden."

     

    Laß stecken Otto - Einstein - Marx ? - Mach Bosse.

    Nö. "Der Stein bestimmt das Bewußtsein."

     

    & ~> siehe oben - Otto mit wehender Soutane - öh Robe!;)(

    & sodele ~>

    kurz - "Einmal Nadelstreifenanwalt - Immer Nadelstreifenanwalt."

    &

    Auch klar. Niemals links. Das - ist dero Schmierlapp Logik.

     

    unterm----------------->

    Sich als RA über den Hosenlatzerlaß medienwirksam echauffieren.

    Als GazPromGerds Kettenhund aber nix davon ändern.

    Nö. Im Gegenteil - die ganz scharfe Gangart anschlagen.

    Bekanntlich setzte sein Nachfolger im Amt - ein IM-Mielke auf Rädern -

    Wolfgang Schäuble - dreister Kriegstrafrecht- & Carl Schmitt Apologet -

    Seine Vorschläge gerne mit - dem Ansinnen durch!

    "Oder wollen Sie mal die Entwürfe von Herrn Otto Schily hören!"

    & https://www.berliner-kurier.de/berlin/leute/zdf-interview-feingeist-schily-stoert-sich-an-der-ddr-1178000

    Dieses seiner unzähligen - Interview - Däh! Da isset - Das wahre Sackjeseecht!

    Na Si´cher dat. Bis zu Kenntlichkeit entstellt.

    Da mähtste nix. Normal.

    &

    kurz - " Als Anthroposoph ist mir das rein Materialistische fremd geblieben."

    Jau. Da saarense was - Der feine Herr. Nix verstanden. Aber dreist Rumwabern.

    Schonn "Wat höbt wi lacht?! - Aber Nö. Weil eiskalt beim asozialen

    Vollstrecken der Macht mittenmang dabei dabei & als Scharfmacher über

    Ordo-brutalé abgesichert!

     

    So geht das

  • „Von links nach rechts – erinnert Sie das an jemanden?

    Vielleicht ist es eine logische Entwicklung, durch Erfahrung konservativ zu werden.“

     

    Es geht noch kürzer:

    „Wer mit 18 noch kein Kommunist ist, hat keine Herz

    Wer mit 35 immer noch Kommunist ist, hat kein Hirn!“

    • @Pfanni:

      Dass Erfahrung konservativ macht, hat mit Politik nicht viel zu tun. Mit dem Gehirn schon etwas mehr.

       

      Mit eigenen Händen etwas zu schaffen bzw. aufzubauen, kann ausgesprochen mühsam und kraftraubend sein. Wer das erst mal herausgefunden hat, der wirft nicht mehr so einfach über Bord, was halbwegs funktioniert. Selbst dann nicht, wenn es nicht das eigene Werk ist, das er erhält (konserviert). Jedenfalls dann nicht, wenn er genügend Hirn und etwas Menschenliebe hat. Kommunist kann so ein Mensch womöglich trotzdem sein. Allerdings nur, wenn er nicht gleichzeitig Idealist (im Sinne eines Gläubigen) ist. Zum Beispiel als Marxist, der seinen Leithammel wie einen allwissenden Gott verehrt.

       

      Im Übrigen frage ich mich, ob man tatsächlich Anthroposoph sein kann, wenn man kein Materialist sein will. Vermutlich war Otto Schily ja nie sonderlich links, sondern immer schon genau so konservativ, wie viele der angeblich linken 68-er gewesen sind. Nur halt viel weniger autoritär.

      • @mowgli:

        Ok - aber - mit Verlaub! ~>

         

        "Nur halt viel weniger autoritär"

         

        Wo hamse das denn her. Ein autoritärer Sack übelster Sorte

        Er gehört in dieselbe Liga - mit Clement & Co. et al.

        "Mit Akten schmeißen .. " usw - & Ebenso wie bei z.B. bei

        Hertha D-G. - Hätt ich nie einen Fuß in dero Büros gesetzt!

        & Genau deswegen kotzt mich das taz-eitelwuseling an ~>

         

        "Jung. Das sind keine Menschen - das sind Leute!"

        Pflegte ming Ohl solches kalt zu benennen!

        Gutes Auge hatte der Lebenskluge!;)

      • @mowgli:

        O. Schily hat durchaus eine Entwicklung von „links“ in konservative Richtung genommen:

         

        Zusammen mit den Anwälten Stöbele und Mahler hatte er die erste Generation der RAF vor Gericht verteidigt. Später war er Gründungsmitglied bei den „Grünen“ und wechselte 1989(?) zur SPD.

         

        Interessant ist der Vergleich mit seinen ehemaligen Kollegen:

        Mahler driftete später so weit nach links außen ab, bis er rechts außen ankam. Er vertrat die NPD beim Verbotsverfahren vor Gericht.

        Ströbele dagegen ist geblieben, was er war. Ironisch könnte man sagen: „Nichts vergessen – nichts dazugelernt!“.

        • @Pfanni:

          Wie kommen sie denn auf das schmale Brett?

           

          Otto Schily - war nie links. Punkt.

           

          Nu. Eiskalten Karrieristen - ist jeder Anzug recht.

          Um sich - auch gern politisch - einen Namen zu machen! Ist solchen Gestalten - Schlotternden Lemuren - quasi!

          Jedes Mittel recht. Ein Architekt - Läßt in einer -

          Hauswand eine riesiges Hakenkreuz "einmauern"!

          Die tags später - klar! Verputzt wird usw usf ad infinitum! Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt!

           

          Ein RA Redeker (VwGO-Kommentar) - greift - völlig zu recht - Theodor Maunz - Fellowtraveler der Kieler Schule - Speerspitze der NS-Juris"prudenz" - Aber Hallo!

          & Däh! Kommentator des! Grundgesetzkommentars

          Maunz-Dürig-Herzog (jaja sein Assi!;( - an.

          &

          Sein Sohn ging dann lieber doch nicht zum autoritär-konservativen Sack in die Kanzlei.

           

          Mahler wie Schily - waren/sind schlicht autoritäre Klemmis. Beweglich blieb immer Christian Stroebele.

          (Elternhaus - jeweils - nicht ganz unerheblich- ja!)

           

          So geht das.

    • @Pfanni:

      Und Marx hat den Menschen verachtenden Kommunismus der DDR geprägt, war Antisemit etc aber das ist ja alles Lügenpresse für sie.

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Klartexter:

        Wusste gar nicht, dass Marx in der DDR gelebt hat. Man lernt nie aus.